SG Düsseldorf

Merkliste
Zitieren als:
SG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2007 - S 28 AY 9/06 ER - asyl.net: M10479
https://www.asyl.net/rsdb/M10479
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Bleiberechtsregelung 2006, Ausschlussgründe, Behinderung der Aufenthaltsbeendigung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2; AufenthG § 82 Abs. 1; AufenthG § 23 Abs. 1; AsylbLG § 2 Abs. 3
Auszüge:

2. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unbegründet.

Sowohl Anordnungsanspruch (1) als auch Anordnungsgrund (2) liegen nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Fall der Antragsteller nicht vor.

(1) Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsteller gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Gewährung von erhöhten Leistungen nach § 2 AsylbLG haben.

Nach dem bisherigen Akteninhalt spricht mehr dafür als dagegen, dass die Antragsteller zu 1) und 2) ihren Aufenthalt im Bundesgebiet selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben. Was unter rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 2 AsylbLG zu verstehen ist, ist weder in der Vorschrift selbst noch an anderer Stelle im AsylbLG definiert, ergibt sich jedoch aus den Gesetzesmaterialien (BRDrucks. 22/03, Bl. 295ff). Die im Hinblick auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 (Amtsblatt der EU vom 6.2.2003 - L 31/18), die Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten festlegt, erfolgte Neufassung des § 2 AsylbLG verfolgt die Zielsetzung, die Fälle missbräuchlicher Asylantragstellung weiter einzuschränken, was schließlich zur Reduzierung der Anträge und damit insgesamt zur einer Verfahrensbeschleunigung führen soll (BR-Drucks. aaO, Bl. 296). Vor diesem Hintergrund ist rechtsmissbräuchlich ein Verhalten des Leistungsberechtigten, welches generell geeignet ist, die Dauer des Aufenthaltes zu beeinflussen. Es muss sich um ein vorwerfbares, rechtlich zu missbilligendes Verhalten handeln, das Einfluss auf die Aufenthaltsdauer des Ausländers im Inland hat. Zu fordern ist ein Verhalten, dass erkennbar der Verfahrensverzögerung und damit der Aufenthaltsverlängerung dient (LSG NRW Beschluss vom 8.5.2006 - L 20 B 14/06 AY ER -).

Die rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer folgt jedenfalls daraus, dass die seit dem 10.1.2001 vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller zu 1) und 2) ausweislich der Mitteilung des Ausländeramtes der Antragsgegnerin vom 24.10.2006 nicht im Besitz von Nationalpässen sind und trotz bereits unter dem 13.10.2000 erfolgter behördlicher Aufforderung bislang keine Nachweise über die Beantragung oder Erlangung von Pässen oder Passersatzpapieren vorgelegt haben. Aufgrund der Passlosigkeit besteht nach Auskunft der Ausländerbehörde ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 a Abs. 2 AufenthG. Die Antragsteller zu 1) und 2) kommen ihrer Mitwirkungspflicht zur Beschaffung der Reisedokumente nicht nach. Nach § 82 Abs. 1 AufenthG sind sie aber verpflichtet, die erforderlichen Bescheinigungen, die sie erbringen können, unverzüglich beizubringen. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die fehlende Mitwirkung des ausreisepflichtigen Ausländer bei der Beschaffung der notwendigen Reisedokumente (Pass, Passersatz), um eine Duldung zu erzwingen, als rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer zu werten ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2005 - L 7 AY 40/05 -; SG Hannover, Beschluss vom 25.4.2005 - S 51 AY 42/05 ER -; SG Düsseldorf, Beschluss vom 4.10.2006 - S 24 AY 9/06 ER -). Die Antragsteller haben ihre fehlenden Bemühungen in Bezug auf das Erlangen von Passpapieren unbestritten gelassen. Gründe, weshalb sie bislang gehindert gewesen sein sollten, die Passpapiere bei der zuständigen Landesvertretung zu beantragen bzw. zu erlangen, haben sie nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Auch dürften die Regelungen des Erlasses des Innenministeriums (IM) NRW vom 11.12.2006 zur Umsetzung des Beschlusses zu TOP 6 der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 17.11.2006 (Anordnungen nach § 23 Abs. 1 und § 60 a Abs. 1 AufenthG), der den Erlass des IM NRW vom 20.11.2006 ersetzt hat, nicht als wichtiger (rechtlicher) Grund zu sehen sein, welcher die Antragsteller von der Pflicht entbindet, in ihr Heimatland zurückzukehren, auch nicht vorübergehend bis zum 30.9.2007. Soweit der Erlass vom 11.12.2006 in Ziffer 2 eine vorübergehende Aussetzung der Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer anordnet, dürften die Antragsteller die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllen. Bei ihnen dürfte jedoch ein Ausschlusstatbestand nach Ziffer 1.4.3 gegeben sein. Von der Privilegierung durch den Erlass sind Ausländer ausgeschlossen, die (u.a.) die behördlichen Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben. Erforderlich ist ein gezieltes und nachhaltiges Unterlaufen der Aufenthaltsbeendigung, z.B. durch die beharrliche Weigerung der Mitwirkung bei der Passbeschaffung.

(2) Auch ein Anordnungsgrund liegt nicht vor. Dass im Fall der Antragsteller eine akute, existenzielle Not besteht, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Die Grundversorgung der Familie ist gewährleistet. Besondere Härten haben die Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des LSG NRW (dort wohl insbesondere des 20. Senates) zu den Anforderungen an den Anordnungsgrund in Verfahren, in denen die vorläufige Gewährung von erhöhten Leistungen nach § 2 AsylbLG begehrt wird. Danach kann der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in diesen Fällen dann nicht mit der Begründung des fehlenden Anordnungsgrundes versagt werden, wenn der Anordnungsanspruch nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung nicht zweifelhaft ist (LSG NRW 8.5.2006 - L 20 B 9/06 AY ER - m.w.N.). Dies liegt hier nicht vor, denn ein Anordnungsanspruch für die Antragsteller kann nicht festgestellt werden. Angesichts dieser Erwägungen erscheint es gerechtfertigt und den Antragstellern zumutbar, sie einstweilen auf den Bezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu verweisen.