VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 05.02.2024 - 1 A 1263/20 - asyl.net: M32161
https://www.asyl.net/rsdb/m32161
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz wegen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sudan:

1. In Teilen des Sudan, insbesondere den Regionen um Khartum/Omdurman, Darfur mit Süd-, Nord- und West-Darfur, Kordofan sowie Blauer Nil (Grenze zu Äthiopien) herrscht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG. Seit Beginn des Krieges im April 2023 wurden 3 9000 Menschen getötet und mehr als 3 Millionen Menschen vertrieben.

2. Es ist davon auszugehen, dass eine Zivilperson in der Herkunftsregion des Klägers in Süd-Darfur einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre.

3. Es besteht auch keine innerstaatliche Schutzalternative gemäß § 3d AsylG, denn der Kläger kann schon nicht sicher und legal in den Sudan reisen. Rückführungen, die per Flugzeug nach Khartum erfolgen, sind aufgrund der Sicherheitslage in Khartum nicht möglich. Darüber hinaus liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger auch in der Landeshauptstadt Khartum einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wäre.

(Leitsätze der Redaktion; siehe zur Region Südwest-Darfur: VG Oldenburg, Urteil vom 05.02.2024 - 1 A 1362/19 - asyl.net: M32162)

Schlagwörter: Sudan, West-Darfur, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, ernsthafter Schaden, willkürliche Gewalt, Süd-Darfur, Darfur, RSF, interner Schutz, interne Fluchtalternative, Khartum,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger ist subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu gewähren. [...]

Derzeit herrscht in Teilen des Sudans, insbesondere in den Regionen um Khartum/Omdurman, Dafur mit Süd-, Nord- und West-Dafur, Kordofan sowie Blauer Nil (Grenze zu Äthiopien) ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt.

Die sudanesische Armee - SAF - unter General Abdel Fattah al-Burhan und die RSF unter General Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, liefern sich seit dem 15. April 2023 schwere Gefechte in der Hauptstadt Khartum und anderen Landesteilen. Ein Großteil der bewaffneten Auseinandersetzungen findet in dicht besiedelten Vierteln statt. Die Rapid Support Forces (RSF) besetzen Berichten zufolge Wohnhäuser und nutzen diese als Stützpunkte. Landesweit wurden seit Beginn der Kämpfe Mitte April 2023 mindestens 3.900 Todesopfer gezählt, mehr als 3,3 Mio. Menschen wurden vertrieben (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 31.7.23, www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw31-2023.pdf, S. 11).

Zuletzt wurde über kriegerische Handlungen in Khartum, Bahri, Omdurman, Kordofan States, Darfur States und Blue Nile State berichtet [...].

Die Sicherheitslage in Darfur ist weiter angespannt und volatil [...]. Während Khartum nach wie vor das Epizentrum der Kämpfe ist, fordern die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Darfur besonders viele Todesopfer [...]. Medienberichten zufolge ist es am 5. Juni 2023 zu einer groß angelegten Offensive der RSF im Raum zwischen den Städten Al-Fashir und Kutum in Nord-Darfur gekommen. [...]

Obwohl sowohl die sudanesische Armee (SAF) als auch die Rapid Support Forces (RSF) unabhängig voneinander eine Waffenruhe für die Zeit des Opferfestes Eid El Adha ausgerufen hatten (27.6.23 - 1.7.23), kam es bereits am ersten Tag zu schweren Kämpfen u.a. in Zalingei, der Hauptstadt des Bundesstaates Zentral-Darfur, aus der der Kläger stammt. [...] Da El-Geneina weitgehend von sämtlichen Kommunikationsnetzen abgeschnitten ist, verweist die Berichterstattung insoweit zumeist auf Interviews mit aus der Stadt geflohenen Menschen. Demnach hielten die Übergriffe und tödlichen Angriffe der RSF und mit ihr verbündeter Milizen auf die nicht-arabische Bevölkerung weiter an. [...] Die Situation in der Stadt selbst sei verheerend. Die Leichname würden in den Straßen liegen gelassen und stellten somit ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen bezeichnete die Hauptstadt West-Darfurs bereits am 11. Juni 2023 als einen der schlimmsten Orte auf der Erde [...]. Am 13. Juli 2023 gab der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in einem Statement zur Situation in Darfur vor dem UN-Sicherheitsrat bekannt, dass Ermittlungen zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung aufgenommen worden seien. Der Schwerpunkt liege dabei auf Verbrechen gegen Kinder sowie auf sexueller und geschlechtsbasierter Gewalt [...]. Am 14. Juli 2023 berichteten mehrere Medien über den Fund eines Massengrabs in der Nähe der Hauptstadt West-Darfurs, El-Geneina. [...]

Nach alledem liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimatregion Nyala, Süd-Darfur einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht.

Der Kläger ist nicht auf eine innerstaatliche Schutzalternative im Sudan zu verweisen. [...] Denn der Kläger kann schon nicht sicher und legal in den Sudan reisen. Rückführungen, die per Flugzeug nach Khartum erfolgen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan, 1.6.22, S. 24), sind aufgrund der Sicherheitslage in Khartum nicht möglich. Darüber hinaus liegen nach dem oben Ausgeführten stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger auch bei einer Rückkehr in die Landeshauptstadt Khartum dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht. [...]