OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.05.2007 - 1 AK 29/07 - asyl.net: M10121
https://www.asyl.net/rsdb/M10121
Leitsatz:

Ablehnung der Auslieferungshaft eines anerkannten Flüchtlings und Mitglieds einer linksgerichteten Organisation, da Verurteilung in der Türkei durch ein Staatliches Sicherheitsgericht unter Beteiligung von Militärrichtern erfolgte und voraussichtlich Folter droht.

 

Schlagwörter: Türkei, Auslieferung, Auslieferungshaft, Militärrichter, faires Verfahren, fair trial, Flüchtlingsanerkennung, Folter, Oppositionelle
Normen: IRG § 15 Abs. 2; EMRK Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Ablehnung der Auslieferungshaft eines anerkannten Flüchtlings und Mitglieds einer linksgerichteten Organisation, da Verurteilung in der Türkei durch ein Staatliches Sicherheitsgericht unter Beteiligung von Militärrichtern erfolgte und voraussichtlich Folter droht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Anordnung der Auslieferungshaft kommt nach derzeitigem Sachstand nicht in Betracht, da nach den dem Senat bislang vorliegenden Auslieferungsunterlagen nach summarischer Prüfung nicht davon auszugehen ist, dass der Verfolgte in die Türkei ausgeliefert werden könnte, seine Auslieferung deshalb als von vornherein unzulässig erscheint (§ 15 Abs. 2 IRG).

Die fehlende Wahrscheinlichkeit der Auslieferung des Verfolgten ergibt sich bereits daraus, dass der Verfolgte am 13.12.2001 durch die 2. Kammer des Staatlichen Sicherheitsgerichts in Istanbul wegen Verstoßes gegen die Staatsschutzbestimmung der Art. 146, 59 Abs. 1 31; 33 des türkischen Strafgesetzbuches zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, welche gemäß den Bestimmungen des Art. 17 des Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors (Gesetz Nr. 3713) in eine zeitige Freiheitsstrafe von 30 Jahren umgewandelt wurde. Nach zwischenzeitlich gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung, welche sich der Senat anschließt, verstoßen Urteile von türkischen Staatssicherheitsgerichten wegen fehlender Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aber gegen Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wenn an diesen ein Militärrichter mitgewirkt hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.1.2007; 1 ARs 25/06; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.8.2006, 2 Ausl A 36/06; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 6.10.2006. Ausl 32/06 EGMR NVwZ 2006, 1267). Dass an dem vorliegenden Urteil kein Militärrichter mitgewirkt haben könnte, ist den Auslieferungsunterlagen aber nicht zu entnehmen.

Hinzu kommt vorliegend, dass der Verfolgte in Frankreich als politischer Flüchtling registriert ist, ihm als Mitglied einer in der Türkei verbotenen linksgerichteten Organisation die Gefahr der Folter drohen könnte (vgl. hierzu Senat StV 2004, 442 ff.) und diese Mitgliedschaft unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen politischen Verfolgung die Durchführung einer umfänglichen und zeitintensiven Tatverdachtsprüfung auch im Hinblick auf die Verletzung individueller Rechtsgüter erforderlich macht (Senat, Beschluss vom 27.10.2006, 1 AK 40/05). Zwar stehen diese Gesichtspunkte einer Auslieferung des Verfolgten nicht von vornherein entgegen; in Zusammenwirken mit der Verurteilung durch ein Staatssicherheitsgericht kommt ihnen aber bei der vom Senat bezüglich der Haftfrage zu treffende Prognoseentscheidung (vgl. hierzu Schomburg/Lagodny/Gieß/Hackher, IRG, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 30 ff.) insoweit erhebliche Bedeutung bei, als es danach bei einer Gesamtbetrachtung und den bisherigen Erfahrungen des Senates wenig wahrscheinlich erscheint, dass die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei für zulässig erklärt werden könnte.