VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 11.07.2006 - 15 A 218.06 - asyl.net: M10782
https://www.asyl.net/rsdb/M10782
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Mitwirkungspflichten, Vietnam, Vietnamesen, Rückübernahmeabkommen, Delegation, Vorführung, Passbeschaffung, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Prozessbevollmächtigte, Anwesenheit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4; VwVfG § 14 Abs. 1; VwVfG § 14 Abs. 4; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Der aus dem Tenor ersichtliche Antrag des vietnamesischen Antragstellers ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig und begründet. Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, weil erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen.

Soweit der Antragsgegner das persönliche Erscheinen des Antragstellers in seinem Dienstgebäude zwecks Weitertransports zu einer Anhörung durch eine vietnamesische Delegation angeordnet hat, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zwar vor, weil die Identität des seit langem vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers bisher im so genannten Listenverfahren nicht sicher festgestellt werden konnte und die geplante Anhörung zur Klärung dieser Frage geeignet ist. Auch dürften der abgelehnte Asylantrag und der Bericht von Report München über Unregelmäßigkeiten bei früheren Anhörungen nicht gegen die Maßnahme sprechen. Jedoch hat der Antragsgegner in seine Ermessensentscheidung nicht die Erwägung eingestellt, dass der Antragsteller sich keines Beistandes eines Bevollmächtigten bedienen darf. Darin liegt - auch wenn deutsche Bedienstete zur Gewährleistung rechtsstaatlicher Mindeststandards bei den Anhörungen anwesend sind - ein erheblicher Nachteil für den Antragsteller, der keine Person seines Vertrauens darüber zu Rate ziehen kann, welche Fragen zulässig sind und beantwortet werden müssen. Im Gegensatz zu bereits von der Kammer entschiedenen Parallelverfahren (u.a. Beschlüsse vom 15. Mai 2006 - VG 15 A 170.06 und 172.06 -) kann durch Auslegung von Bescheid und Antragserwiderung zwar nicht festgestellt werden, dass der Antragsgegner selbst den Ausschluss von Bevollmächtigten geregelt hat. Ihm war und ist aber bekannt, dass bei den Anhörungen entsprechend dem Wunsch der vietnamesischen Seite die Anwesenheit von Bevollmächtigten nicht zugelassen wird. Die Kammer neigt nach wie vor zu der Ansicht, dass diese Verfahrensweise gegen die das Anwesenheitsrecht des Bevollmächtigten bei Anhörungen gewährleistende Vorschrift des § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG verstößt, die insbesondere deshalb anwendbar erscheint, weil nur § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, nicht aber das vietnamesische Rückübernahmeabkommen eine Pflicht, sich einer Befragung zu stellen, begründet, so dass die - zudem in den Räumen deutscher Behörden und in Anwesenheit deutscher Bediensteter durchgeführten - Anhörungen nicht als ausländische Verwaltungsverfahren angesehen werden können (vgl. im Einzelnen die genannten Beschlüsse der Kammer; a.A. OVG Berlin, Beschluss vom 15. Juni 2006 - 8 S 39.06 -, mit dem ein noch nicht so ausführlich begründeter Beschluss der Kammer vom 9. Mai 2006 - VG 15 A 163.06 - geändert wurde).

Aber auch bei Zugrundelegung der Auffassung, § 14 VwVfG sei auf die Anhörungen nicht anwendbar, bestünden Bedenken gegen die Ermessensausübung des Antragsgegners. Denn das Recht auf den Beistand eines Bevollmächtigten ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, des Rechts auf ein faires Verfahren und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 14 Rn. 2 m.w.N.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 14 Rn. 3 m.w.N.). Zwar sind Beschränkungen dieses Rechts möglich (vgl. BVerfGE 38, 105, 115). Der Antragsgegner hat aber nicht abgewogen, welche Interessen es rechtfertigen, dass eine Anordnung des persönlichen Erscheinens zu Anhörungen ausgesprochen wird, bei denen der Befragte keinen Bevollmächtigten hinzuziehen darf. Solche Erwägungen sind auch nicht in der Antragserwiderung enthalten, mit der lediglich die Sicht begründet wird, bei der Befragung durch die vietnamesische Delegation handele es sich um ein ausländisches, den Bindungen des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts nicht unterliegendes Verfahren. Zwar liegt es auf der Hand, dass mit den Anhörungen ein gewichtiges öffentliches Interesse - Rückführung ausreisepflichtiger vietnamesischer Staatsbürger - durchgesetzt werden soll. Dass dieser Zweck aber maßgeblich gefährdet wäre, wenn dem - nach deutschem Recht selbstverständlichen - Wunsch auf Beistand eines Bevollmächtigten in den Anhörungen entsprochen bzw. gegenüber der vietnamesischen Seite auf eine solche Verfahrensweise hingewirkt würde, ist nicht dargelegt worden.