OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.03.1998 - 25 A 5198/96.A - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13430
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Familienangehörige, PKK, Schikanen, Übergriffe, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Sippenhaft, Ehemann, Sitzblockade, Strafverfahren, Situation bei Rückkehr, Strafverfolgung, Staatsschutzdelikte, Strafnachrichtenaustausch
Normen: AuslG § 51; TStGB Art. 4; TStGB Art. 5
Auszüge:

Die Klägerin kann die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht aufgrund ihrer nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland entfalteten exilpolitischen Aktivitäten beanspruchen. Diese lösen ein abschiebungsrelevantes Verfolgungsinteresse des türkischen Staates nicht aus, weil sie lediglich als niedrig profiliert zu bewerten sind. Nach der in das Verfahren eingeführten gefestigten Rechtsprechung des Senats begründen exilpolitische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko nur bei solchen Kurden, die sich politisch exponiert haben. Zu diesem Personenkreis gehören z.B. die Leiter von größeren und öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen und Protestaktionen sowie die Redner auf solchen Veranstaltungen. Einer entsprechenden Gefährdung ausgesetzt sind unter Umständen die Mitglieder von Vorständen eingetragener Vereine, über deren Identität jedermann zur Einsichtnahme offenstehende Vereinsregister Aufschluß gibt. Bei exilpolitischen Aktivitäten niedrigen Profils ist hingegen nicht anzunehmen, daß diese den zuständigen türkischen Stellen überhaupt bekannt werden oder daß sie im Falle ihres Bekanntwerdens bei der Rückkehr des Betreffenden Verfolgungsmaßnahmen auslösen. Solche nicht verfolgungsrelevante exilpolitische Aktivitäten sind z.B. einfache Vereinsmitgliedschaft, Teilnahme an Demonstrationen, Hungerstreiks, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, Verteilung von Flugblättern, Plazierung von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in türkischsprachigen Zeitschriften.

Nach diesen Grundsätzen haben die von der Klägerin vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten lediglich ein niedriges Profil. Bei ihrer Teilnahme an verschiedenen öffentlichen Protestaktionen handelt es sich um Massenerscheinungen, auch wenn diese Veranstaltungen teilweise an zentralen, ein besonderes Medieninteresse indizierenden Orten wie unter anderem vor dem türkischen Generalkonsulat H. stattgefunden haben mögen. Entsprechendes gilt für ihre nicht erkennbar mit herausgehobenen Funktionen versehene Zugehörigkeit zum Kurdischen Frauenzentrum L. und zum kurdischen Arbeiterverein K.

Der Klägerin droht politische Verfolgung weiterhin nicht unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft, also der Einbeziehung in eine einem anderen Familienmitglied drohende politische Verfolgung.

Ihr Ehemann, dem das Bundesamt aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 16. August 1996 - 18 K 798/93.A - durch Bescheid vom 12. November 1996 Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt hat, ist nicht aufgrund seiner exilpolitischen Betätigung als Aktivist einer militanten staatsfeindlichen Organisation einzustufen.

Die exilpolitischen Aktivitäten des Ehemannes der Klägerin besitzen nach den oben dargelegten Maßstäben insgesamt nur niedriges Profil.

Eine andere Einschätzung der exilpolitischen Aktivitäten des Ehemannes der Klägerin ist insbesondere nicht deswegen geboten, weil das Amtsgericht B. ihn wegen Teilnahme an der vorerwähnten Sitzblockade in B. durch Urteil vom 19. Januar 1995 - 83 Cs 50 Js 674/93-329/94 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,00 DM verurteilt hat. Diese verfahrensrechtliche Folge verleiht seiner exilpolitischen Tätigkeit kein größeres, die Annahme hinreichender Exponiertheit rechtfertigendes Gewicht. Exilpolitische Aktivitäten eines türkischen Asylbewerbers, die für sich genommen lediglich niedriges Profil aufweisen, rechtfertigen nicht allein deshalb die Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden politischen Verfolgung im Rückkehrfall, weil der Betreffende mit ihnen nach bundesdeutschem Recht einen Straftatbestand verwirklicht und infolgedessen gegen ihn durch ein deutsches Gericht eine Strafe verhängt wird. Daran ändert insbesondere auch der Umstand nichts, daß die Bundesrepublik Deutschland den türkischen Behörden im Rahmen des zwischen ihr und der Türkei auf der Grundlage des Art. 22 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1386; 1976 II S. 1799) vereinbarten gegenseitigen Strafnachrichtenaustauschs quartalsweise die entscheidenden im Bundeszentralregister eingetragenen Daten (persönliche Daten des Betroffenen, Urteils- und Tatzeit, Gerichtsbezeichnung, Aktenzeichen, Tatbezeichnung, Rechtsgrundlage, Art und Höhe der Strafe) über Strafverurteilungen türkischer Staatsangehöriger durch deutsche Strafgerichte bekanntgibt.

Denn nach der ständigen Senatsrechtsprechung kommt es nicht auf das Ob und die Art, insbesondere die Breitenwirkung des Bekanntwerdens exilpolitischer Aktivitäten an, sondern lediglich auf das politische Gewicht dieser Tätigkeiten. Ihrem sachdienlichen Gehalt nach niedrig profilierte exilpolitische Tätigkeiten erhalten nicht dadurch einen exponierten, für die Gewährung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bedeutsamen Charakter, daß sie öffentlich bekanntwerden und eine Identifikation des politisch aktiven Asylbewerbers ermöglichen.

Auf die Frage, ob der erwähnte Strafnachrichtenaustausch mit bundesdeutschem innerstaatlichen Recht zu vereinbaren ist, kommt es für die asyl- und abschiebungsschutzrechtliche Beurteilung nicht an. Hierfür ist vielmehr allein maßgeblich, ob die türkischen Behörden die Übermittlung einer Strafnachricht zum Anlaß nehmen, gegen den Verurteilten im Rückkehrfall asylerhebliche Maßnahmen zu ergreifen. Von letztem ist indes allein aufgrund des Bekanntwerdens einer in Deutschland ausgesprochenen Strafverurteilung nicht auszugehen.

Maßgeblicher Grund für die Feststellung, daß es nicht auf die Art und Weise des Bekanntwerdens exilpolitischer Aktivitäten, sondern auf deren politisches Gewicht ankommt, ist, daß ein Verfolgungsinteresse seitens der Türkei trotz des Bekanntwerdens niedrig profilierter Aktivitäten nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial in aller Regel nicht besteht. Diese Einschätzung hat der Senat maßgeblich auf drei Erwägungen gestützt, und zwar erstens darauf, daß die türkische Strafverfolgungspraxis entweder schon die einschlägigen Tatbestände des türkischen Staatsschutzstrafrechts durch derartige Tätigkeiten nicht als erfüllt ansieht oder aber jedenfalls deren Anwendung aufgrund des türkischen internationalen Strafrechts verneint, zweitens darauf, daß es trotz der hohen Zahl von Abschiebungen abgelehnter türkischer Asylbewerber und trotz der weitgehenden Überwachung insbesondere des kurdischen Separatismus in Deutschland durch den türkischen Geheimdienst keine stichhaltigen Belege für eine allein durch niedrigprofilierte exilpolitische Aktivitäten ausgelöste menschenrechtswidrige Behandlung in der Türkei in einer nennenswerten Anzahl von einschlägigen Referenzfällen gibt, und schließlich drittens darauf, daß bei dem erwähnten Personenkreis die Annahme naheliegt, daß den exilpolitischen Aktivitäten kein ernsthaftes politisches Engagement zugrundeliegt, sondern sie lediglich durch das Bestreben veranlaßt sind, dem Asylbewerbwer einen Rechtsvorteil im laufenden Asylverfahren zu verschaffen.