VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11.07.2007 - 7 G 1872/07.AF (1) - asyl.net: M10828
https://www.asyl.net/rsdb/M10828
Leitsatz:

Der Anspruch auf Einreise nach § 18 a Abs. 6 Nr. 2 AsylVfG, wenn das Bundesamt über einen Asylantrag nicht innerhalb von zwei Tagen im Flughafenverfahren entscheiden kann, besteht auch, wenn ein anderer Staat nach der Dublin II-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, Flughafenverfahren, Asylantrag, Asylgesuch, Pass, Iran, Iraner, Einreiseverweigerung, Zurückweisung, Einreisegestattung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Dublin II-VO,
Normen: AsylVfG § 18a Abs. 6 Nr. 2; AsylVfG § 18a Abs. 1; VO Nr. 343/2003 Art. 9 Abs. 1; AsylVfG § 29 Abs. 3; VwGO § 123
Auszüge:

Der gestellte Hauptantrag zu 1. auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gestattung der Einreise ist zulässig und begründet, denn der Antragsteller hat gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zusteht. Im Hinblick auf § 18a Abs. G Nr. 2 AsylVfG ist dem Antragsteller die Einreise zu gestatten, da das Bundesamt nicht innerhalb von zwei Tagen nach Stellung des Asylantrages über diesen entschieden hat.

Es mag dahinstehen, ob ein Anspruch des Antragstellers auf Gestattung der Einreise sich bereits aus den aus der Akte ersichtlichen, vom Antragsteller aber auch vorgetragenen Verfahrensverzögerungen durch die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ergeben könnte. Es spricht manches für die Annahme, dass es dem Antragsteller jedenfalls nicht ermöglicht wurde, seinen Asylantrag unverzüglich zu stellen, wie dies nach § 18a Abs. 1 S. 3 AsylVfG vorgeschrieben ist. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die persönliche Anhörung des Antragstellers durch das Bundesamt (unverzüglich) stattgefunden hat. Darauf kommt es aber nicht an. Denn jedenfalls hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über den Asylantrag, der beim Bundesamt ausweislich dessen Mitteilung vom 02.07.2007 an den Antragsteller dort am 25.06.2007 eingegangen ist, nicht innerhalb von zwei Tagen entschieden, sondern bislang überhaupt noch nicht entschieden. Folglich ist dem Antragsteller im Hinblick auf § 18a Abs. 6 Nr. 2 AsylVfG die Einreise zu gestatten.

Dem steht zunächst nicht § 16 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG entgegen, wonach dem Ausländer die Einreise zu verweigern ist, wenn er aus einem sicheren Drittstaat nach § 26a einreist. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, traf der Antragsteller am 22.08.2007 mit einem Flug aus Teheran kommend auf dem Flughafen Frankfurt/Main ein und wollte erst nach Spanien weiterreisen, weshalb er nicht aus einem sicheren Drittstaat kommt.

Es handelt sie vorliegend auch um ein sogenanntes Flughafenverfahren (Verfahren bei Einreise auf dem Luftwege) nach § 18a Abs. 1 AsylVfG. Der Antragsteller hat sich nämlich nicht nach § 18a Abs. 1 S. 2 AsylVfG mit einem gültigen Pass oder Passersatz ausgewiesen. Sein echter iranischer Pass, in dem sich ein gültiges Schengenvisum für Spanien befand, war nämlich nicht mit einer Unterschrift versehen und stellte damit keinen gültigen Pass dar. Für den Inhalt von Pässen ist allgemein anerkannt, dass ein gewisser Mindeststandard Voraussetzung für die Gültigkeit ist (Ausländerrecht für die Polizei; Westphal, Stoppa; 2. Auflage, 2001; Kapitel B, 5.; Die Passpflicht, S. 90). Deutschland erkennt entsprechend der internationalen Praxis Passe an, wenn sie den international üblichen Inhalt aufweisen. Zu dem international üblichen erforderlichen Inhalt eines Passes gehört neben dem Namen und Vornamen, Tag und Ort der Geburt, Angabe über die Staatsangehörigkeit, Bezeichnung der ausstellenden Behörde sowie die Unterschrift eines ihrer Bediensteten, Angabe der Gültigkeitsdauer, ein Lichtbild und die Unterschrift des Inhabers, woran es vorliegend fehlt.

Der Antragsteller hat auch einen Asylantrag im Sinne des § 18a Abs. 6 Nr. 2 AsylVfG gestellt. Aus § 18a Abs. 1 AsylVfG folgt, dass zunächst zu unterscheiden ist zwischen der Asylnachsuche beim Grenzschutzamt und der Asylantragstellung beim Bundesamt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Asylantragstellung beim Bundesamt nur bei der Außenstelle auf dem Flughafen persönlich erfolgen kann, ergeben sich nach Auffassung der erkennenden Einzelrichterin weder aus dem Wortlaut noch aus der Regelungssystematik des Asylverfahrensgesetzes. Eine persönliche Asylantragstellung würde überdies voraussetzen, dass dem Antragsteller eine solche Antragstellung auch ermöglicht wurde. Ob dies der Fall war, kann letztlich dahinstehen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Schreiben vom 02.07.2007 an den Antragsteller eindeutig erklärt hat, dem ein Asylantrag beim Bundesamt am 25.06.2007 eingegangen ist und bearbeitet wird. Damit hat das Bundesamt zu erkennen gegeben, dass es den vom Antragsteller gestellten Asylantrag auch als solchen behandelt. § 18a Abs. 1 S. 3 AsylVfG spricht auch nur davon, dass dem Ausländer unverzüglich Gelegenheit zur Stellung des Asylantrages bei der Außenstelle des Bundesamtes zu geben ist. Von einer persönlichen Antragstellung ist dort nicht die Rede.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist auch nicht von der Einhaltung der Frist des § 18a Abs. 6 Nr. 2 AsylVfG bzw. von der Bescheidung des gestellten Asylantrages entbunden, weil ihr dies laut Auffassung der Antragsgegnerin wegen der Einleitung eines Verfahrens auf Übernahme nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (EGV 343/2003) des Rates vom 18.02.2003 (ABl. L 50, S. 1) - VO Dublin II - verwehrt sein soll.

Die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 der VO Dublin II sind erfüllt.

Der Antragsteller besitzt einen gültigen Aufenthaltstitel für Spanien in Form eines gültigen Schengenvisums, ausgestellt durch die spanische Auslandsvertretung in Teheran. Art. 9 der VO Dublin II findet als unmittelbar anwendbares sekundäres Gemeinschaftsrecht, ohne dass es noch eines nationalen Umsetzungsaktes bedürfte, allerdings nur insoweit Anwendung, als dieser Artikel oder weitere Bestimmungen der VO Dublin II Reglungen des Asylverfahrensgesetzes überlagern und damit verdrängen. Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin ist die Rechtslage hier allerdings nicht eindeutig. Die VO Dublin II enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen zu der verfahrensmäßigen Handhabung des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, insbesondere keine Bestimmungen über die Aufenthaltsrechte und Einreiserechte des Asylsuchenden wahrend dieses Verfahrens. Die so entstehenden Lücken sind durch eine Auslegung und ggf. analoge Anwendung des nationalen Rechts zu schließen (vgl. Funke - Kaiser, in GK AsylVfG § 29 Rdnr. 121, 258).

Nach Auffassung des Gerichts muss im Falle, dass ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der VO Dublin II durchzuführen ist, während sich der Antragsteller im Flughafenverfahren nach § 18a AsylVfG befindet, eine Bescheidung des Asylantrages nach § 29 Abs. 3 AsylVfG analog stattfinden, mit der Folge, dass der Asylantrag des Antragstellers als unbeachtlich zurückzuweisen gewesen wäre. Nach § 29 Abs. 3 AsylVfG ist ein Asylantrag ferner unbeachtlich, wenn aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages ein anderer Vertragstaat, der ein sicherer Drittstaat (§ 26a) ist, für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist oder die Zuständigkeit übernimmt. § 29 Abs. 3 AsylVfG, der unmittelbar nur auf völkerrechtliche Verträge anzuwenden ist, ist auch analog auf unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht anzuwenden (vgl. Funke - Kaiser in GK: AsylVfG § 29 Rdnr. 121). Mit der Bescheidung des Asylantrages als unbeachtlich wegen der vorrangigen Zuständigkeit von Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens, hätte ggf. auch eine Abschiebungsandrohung nach Spanien gemäß den § 35 § 2AsylVfG als sicheren Drittstaat ergehen können. Die analoge Anwendung rechtfertigt sich daraus, dass die vorrangig anzuwendende VO Dublin II selbst keine Regelungen über die verfahrensmäßige Abwicklung des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens durch die nationalen Behörden enthält. Die analoge Anwendung stellt auch sicher, dass der Asylsuchende eine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit erhält, vorliegend dass er überhaupt eine Rechtsschutzmöglichkeit erhält.