VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 23.03.2007 - 11 B 859/07 - asyl.net: M10090
https://www.asyl.net/rsdb/M10090
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, abgelehnte Asylbewerber, offensichtlich unbegründet, Anspruch, Duldung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Erziehungsgemeinschaft, Eltern-Kind-Verhältnis, Kindeswohl, Kleinkinder, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 3; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8; VwGO § 123
Auszüge:

Der Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zu untersagen, ihn am 28. März 2007 in sein Heimatland abzuschieben, ist begründet.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch, d.h. ein materielles Recht vorläufig von der Abschiebung verschont zu bleiben, glaubhaft gemacht. Aufenthaltsbeendenden Maßnahmen stehen im Hinblick auf die angestrebte familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner am 7. Oktober 2006 geborenen Tochter E. A. rechtliche Gründe (§ 60 a Abs. 2 AufenthG) entgegen (Art 6 GG/Art. 8 EMRK).

Zwar geht der Antragsgegner zutreffend davon aus, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf absehbare Zeit nicht zusteht. Dies ist nämlich nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen. Danach darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn ein Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Eine Ausnahme gilt gem. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zwar dann, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Gemeint ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung aber insoweit ein sog. gesetzlicher, also sich unmittelbar aus der maßgeblichen Rechtsvorschrift ergebender Anspruch (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26. Juli 2006 - 11 S 2523/05 - <juris, Rn. 18>; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. März 2006 - 11 N 77.05 - <juris, Rn. 5>; Discher in: GK-AufenthG, Stand: Oktober 2005, Rn. 174 ff. zu § 10), der hier nicht ersichtlich ist.

Nach Auffassung der Kammer besteht aber dennoch im Hinblick auf den überwiegenden Schutz der sich anbahnenden familiären Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem Kind ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung. Denn auch wenn kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf, kann ausnahmsweise und abweichend von der ausländerrechtlichen Systematik aus vorrangigen verfassungsrechtlichen Gründen, die auf jeder Stufe der Prüfung zu berücksichtigen sind, ein Duldungsanspruch bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320 <322>).

Das Gericht geht im Ansatz davon aus, dass die Beziehung des Antragstellers zu seiner Tochter, die ebenfalls ghanaische Staatsanghörige ist und im Hinblick auf das für ihre Mutter derzeit gem. § 81 Abs. 4 AufenthG bestehende fiktive Aufenthaltsrecht mindestens geduldet werden muss und von der zuständigen Ausländerbehörde faktisch auch wird, durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützt ist. In der Rechtsprechung ist insoweit geklärt, dass es nicht darauf ankommt, ob eine Haushaltsgemeinschaft oder familienrechtlich nur ein Umgangsrecht besteht, sondern ob eine besondere über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Verbundenheit mit dem Kind festzustellen ist, auf die dieses zu seinem Wohl angewiesen ist. Auch ist wegen des spezifischen Erziehungsbeitrages des Vaters unmaßgeblich, ob Betreuungsleistungen der Mutter oder Dritter erbracht werden. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Ausländer seine Verantwortung als Elternteil auch tatsächlich durch wesentliche Betreuungsleistungen im Alltag wahrnimmt. Indiziell sind hierfür vor allem intensive Kontakte zwischen Vater und Kind bedeutsam (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - InfAuslR 2006, 122 <125>; Beschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 - InfAuslR 2002, 171 <173>, OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 11 ME 70/04 - <juris, Rn. 8>).

Unerheblich ist, dass die familiäre Lebensgemeinschaft noch nicht tatsächlich aufgenommen worden ist. Denn Art. 6 GG und Art. 8 EMRK schützen auch den hier unmittelbar bevorstehenden Kontakt innerhalb der Familie (für die beabsichtigte Eheschließung vgl. etwa: OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. November 2006 - 7 ME 176/06 -).

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners erstrebt der Antragsteller bei Anwendung der obigen Grundsätze mehr als eine bloße Begegnungsgemeinschaft. Der Antragsteller hat am 14. Dezember 2006 eine Sorgeerklärung für das Kind unterzeichnet. Es hat bereits im Dezember 2006 einen - allerdings gescheiterten - Umgangsversuch mit dem Kind gegeben. Mit der Verfahrenspflegerin seines Kindes, die derzeit u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübt, hat der Antragsteller am 2. März 2007 u.a. vereinbart, dass er seine Tochter zunächst einmal die Woche für etwa eine Stunde in Gegenwart eines Mitglieds einer Pflegeelternorganisation treffen darf. Eine Ausweitung der Zeiträume ist je nach Belastbarkeit des Kindes möglich. Der Antragsteller kann dadurch die spezifische Beziehung zu seinem Kind entsprechend dessen Alter entwickeln. Der Erziehungsbeitrag des Antragstellers für den Säugling ist dabei nach Ansicht der Kammer umso bedeutender und gewichtiger als seine Mutter derzeit erziehungsunfähig ist und er deshalb in einer Pflegefamilie untergebracht ist.

Das Gericht hat angesichts der Bemühungen des Antragstellers derzeit keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass er seine ihm eingeräumten Möglichkeiten nicht wahrnehmen wird. Seit Abschluss der Umgangsvereinbarung waren die Pflegeeltern in einem zweiwöchigen Urlaub, so dass bisher eine Kontaktaufnahme mit dem Kind nicht möglich war.

Dafür dass der Umgang des Antragstellers dem Wohl des Kindes nicht entspricht, hat das Gericht trotz der bisherigen Schwierigkeiten beim Umgang noch keinen durchgreifenden Anhaltspunkt; anderenfalls wäre nicht erklärlich, dass die Verfahrenspflegerin die regelmäßigen Besuche des Antragstellers in der kürzlich geschlossenen Vereinbarung zugelassen hat.

Die gegen einen Verbleib des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland sprechenden öffentlichen Interessen müssen hier zurücktreten. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um Verstöße, die regelmäßig oder gar zwingend zur Ausweisung führen (§§ 53 f. AufenthG), sondern um Gründe, die diese nach Ermessen zulassen (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Außerdem spricht einiges dafür, dass beim Antragsteller durch die Geburt des Kindes eine gewisse "Zäsur" eingetreten ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 a.a.O, S. 320).