OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 26.01.2024 - 8 LB 88/22 - asyl.net: M32234
https://www.asyl.net/rsdb/m32234
Leitsatz:

Zur Verfolgung Familienangehöriger von Regimegegner*innen und aufgrund von Konversion im Iran:

"1. Ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass ein Familienangehöriger eines Regimegegners im Iran allein aufgrund der familiären Verbindung einer Verfolgung ausgesetzt ist, kann nur im Einzelfall unter Berück­sichtigung der Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses, des Profils des Regimegegners, der Zugriffs­möglichkeit auf den Regimegegner selbst und sonstiger Umstände, die auf das Verfolgungsinteresse Einfluss haben, beurteilt werden.

2. Zu Verfolgungsmaßnahmen kann es führen, wenn vom Islam zum Christentum konvertierte iranische Staatsangehörige im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle in einer Hauskirche einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam nach außen dadurch zeigen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen kirchlichen Riten wie Gottesdiensten teilnehmen. Auch das Praktizieren des Glaubens in Hauskirchen kann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungs­maßnahmen auslösen. Die Taufe als solche oder das kurzzeitige Einstellen eines Bildes in den sozialen Medien, aus dem diese erkennbar wird, machen eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich.

3. Wegen eines mehrjährigen Aufenthalts im Ausland oder seiner Asylantragstellung droht einem iranischen Staatsangehörigen im Rückkehrfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Rückkehrer können beim Grenzübertritt befragt werden. Seit den im September 2022 begonnenen Protesten ist keine Steigerung der Befragungstätigkeit festzustellen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Iran, Konvertiten, Sippenhaft, religiöse Verfolgung, politische Verfolgung, Familienangehörige,
Normen: AsylG § 3a Abs. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5
Auszüge:

[...]

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. [...]

aa) Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger und seine Ehefrau von iranischen Sicherheitskräften gesucht wurden. [...]

bb) Selbst wenn man den Vortrag des Klägers bei dem Bundesamt als zutreffend unterstellt, ist daraus keine Vorverfolgung des Klägers abzuleiten.

Als Verfolgter kann ein Ausländer nur dann ausgereist sein, wenn er auf der Flucht vor einer unmittelbar bevorstehenden oder einer bereits eingetretenen politischen Verfolgung sein Heimatland verlassen hat (vgl. Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 21). Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar - d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (BVerwG, Urt. v. 24.11.2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 14).

Die Motivation, aus der heraus die Sicherheitskräfte nicht nur nach der Ehefrau des Klägers, die zuvor an einer Demonstration teilgenommen hatte, sondern auch nach dem Kläger gefragt und gesucht haben könnten, ist nicht bekannt. Er hat in eigener Person keine Umstände verwirklicht, die eine Verfolgung beachtlich wahrscheinlich machen würden. [...]

Aus den Erkenntnismitteln ist abzuleiten, dass es nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass jeder Familienangehörige eines Regimegegners, der sich im Iran aufhält, allein aufgrund der familiären Verbindung einer Verfolgung ausgesetzt ist. Die Wahrscheinlichkeitsprognose kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses, des Profils des Regimegegners, der Zugriffsmöglichkeit auf den Regimegegner selbst und sonstiger Umstände, die auf das Verfolgungsinteresse Einfluss haben, gestellt werden.

Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen; üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf den Betreffenden einzuwirken (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 17). Dem Auswärtigen Amt sind auch Fälle bekannt, in denen Personen, die nicht politisch aktiv waren, wegen der Aktivität von Familienmitgliedern Repressalien ausgesetzt waren, verhört worden oder auch verhaftet worden sind (Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 8.8.2022).

Maßnahmen des iranischen Regimes gegen Familienangehörige sind in verschiedenen Zusammenhängen bekannt. [...]

Im Fall des Klägers bestand ein besonders enges Näheverhältnis zu der eigentlich in den Blick der Sicherheitsbehörden geratenen Ehefrau. Allerdings war er nicht besser greifbar als die Ehefrau. Sie hatte ein niedriges oppositionelles Profil. Der Kläger hat nur berichtet, sie habe an zwei Demonstrationen teilgenommen und belastendes Material auf ihrem Rechner gespeichert. Daraus ergibt sich keine Sichtbarkeit und Wirksamkeit nach außen, die ein gesteigertes Verfolgungsinteresse auslösen könnte. Auch bei Zugrundelegung der Angaben der Ehefrau bei dem Bundesamt ändert sich nichts. Danach will sie - wovon der Kläger nicht berichtet hat - Versammlungen durchgeführt haben, bei denen sie andere Frauen über Frauenrechte informiert habe. Eine verfestigte Organisation spricht daraus nicht. Auch nach eigenen Angaben hatte sie Informationen über Frauenrechte auf dem Computer. Von eigenen Ausarbeitungen ist nicht die Rede, erst recht nicht von im Internet oder anderenorts veröffentlichten eigenen Texten. Insgesamt sind gefahrerhöhende Umstände nur in geringem Umfang vorhanden. Auch wenn die Sicherheitsbehörden den Kläger vor seiner Ausreise hätten aufspüren können, ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mit einer intensiveren Schädigung zu rechnen als einer kurzzeitigen Festnahme, um den Kläger zu befragen und Druck auf seine Ehefrau auszuüben. Dies erreicht die in § 3a Abs. 1 AsylG vorausgesetzte Schwere nicht.

b) Bei einer Rückkehr in den Iran drohte dem Kläger auch nicht erstmalig eine Verfolgung.

aa) Bei Wahrunterstellung seines Vortrags ist eine erstmalige Reflexverfolgung im Hinblick auf seine Ehefrau auch jetzt nicht beachtlich wahrscheinlich. Es bleibt bei dem niedrigen oppositionellen Profil der Ehefrau vor der Ausreise. Zwar besteht mittlerweile ein erhöhtes Verfolgungsinteresse des iranischen Staates an Frauenrechtlerinnen infolge der durch den Tod von Mahsa Jina Amini am 16. September 2022 ausgelösten Proteste (dazu unten bb) (2)). Auch hält sich die Ehefrau des Klägers im Vereinigten Königreich auf und ist für die Sicherheitskräfte nicht greifbar. Andererseits ist die Ausreise fünfeinhalb Jahre her. Dass sich die Ehefrau exilpolitisch betätigt hätte, ist nicht ersichtlich und wurde von dem Kläger nach seiner Kenntnis verneint. Der Kläger lebt von seiner Ehefrau getrennt und hat keinen Kontakt zu ihr, was iranische Sicherheitsbehörden aufgrund der unterschiedlichen Aufenthaltsländer nachvollziehen könnten.

bb) Aus der Konversion des Klägers lässt sich keine begründete Verfolgungsfurcht ableiten.

(1) Die Voraussetzungen, unter denen Maßnahmen eines Akteurs wegen einer Konversion als Verfolgung anzusehen sind, und die Grundsätze der gerichtlichen Prüfung sind in der Rechtsprechung geklärt [...]. Danach kann ein Eingriff in das Recht auf Religionsausübung als Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG angesehen werden [...]. Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung in diesem Sinne dar. Es muss sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt; das setzt voraus, dass die Eingriffshandlung einer Verletzung  der grundlegenden Menschenrechte gleichkommt, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf [...]. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Betroffenen, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben [...].

Bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit kann es sich um eine Verfolgung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG handeln, wenn der Betroffene aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in § 3c AsylG genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. [...]

Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um als Verletzungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu gelten, hängt von objektiven und subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind die Schwere der dem Betroffenen bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn den Betroffenen durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr [...].

Beruft sich der Schutzsuchende auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden, dass die Konversion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Er muss sich nach dem aus der Gesamtheit des verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Hierbei kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit der Person des Schutzsuchenden an, die das Gericht im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu überprüfen und tatrichterlich zu würdigen hat. Eine Bindung an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche, der Taufe des betreffenden Asylantragstellers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde, besteht hierbei nicht. Die Verwaltungsgerichte haben die innere Tatsache, ob und inwieweit der Asylantragsteller eine bestimmte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, vielmehr selbst anhand seines Vorbringens sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen zu überprüfen und hierbei das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts zugrunde zu legen [...]. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylantragstellers zu verschaffen [...]. Bei der gebotenen Überprüfung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das neue Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben [...].

(2) Zu Verfolgungsmaßnahmen kann es führen, wenn vom Islam zum Christentum konvertierte iranische Staatsangehörige im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle in einer Hauskirche einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam nach außen dadurch zeigen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen kirchlichen Riten wie Gottesdiensten teilnehmen. Auch das Praktizieren des Glaubens in Hauskirchen kann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen auslösen [...]. Die Taufe als solche oder das kurzzeitige Einstellen eines Bildes in den sozialen Medien, aus dem diese erkennbar wird, machen eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich.

Zwar kennt das iranische Strafgesetzbuch den Straftatbestand der Konversion zum Christentum nicht. Diese kann allerdings nach islamischem Recht den Straftatbestand der Apostasie erfüllen und eine Verurteilung zur Folge haben. Gemäß Art. 167 der iranischen Verfassung findet auf Angelegenheiten, die nicht im kodifizierten Recht geregelt sind, islamisch-religiöses Recht Anwendung. Danach kann Apostasie mit der Todesstrafe (Männer) bzw. einer lebenslangen Haftstrafe (Frauen) geahndet werden. In den letzten 33 Jahren sind nur drei Todesurteile verhängt worden. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt. In der Regel findet eine Strafverfolgung unter Heranziehung anderer (kodifizierter) Straftatbestände wie "Gefährdung der nationalen Sicherheit", "Organisation von Hauskirchen" oder "Beleidigung des Propheten" statt, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe zu vermeiden. Die Handhabung ist dabei willkürlich und uneinheitlich. [...]

Solche Konsequenzen sind mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nur im Falle des aktiven Auslebens des Glaubens zu befürchten. Für den iranischen Staat wird ein Verfolgungsinteresse weniger durch den Religionswechsel als solchen, sondern insbesondere dann begründet, wenn die Gefahr gesehen wird, dass sich die religiöse Grundausrichtung der iranischen Gesellschaft ändern könnte, weil sich der revolutionäre Anspruch des Regimes auf die Verbindung von iranischem Staat, Volk und Religion richtet. Ausschlaggebend ist in jedem Fall die Auffassung, an der religiösen muslimischen Grundausrichtung der Gesellschaft dürfe sich nichts ändern. Damit geht es nicht so sehr allein um die Apostasie als Akt der inneren Abkehr vom Islam, sondern die gesellschaftlichen Folgen aufgrund des Versuchs, andere Musliminnen und Muslime von ihrem Glauben abzubringen. Dieses Verfolgungsinteresse wird bei einer nach außen erkennbaren Abwendung vom (schiitischen) Islam durch Missionierung, Gemeindeleitung und Gottesdienstbesuch angesprochen. In diesem Fall ist die Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe beachtlich wahrscheinlich. Hinzu kommt die wohl auch beachtlich wahrscheinliche Gefahr von Misshandlungen in der - länger andauernden - Haft [...].

Der Besuch von Gottesdiensten in einer Hauskirche ohne Innehabung einer besonderen Funktion führt für sich allein betrachtet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Rechtsverletzungen i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG. Dennoch ist die Flüchtlingseigenschaft bereits zuzuerkennen, wenn feststeht, dass der Betroffene aus voller innerer Überzeugung im Iran an solchen Gottesdiensten teilnehmen würde. Wer als einfaches Mitglied bei der Versammlung einer Hauskirche angetroffen wird, wird mit Wahrscheinlichkeit festgenommen und über einen kurzen Zeitraum hinweg befragt. Die Freilassung kann in der Regel dadurch herbeigeführt werden, dass der Betroffene dem Verlangen nachgibt, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach er von weiteren christlichen Aktivitäten absieht. Lediglich im Ausnahmefall ist nicht auszuschließen, dass bereits die Anwesenheit bei einem Hauskirchen-Gottesdienst als solche schwerwiegendere Konsequenzen hat. [...]

Wer aus voller innerer religiöser Überzeugung an Hauskirchen-Gottesdiensten teilnehmen will, kann dies folglich nur bis zu seiner ersten Festnahme tun, ohne mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung fürchten zu müssen. Danach hat er nur noch die Wahl, sich Maßnahmen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG auszusetzen oder auf die weitere Religionsausübung zu verzichten (vgl. Bayerischer VGH, Urt. v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 -, juris Rn. 22). Da nur diese Alternativen bestehen, ist der Flüchtlingsbegriff erfüllt. Aus diesem Grund folgt der Senat nicht der - nicht entscheidungstragenden - abweichenden Einschätzung des OVG Mecklenburg-Vorpommern [...].

Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse dafür vor, dass einem Konvertiten allein wegen eines bloß formalen Wechsels zum christlichen Glauben durch Taufe oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland als solcher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Iran eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. Den iranischen Behörden ist vielmehr bekannt, dass eine große Zahl iranischer Asylbewerber aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland dauernden Aufenthalt zu finden. Die iranischen Behörden schätzen die Nachfluchtaktivitäten iranischer Asylbewerber realistisch ein und ziehen aus diesen Umständen ohne Hinzutreten weiterer Umstände keinen Rückschluss auf die religiöse Gesinnung des Asylbewerbers [...].

Es ist möglich, dass zurückkehrende Konvertiten von den Sicherheitsbehörden in Einzelfällen insbesondere zu ihren Angaben im Asylverfahren oder zur Konfession befragt werden [...]. Ist die Konversion nicht auf der Grundlage einer vollen inneren Glaubensüberzeugung erfolgt, ist es dem Betroffenen grundsätzlich zumutbar, diese nicht mitzuteilen [...]. Er hat auch keinen Anlass, den Behörden Taufbescheinigungen oder Fotos zukommen zu lassen [...]. Dann erhalten die iranischen Stellen von der Konversion schon keine Kenntnis und sie kann nicht zum Anknüpfungspunkt von Verfolgungsmaßnahmen gemacht werden. Selbst wenn der Betroffene seinen nur formalen Glaubenswechsel angibt, ist eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass sich die Behörden mit der Erklärung, keine christlichen Aktivitäten auszuüben, zufriedengeben [...]. Diese Erklärung kann jemand, der den Wechsel zum christlichen Glauben aus asyltaktischen Gründen vollzogen hat, unproblematisch abgeben. [...]

Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehört nicht bereits die vereinzelt gebliebene Mitteilung des Kircheneintritts in sozialen Medien. Im Fokus der Überwachung können Online- und Social-Media-Aktivitäten von Personen, Gruppen oder Medien stehen, die das politische oder religiöse Gefüge anfeinden und in Frage stellen. Das betrifft insbesondere diejenigen mit einer hohen Reichweite und Vernetzung (etwa auch aufgrund ihrer Profession, Kontakte, Bekanntheit) sowie entsprechend anzunehmendem Einfluss auf die Öffentlichkeit, darunter auch Iranerinnen und Iraner im Ausland (BAMF, Netzaktivitäten - Netzüberwachung, Juli 2023, S. 6). Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. [...]

Die staatlichen Repressionsmaßnahmen infolge der durch den Tod von Mahsa Jina Amini am 16. September 2022 ausgelösten Proteste ändern an der Gefährdungseinschätzung nichts. [...]

(3) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger wegen des Glaubenswechsels und der Taufe als solchen keine Verfolgung zu befürchten hat. Das kurzzeitig eingestellte WhatsApp-Bild mit einem Kreuz ergibt kein so hohes Aktivitätsniveau, dass das Verfolgungsinteresse der iranischen Sicherheitsbehörden geweckt würde. Das gilt auch dann, wenn unterstellt wird, dass ein Bekannter und Arbeitskollege des Klägers, der auch bei der Security tätig war, das Bild zur Kenntnis genommen und erfahren hat, dass der Kläger jetzt Christ ist.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, dass die Polizei seine Mutter zu Hause aufgesucht habe und ihr die Konversion des Klägers mitgeteilt habe, ist das Gericht von der Wahrheit dieser Angabe nicht überzeugt. [...]

Es gehört nicht zur religiösen Identität des Klägers, die christliche Religion im Iran aktiv - zumindest durch die Teilnahme an Gottesdiensten einer Hausgemeinde - auszuüben. Das ergibt die Gesamtschau der diesbezüglichen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie der Angaben der vernommenen Zeugen. [...]

In der mündlichen Verhandlung wurden keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der regelmäßige Gottesdienstbesuch des Klägers Teil seiner religiösen Identität ist. Den in jedem Sonntagsdienst gesprochenen Text des Vaterunsers konnte er auf Deutsch nur schlecht wiedergeben. Das ebenfalls in jedem Sonntagsgottesdienst gesprochene Glaubensbekenntnis konnte er gar nicht abrufen. Er machte auch nicht deutlich, dass er diese Gebete etwa still auf Persisch mitspräche. Die Predigten kann er nicht genau verstehen. Inwiefern er unter diesen Umständen die Gottesdienstteilnahme als religiöses Bedürfnis empfindet, wurde nicht deutlich. Dagegen, dass das so sein könnte, spricht vielmehr, dass er zu Weihnachten keinen Gottesdienst besucht hat. Er feierte bei einem Freund in einer anderen Stadt, wo er auch gebetet haben will. Er hat aber von keinen Bemühungen berichtet, dort einen für ihn geeigneten Weihnachtsgottesdienst zu finden. [...]

Vor diesem Hintergrund konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass das tägliche Gebet, wie von dem Kläger für sich in Anspruch genommen, seine religiöse Identität prägt. Die angegebenen Gebetsinhalte - Gesundheit, Wiedersehen mit den Eltern, Glück - bezogen sich allgemein auf göttlichen Beistand zum Wohlergehen und hatten keinen Bezug zu den Glaubensinhalten, die der Kläger als für sich bedeutsam angeführt hatte.

Die vernommenen Zeugen berichteten nicht von eigenen Gesprächen mit dem Kläger, bei denen sie Äußerungen über seine Glaubensüberzeugung wahrgenommen hätten. [...]