VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 29.03.2007 - A 1 K 652/06 - asyl.net: M10391
https://www.asyl.net/rsdb/M10391
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Irak, Iraker, abgelehnte Asylbewerber, Passverfügung, Passbeschaffung, Passpflicht, Mitwirkungspflichten, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Anhörung, Verhältnismäßigkeit, Beweislast, Vollstreckungsrecht, Vollstreckung, unmittelbarer Zwang, Androhung
Normen: AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 4; AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 6; AufenthG § 3 Abs. 1; VwVfG § 46; VwVfG § 28; VwVG § 20; VwVG § 26
Auszüge:

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.

Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um ein Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz. Maßgeblich ist, dass der Beklagte seine Verfügung auf Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes gestützt hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 10.03.1995 - A 13 S 571/95 -, vom 13.03.1995 - A 12 S 319/95 - und vom 16.04.1996 - 11 S 776/96 -; VG Sigmaringen, Beschlüsse vom 25.09.1995 - A 1 K 12098/94 - und vom 03.11.1998 - 1 K 2216/98 -). Das gilt auch insoweit, als in der angefochtenen Verfügung die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht wurde, da sie zur Durchsetzung einer Maßnahme dient, die ihre Rechtsgrundlage im Asylverfahrensgesetz hat und in unmittelbarem Zusammenhang mit ihr steht.

Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Nr. 4 und 6 AsylVfG ist die zutreffende Rechtsgrundlage für die vom Beklagten getroffenen Anordnung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.1995 - A 13 S 571/95 -; VG Sigmaringen, Beschluss vom 03.11.1998 - 1 K 2216/98 -).

Für die Durchführung von Passbeschaffungen nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG gegenüber abgelehnten Asylbewerbern sind die Ausländerbehörden und nicht das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zuständig (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.03.1995 - A 13 S 571/95 -).

Die Verfügung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte vor ihrem Erlass von einer Anhörung des Klägers abgesehen hat. Denn ein etwaiger Anhörungsfehler führt hier deswegen nicht zur Rechtswidrigkeit der Passverfügung, weil nach § 46 LVwVfG ein Verwaltungsakt nicht wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben ist, wenn offensichtlich ist, dass er sich nicht auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren seine Einwendungen gegen die Passverfügung vorgetragen. Sein Vortrag enthält nichts, was den Beklagten von Rechts wegen oder unter Ermessensgesichtspunkten zu einer anderen Entscheidung veranlasst hätte oder hätte veranlassen müssen, wenn der Vortrag schon in einem Anhörungsverfahren vorgebracht worden wäre.

Grundsätzlich ist jeder Ausländer verpflichtet, einen Pass zu besitzen (vgl. § 3 Abs. 1 AufenthG). Dies gilt unabhängig davon, ob die Durchführung einer Abschiebung aktuell möglich ist.

Gegen das Verlangen des Beklagten, dass der Kläger sein Einverständnis mit einer direkten Übersendung eines neu zu beantragenden Passes oder Passersatzes durch die zuständige Behörde des Staates seiner Staatsangehörigkeit an die Ausländerbehörde erklärt, bestehen keine Bedenken. Der Kläger ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG verpflichtet, seinen Pass oder Passersatz den mit der Ausführung des Asylverfahrensgesetzes betrauten Behörden vorzulegen und zu überlassen. Dies kann auch auf direktem Wege zwischen der den Pass oder Passersatz ausstellenden Behörde und der Ausländerbehörde geschehen. Benötigt der Ausländer den von der Ausländerbehörde aufbewahrten Pass aus einem berechtigten Interesse, kann diesem Rechnung getragen werden.

Das Gericht hat auch keine Bedenken daran, dass der Beklagten den Kläger unmittelbar zur Vorsprache bei der Botschaft seines Heimatlandes verpflichtet hat, ohne ihn zuvor aufzufordern, einen schriftlichen Antrag zu stellen, und diese Verpflichtung gegebenenfalls vor der Anordnung der Vorsprache durchzusetzen. Der Beklagte hat zur Begründung für diese Vorgehensweise ausgeführt, dass die irakische Botschaft Anträge von Personen, die keinen Nachweis über ihre Identität vorlegen können, nur bei einer persönlichen Vorsprache bearbeitet. In der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des UNHCR vom 16.1.2007 wird dies bestätigt.

Schließlich lässt die angefochtene Verfügung auch keine Ermessensfehler erkennen. Insbesondere verletzt sie nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, die Erlangung eines Rückreisedokumentes sei für ihn deswegen unmöglich, weil er sich nicht im Besitz eines irakischen Personalausweises bzw. einer irakischen Staatsangehörigkeitsurkunde befinde. Die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt, dass der Kläger alles ihm Mögliche zur Beschaffung eines Passes oder eines Passersatzes getan und damit seiner Mitwirkungspflicht entsprochen hat. Es besteht auch keine Überzeugung, dass der Kläger nur im Besitz von Kopien seines irakischen Personalausweises und der irakischen Staatsangehörigkeitsurkunde ist. Die Beweislast für diesen Einwand trägt der Kläger. Seine Angaben dazu in der mündlichen Verhandlung erweckten den Eindruck, von taktischen Erwägungen bestimmt zu sein.

Die angefochtene Verfügung ist auch erforderlich und steht das dem Kläger angesonnene Verhalten auch nicht erkennbar außer Verhältnis zum Gewicht der mit der Verfügung verfolgten öffentlichen Belange. Insbesondere kann sich der Kläger nicht darauf berufen, die Erlangung eines Rückreisedokumentes sei für ihn deswegen unzumutbar, weil derzeit keine Rückführungen in den Irak stattfänden. Zunächst trifft dies angesichts des Beschlusses der Innenministerkonferenz am 17.11.2006 in Nürnberg (Nr. 10 Rückführungen in den Irak) hinsichtlich des sog. "Nordiraks" nicht mehr zu. Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, dass es im vorliegenden Fall nicht auf die Frage ankommt, ob eine Abschiebung des Klägers tatsächlich durchgeführt wird oder nicht. Die auf §§ 20, 26 LVwVG gestützte Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziffer 2 der Verfügung vom 10.10.2006) ist rechtswidrig, weil ihr die erforderliche Bestimmtheit fehlt. Auch wenn § 20 LVwVG für die Androhung unmittelbaren Zwangs keine § 20 Abs. 4 und 5 LVwVG vergleichbare Regelung enthält, kann daraus nicht geschlossen werden, es reiche aus, lediglich pauschal unmittelbaren Zwang anzudrohen. Denn der Grundsatz der Bestimmtheit verlangt es, dass der Pflichtige aufgrund der Androhung weiß, mit welchen Vollstreckungsmaßnahmen er zu rechnen hat. Auch bei der Androhung des unmittelbaren Zwangs muss die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme zumindest so umschrieben werden, dass der Betroffene eine ungefähre Vorstellung davon hat, welche Maßnahmen die Behörde ergreifen wird, wenn er der ihm auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt (vgl. hierzu insgesamt VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 28.10.1986 - 5 S 2592/86). Da sich die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziffer 2 der streitigen Verfügung auf deren gesamte Ziffer 1 erstreckt, lässt sie offen, welche der in Ziffer 1 enthaltenen mehreren Verpflichtungen (u.a. Verpflichtung zur Vorsprache bei der Botschaft, Anfertigung von Passbildern) (zunächst) zwangsweise durchgesetzt werden soll, das heißt was dem Kläger droht, zumal hinsichtlich der geforderten Maßnahme in Bezug auf die Erklärung gegenüber der Botschaft (Ziffer 1 der Verfügung, vorletzter Absatz) kein unmittelbarer Zwang möglich ist.