LG Erfurt

Merkliste
Zitieren als:
LG Erfurt, Beschluss vom 10.09.2007 - 2 T 406/06 - asyl.net: M11489
https://www.asyl.net/rsdb/M11489
Leitsatz:

Keine Entziehungsabsicht gem. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG, wenn der Ausländer zwar seine Mitwirkungspfichten bei der Passbeschaffung verletzt (hier: Nichtwahrnehmung eines Vorführungstermins bei der Auslandsvertretung), die Ausländerbehörde aber nicht alle zulässigen Möglichkeiten zur Vorbereitung der Abschiebung, insbesondere Zwangsvollstreckung, ausgeschöpft hat.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Entziehungsabsicht, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Passersatzbeschaffung, Vorführung, Auslandsvertretung
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 82 Abs. 4
Auszüge:

Keine Entziehungsabsicht gem. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AufenthG, wenn der Ausländer zwar seine Mitwirkungspfichten bei der Passbeschaffung verletzt (hier: Nichtwahrnehmung eines Vorführungstermins bei der Auslandsvertretung), die Ausländerbehörde aber nicht alle zulässigen Möglichkeiten zur Vorbereitung der Abschiebung, insbesondere Zwangsvollstreckung, ausgeschöpft hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Verhängung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht Weimar war rechtswidrig. Nach § 62 Abs. 2 S. 1 AufenthG darf Sicherungshaft gegen den Ausländer im Falle des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen u. a. dann verhängt werden, wenn er sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat oder der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will (§ 62 Abs. 2 Ziff. 4 und 5 AufenthG). Soweit das Amtsgericht Weimar darauf abgestellt hat, dass der Betroffene sich aufgrund der Nichtwahrnehmung der Vorführungstermine beim türkischen Generalkonsulat zur Beschaffung der notwendigen Ausreisepapiere am 01.02., 22.02.2005 und 11.07.2006 in sonstiger Weise der Abschiebung im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. AufenthG entzogen habe, ist es seiner von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung zum Erfordernis der Sicherungshaft nicht hinreichend nachgekommen.

Sicherungshaft auf der Grundlage des § 62 Abs. 2 AufenthG soll die Abschiebung sichern, die noch der organisatorischen Vorbereitung bedarf. Aufgrund der ihr allein wesenseigenen Sicherungsfunktion setzt Sicherungshaft insoweit voraus, dass die Abschiebung ernstlich betrieben wird. Verweigert der Ausländer die erforderliche Mitwirkung bei der Beschaffung der erforderlichen Reisedokumente, so ist die Ausländerbehörde zunächst unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gehalten, alle sonstigen Möglichkeiten zur Vorbereitung und Durchführung der Abschiebung auszuschöpfen (BayObLGZ 1996, 17 (18)). Freiheitsentziehungen sind auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Insoweit hat die Beschwerdegegnerin in ihrem ursprünglichen Antrag vom 23.08.2006 zwar darauf abgestellt, dass andere Zwangsmittel als die zwangsweise Vorführung des Betroffenen zum türkischen Konsulat untunlich seien, da die Androhung von Zwangsgeld im vorliegenden Fall keinen Erfolg verspreche. Hierbei hat sie aber nicht ausreichend dargelegt, dass sie die ihr nach § 82 Abs. 4 S. 2 AufenthG eröffnete Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung der Vorführung des Betroffenen mit den Mitteln polizeilicher Hilfe - als geringsten Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen - hinreichend versucht hat. Die mangelnde Mitwirkung des Ausländers zur Ausstellung eines Heimreisedokumentes kann nur dann einen Haftgrund darstellen, wenn entsprechende behördliche Bemühungen deswegen erfolglos waren. Wie die Beschwerdegegnerin selbst im Laufe des Beschwerdeverfahrens eingeräumt hat, hatte sie kurzfristig eine Vorführung des Betroffenen zur Beschaffung eines Passersatzdokuments für den 29.08.2006 beim türkischen Konsulat erwirken und letztlich auch erfolgreich durchführen können. Insoweit hat sie in ihrem Antrag zur Verhängung der Sicherungshaft vom 23.08.2006 wie auch während des Beschwerdeverfahrens nicht hinreichend dargetan, warum ihr nach den erfolglos gebliebenen Vorführungsersuchen, wonach der Betroffene freiwillig seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen hatte, die zwangsweise Vorführung unter den Voraussetzungen des § 82 Abs. 4 S. 2 AufenthG - ohne Erfordernis der Verhängung von Sicherungshaft - nicht möglich gewesen sei.