VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2007 - 13 K 1027/06.A - asyl.net: M10467
https://www.asyl.net/rsdb/M10467
Leitsatz:
Schlagwörter: Somalia, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Clans, Bajuni, interne Fluchtalternative
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Somalias vorliegen.

Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia einschließlich der Hauptstadt Mogadischu aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Clans, Milizen und Banden sowie durch die allgemeine Kriminalität mangels effektiver Sicherheitsstrukturen äußerst prekär ist (so bereits Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsschutzrelevante Lage in Somalia vom 7. Februar 2006, S. 8; ebenso im Ergebnis jetzt Bericht über die asyl- und abschiebungsschutzrelevante Lage in Somalia vom 17. März 2007, S. 5 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Die aktuelle Situation und Trendanalyse, 20. September 2004, S. 6, 9 f.; amnesty international, Jahresberichte 2005 und 2006, Somalia.

Die jüngsten Entwicklungen in Somalia haben nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt; vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia noch weiter verschlechtert hat. Zwar schien sich die äußere Ordnung in den genannten Landesteilen nach der Machtübernahme durch die Union der islamischen Gerichtshöfe (Union of Islamic Courts - UIC) in der zweiten Hälfte des Jahres 2006 stabilisiert zu haben. Nach der Vertreibung der UIC durch Truppen der somalischen Übergangsregierung und äthiopisches Militär im Dezember 2006 hat jedoch noch keine andere Macht die effektive Ordnungsgewalt übernommen. Vielmehr ist die Situation in Zentral- und Südsomalia gegenwärtig durch eine Vielzahl von gewalttätigen Konfliktherden gekennzeichnet.

Die in dem angegriffenen Bescheid vertretene Einschätzung des Bundesamtes, dass von einer Verbesserung der Sicherheitslage auszugehen sei (dort S. 17), dürfte mithin schon durch diese jüngeren Entwicklungen überholt sein. Im Übrigen lässt auch der vom Bundesamt zur Begründung seiner Auffassung u.a. herangezogene Hinweis in den grundsätzlichen Anmerkungen zu älteren Lageberichten des Auswärtigen Amtes, Botschaftsvertreter führten Dienstreisen nach Somalia durch, soweit es die Sicherheitslage erlaube, angesichts der klaren Einschränkung der Aussage ("soweit") keinen konkreten Schluss darauf zu, ob Botschaftsvertreter aktuell überhaupt Dienstreisen durchführen und ggf. unter welchen Rahmenbedingungen und in welche Regionen sie unternommen werden. In dem jüngsten Bericht über die asyl- und abschiebungsschutzrelevante Lage in Somalia vom 17. März 2007, S. 2, heißt es sogar ausdrücklich: "Dienstreisen nach Somalia sind für Botschaftsvertreter angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich."

Auch durch die Aussage in dem angefochtenen Bundesamtsbescheid, aus "zahlreichen Anhörungen" gehe hervor, dass sichere Landesteile gefahrlos erreichbar seien (Seite 8 des Bescheides), wird die oben dargestellte Einschätzung nicht substanziell erschüttert. Abgesehen davon, dass auch dieser Einschätzung durch die jüngsten Ereignisse der Boden entzogen ist, lässt die Aussage des Bundesamtes nicht erkennen, ob etwa Umstände des einzelnen Falles - z.B. die Clanzugehörigkeit oder die wirtschaftliche Möglichkeit, für die eigene Sicherheit zu sorgen - eine ansonsten möglicherweise bestehende Gefahr minimiert haben.

Bei der Bewertung der Sicherheitslage für Rückkehrer ist überdies zu berücksichtigen, dass die Sicherheit einer Person aufgrund des in Somalia stark ausgeprägten Clansystems, auf dem seit 1991 das Machtgefüge Somalias im Wesentlichen beruht, allenfalls dann gewährleistet ist, wenn sie in den Gebieten ihres Clans lebt, der ihr Schutz gewähren kann. Für Angehörige kleiner Subclans und ethnischer Minderheiten, die diesen Schutz nicht genießen, ist eine entsprechende Sicherheit deshalb in der Regel nicht zu erlangen.

Nach diesen Maßstäben gilt hier Folgendes: Der Kläger ist nach seinem glaubhaften Vorbringen Angehöriger der Gruppe der Bajuni. Diese Volksgruppe, die etwa 0,2% der Bevölkerung ausmacht, lebt vornehmlich in der Umgebung von Kismayo und auf den der Südküste Somalias vorgelagerten Inseln (United Kingdom Home Office, Country of rigin Information Report Somalia vom 28. Februar 2007, Rdn. 20.15, Annex D - Main Minority Groups).

Die Bajuni zählen zu den Minderheiten ohne eigene Clanstruktur, die häufig Übergriffen anderer Clans, namentlich der Marehan, ausgesetzt sind (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 28. Februar 2007, Rdn. 20.17 f.).

Sie können deshalb auch keinen Schutz durch eigene Clanstrukturen und/oder andere Clans in Anspruch nehmen (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 28. Februar 2007, Annex D - Main Minority Groups).

Angesichts dieses Hintergrundes und angesichts der aktuellen Situation in Zentral- und Südsomalia würde eine Rückkehr in diese Gebiete den Kläger sehenden Auges einer im Sinne der Rechtsprechung extremen Gefahr für Leib und Leben aussetzen.

Der Kläger kann schließlich auch nicht darauf verwiesen werden, in den sichereren nördlichen Landesteilen Schutz zu suchen. Insoweit fehlt ihm der notwendige Rückhalt durch Angehörige oder jedenfalls Clanmitglieder, der ihm dort ein Überleben ermöglichen würde.