VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Beschluss vom 10.05.2007 - 8 L 173/07 - asyl.net: M11410
https://www.asyl.net/rsdb/M11410
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Ausländerbehörde, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, räumliche Beschränkung, Krankheit, sachliche Zuständigkeit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Beweislast, Sachaufklärungspflicht
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1; OBG NRW § 4 Abs. 1; AsylVfG § 50 Abs. 4; AsylVfG § 50 Abs. 5; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

1. Der Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, gegen den Antragsteller angedrohte Zwangsmaßnahmen zwecks Durchsetzung einer "Verlassenspflicht" (Aufforderung vom 17. April 2007) zu ergreifen, und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zu erteilen, hat Erfolg.

Der Antragsteller begehrt in erster Linie die Aussetzung seiner Abschiebung in sein Heimatland, d.h. seine Duldung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners zur Fortsetzung seiner psychotherapeutischen Behandlung in einer durch bestehende private Beziehungen "geschützten" Umgebung, die er am Ort seiner asylverfahrensrechtlichen Zuweisung, dem Landkreis G. /T., als nicht gegeben sieht. Ist das Vorliegen eines entsprechenden Duldungsgrundes nach § 60 a Abs. 2 AufenthG – rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit einer Abschiebung – mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens feststellbar, so folgt daraus die Unzulässigkeit einer Rückführung nach T.

Der Antragsgegner ist für die Erteilung der im vorliegenden gerichtlichen Verfahren begehrten Duldung (zumindest auch) örtlich zuständig (§ 4 Abs. 1 OBG NRW). Er kann sich dem Begehren des Antragstellers nicht durch die Durchsetzung der in Aufforderung vom 17. April 2007 formulierten "Verlassenspflicht" entledigen. Nach nunmehr ständiger und gefestigter Rechtsprechung des hier zuständigen 19. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) (vgl. Beschlüsse vom 29. November 2005, 19 B 2364/03 (länderübergreifend) und 19 B 269/04 (landesintern), beide eingestellt in NRWE (www.justiz.nrw.de/nrwe), vgl. auch Beschluss vom 26. Juli 2002 - 19 B 1577/02 -, Beschluss vom 28. Juli 2003 - 19 B 2409/03 -, Beschluss vom 31. Juli 2006 - 19 B 1867/05 -) ist die Ausländerbehörde des Aufenthaltsortes für die Erteilung einer Duldung eines Ausländers nach dessen Wohnsitzwechsel aus dem Bezirk einer anderen Ausländerbehörde (auch) örtlich zuständig. Sie darf den Ausländer, wenn der Wohnsitzwechsel aus ernstlichen Gründen erforderlich ist, grundsätzlich nicht z. B. auf ihrer Auffassung nach entsprechende Möglichkeiten im Bezirk der anderen Ausländerbehörde verweisen. Insofern begründet auch das Fortbestehen einer asylverfahrensrechtlichen Zuweisungsentscheidung nicht eine ausschließliche ausländerrechtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Zuweisungsortes. Die Fortgeltung einer Zuweisungsentscheidung nach § 50 Abs. 4 und 5 AsylVfG steht der Erteilung einer Duldung aus asylverfahrensunabhängigen Gründen, die einen behördenübergreifenden Wohnsitzwechsel innerhalb eines Bundeslandes ermöglicht, nicht entgegen.

Der Antragsteller hat auch mit der im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass mit Blick auf dessen psychische Erkrankung ein Duldungsgrund nach § 60 a Abs. 2 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) – rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung – wegen Reiseunfähigkeit vorliegt.

Der Antragsgegner ist als örtliche Ausländerbehörde auch für die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 60 a Abs. 2 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG zuständig. Das Vorbringen des Antragstellers im vorliegenden, auf die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gerichteten Verfahren wegen Reiseunfähigkeit des Antragstellers infolge dessen psychischer Erkrankung, insbesondere wegen dringender Anzeichen einer Traumatisierung im Heimatland, ist nicht etwa als materielles Asyl(folge)begehren zu werten mit der Folge, dass insoweit die Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundsamt) begründet wäre. Für die Prüfung, ob eine Abschiebung wegen inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse – wie hier wegen geltend gemachter Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit der Abschiebung – unmöglich ist, ist jedoch auch bei erfolglosen Asylsuchenden ausschließlich die örtliche Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zuständig.

Den vom Antragsteller im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Attesten lässt sich entnehmen, dass dem Antragsteller im Falle einer Abschiebung derzeit mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit wesentliche oder gar lebensbedrohliche Gesundheitsgefahren drohen, die zu einer Reiseunfähigkeit und damit zu einem Duldungsgrund nach § 60 a Abs. 2 AufenthG führen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem vom Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen durch Erlasse vom 16. Dezember 2004 und vom 15. Februar 2005 - 15-39.10.03-1-BÄK für verbindlich erklärten Informations- und Kriterienkatalog zu Fragen der ärztlichen Mitwirkung bei Rückführungen vom 22. November 2004 bei der Prüfung der Reisetauglichkeit eine Stellungnahme des bei psychischen Erkrankungen von der Ausländerbehörde einzuschaltenden psychologisch-psychotherapeutischen Sachverständigen gerade auch zu der Frage einzuholen ist, ob im Falle der Verneinung der Reisefähigkeit die Reisetauglichkeit ggfs. mit begleitenden Vorsorgemaßnahmen, die eine wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes als unwahrscheinlich erscheinen lassen müssen, hergestellt werden kann, wobei die insoweit erforderlichen Vorsorgemaßnahmen genau zu beschreiben sind. Insoweit ist es Sache des Antragsgegners konkret darzulegen, welche Maßnahmen er zur Verhinderung einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes treffen wird (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. August 2006 - 19 E 397/06 - und vom 21. Januar 2005 - 19 B 45/05 -).