OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 - asyl.net: M11536
https://www.asyl.net/rsdb/M11536
Leitsatz:

Yeziden sind in der Türkei seit dem Jahr 2003 nicht mehr einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Türkei, Jesiden, Gruppenverfolgung, religiös motivierte Verfolgung, Religion, religiöses Existenzminimum, Verfolgungsdichte, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Sicherheitslage, politische Entwicklung, Reformen, Schutzbereitschaft, mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Auswärtiges Amt, Lageberichte, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7
Auszüge:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG noch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) zu. Ebenso wenig bestehen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG (früher: § 53 AuslG).

Der Senat geht aber aufgrund der aktuellen Erkenntnislage in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon aus, dass eine asylerhebliche Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei seit etwa dem Jahr 2003 nicht mehr gegeben ist.

Die genaue Zahl der gegenwärtig dauerhaft in der Türkei lebenden Yeziden ist schwierig festzustellen. Das Auswärtige Amt geht seit dem Lagebericht vom 19. Mai 2004 (S. 26) davon aus, dass im Südosten der Türkei noch ca. 2.000 Yeziden leben (so auch Lagebericht vom 11.1.2007, S. 26 sowie Auskünfte v. 26.1.2007 an Nds. OVG, v. 20.1.2006 an OVG Sachsen-Anhalt u. v. 3.2.2004 an VG Braunschweig). Eine Zahl von 524 ständig in der Türkei lebenden Yeziden zum Stand 30. März 2006 ermittelte das Yezidische Forum e.V. (Oldenburg) in seiner Stellungnahme vom 4. Juli 2006.

Letztlich kann die genaue Zahl der im Südosten der Türkei dauerhaft lebenden Yeziden dahinstehen. Selbst wenn man lediglich von 500 bis 600 Personen ausgeht, sind nach Auffassung des Senats die Voraussetzungen für die Annahme einer an die Religion anknüpfenden Gruppenverfolgung nicht (mehr) erfüllt. Nach Auswertung der dazu vorliegenden Erkenntnismittel ist jedenfalls davon auszugehen, dass etwa seit dem Jahr 2003 keine so dicht und eng gestreuten Verfolgungsschläge vorliegen, dass jedes Gruppenmitglied damit rechnen müsste, alsbald in eigener Person getroffen zu werden. Im Übrigen lässt sich nicht feststellen, dass der türkische Staat bei Übergriffen von muslimischen Nachbarn gegen Yeziden grundsätzlich keinen Schutz gewährt.

Religiöse oder religiös motivierte Verfolgung ist allgemeiner Ansicht nach politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG, wenn sie nach Art und Schwere geeignet ist, die Menschenwürde zu verletzen und über das hinausgeht, was die Bewohner des Herkunftsstaates allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, 357; Urt. v. 1.7.1987 - 2 BvR 478/96 u.a. -, BVerfGE 76, 143, 158; BVerwG, Urt. v. 18.2.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31; Marx, Kommentar zum AsylVfG, 6. Aufl., § 1 Rn. 48). Es muss sich um Maßnahmen handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte Persönlichkeit ähnlich schwer treffen wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische Freiheit, etwa wenn sie ihn seiner religiösen Identität berauben, indem ihm etwa unter Androhung von Strafen für Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte seiner Glaubensüberzeugung zugemutet wird oder er daran gehindert wird, seinen eigenen Glauben, so wie er ihn versteht, im privaten Bereich und zusammen mit anderen Gläubigen zu bekennen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.7.1987, a.a.O., S. 158 ff.). Art. 16 a GG (und auch § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) schützen daher vor Verfolgung im privaten Bereich und damit zumindest das "religiöse Existenzminimum". Allerdings ist der Schutzbereich der Religionsfreiheit durch Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/83/EG des Rats vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie) auf die öffentliche Glaubensbetätigung erweitert worden (vgl. OVG des Saarlandes, Beschl. v. 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, juris; Nds. OVG, Urt. v. 19.3.2007 - 9 LB 373/06 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -, juris; Marx, a.a.O., § 1 Rn. 206). Die Vorgaben dieser Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 abgelaufen ist, sind solange unmittelbar anzuwenden, bis die noch ausstehende Transformierung in das deutsche Recht erfolgt ist (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.11.2006, a.a.O.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats seit dem oben genannten Grundsatzurteil (a.a.O.) waren glaubensgebundene Yeziden in ihren traditionellen Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei zumindest seit 1988/89 wegen ihrer Religionszugehörigkeit einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung durch die muslimische Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt, der sie sich auch nicht durch Ausweichen in andere Landesteile entziehen konnten.

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (Urt. v. 29.9.2005 - 1 LB 39/04 -) und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 14.2.2006 - 15 A 2119/02.A -) haben unter Änderung ihrer bisherigen Rechtsprechung mittlerweile eine Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei verneint.

Auf den Kläger des vorliegenden Verfahrens ist nicht der normale Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, sondern der für ihn günstigere Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit anzuwenden. Dieser sog. herabgestufte Prognosemaßstab kommt dem Kläger deshalb zugute, weil jedenfalls im Zeitpunkt seiner Ausreise im Juli 2001 nach der damaligen Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (ebenso OVG NRW, Urt. v. 23.7.2003 - 8 A 3920/02.A -) eine mittelbare staatliche Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei bestand.

Die Sicherheitslage der Yeziden in der Türkei hat sich nach Auffassung des Senats in den letzten Jahren entscheidungserheblich verbessert.

Bereits für den Zeitraum ab dem Jahr 2000 hatte das Verwaltungsgericht Hannover nach Auswertung zahlreicher bei ihm anhängig gewesener Klageverfahren festgestellt, dass einerseits in Deutschland lebende Yeziden vorübergehend oder endgültig in die Türkei zurückgekehrt waren und dass andererseits in der Türkei lebende Yeziden nach einem Besuch von Verwandten in Deutschland wieder in die Türkei zurückgekehrt waren (vgl. dazu d. Urt. v. 30.4.2003 - 1 A 389/02 - nebst Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom selben Tag). Das Verwaltungsgericht hat aus diesem Verhalten den durchaus naheliegenden Schluss gezogen, dass die betreffenden Yeziden selbst ihre Situation in der Türkei nicht mehr als bedrohlich empfanden.

Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Auskunft v. 26.1.2007, a.a.O.) ist der "Grundbesitzerwerb" durch Yeziden gestiegen.

Zudem lässt sich weiterhin feststellen, dass in der Türkei lebende Yeziden, die zu Besuchszwecken in Deutschland waren, wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind.

Dagegen haben sich die Erwartungen an eine dauerhafte Rückkehr von in Deutschland lebenden Yeziden nur in einem geringen Umfang erfüllt.

Dass bisher nur relativ wenige im Ausland lebende Yeziden dauerhaft in ihre Heimat zurückgekehrt sind, ist aber kein Beleg für das Fortbestehen einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei. Denn nach Auffassung des Senats sind dafür keine asylerheblichen Gründe ausschlaggebend.

Auch die Yeziden hatten im Südosten der Türkei unter den dortigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der PKK zu leiden, insbesondere begünstigten diese die Landnahme durch kurdische Moslems (vgl. AA, Lagebericht v. 19.5.2004, S. 26).

Erschwerend kommt hinzu, dass Rückkehrer auch auf erhebliche soziale und wirtschaftliche Schwierigkeiten stoßen.

Dass das Interesse an einer Rückkehr der in Westeuropa lebenden Yeziden in die Türkei offensichtlich gering ist, erklärt sich auch damit, dass die meisten von ihnen schon vor langer Zeit ausgewandert sind und inzwischen in die Gesellschaft ihrer Aufnahmeländer integriert sind.

Ein weiteres Hindernis für eine Wiederansiedlung von Yeziden im Südosten der Türkei stellt der Widerstand von Teilen der dort ansässigen muslimischen Bevölkerung dar. Die Rückkehrer haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich in Schikanen, Einschüchterungsversuchen und gewalttätigen Angriffen äußern. Dabei handelt es sich aber nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht vorrangig um Übergriffe, die an die yezidische Religionszugehörigkeit anknüpfen. Vielmehr sind dafür andere Ursachen maßgebend. Im Vordergrund stehen Auseinandersetzungen zwischen Yeziden und benachbarten Moslems über Eigentums- und Besitzfragen. Insbesondere die kurdischen Großgrundbesitzer und Stammesfürsten (sog. Agas) und die mit ihnen verbündeten Dorfschützer, die yezidische Dörfer besetzt und die dazu gehörenden Ländereien bewirtschaftet hatten, stehen der Rückkehr von Yeziden ablehnend gegenüber. Es wird in diesem Zusammenhang berichtet, dass seitens dieser Kräfte auch versucht wird, Rückkehrer durch Androhung von Gewalt zu vertreiben. Ferner darf der soziale Neid nicht unterschätzt werden, der den zum Teil finanziell besser gestellten Rückkehrern entgegenschlägt. Mit ähnlichen Schwierigkeiten haben aber auch andere Rückkehrer, wie etwa die syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin oder sogar muslimische Kurden, zu kämpfen (vgl. AA, Lagebericht v. 11.1.2007, S. 26; Senats-urt. v. 21.6.2005 - 11 LB 256/02 -).

Im Übrigen ist festzustellen, dass Yeziden in der Türkei mittlerweile verstärkt mit effektivem staatlichen Schutz rechnen können.

Zur Verbesserung der Lage der Yeziden haben auch die in den letzten Jahren in der Türkei allgemein festzustellenden politischen und rechtlichen Veränderungen wesentlich beigetragen.

Ebenso wenig gibt es tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die auch in der Türkei in Teilbereichen zu beobachtende Reislamisierung zu einer Zunahme von asylerheblichen Übergriffen auf Yeziden geführt hat.

Die Annahme einer asylerheblichen Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei lässt sich auch nicht auf die Vorfälle aus den Jahren 2002 bis 2006 stützen, wie sie von dem Yezidischen Forum (Stellungnahme v. 4.7.2006), dem Sachverständigen Baris (Gutachten v. 17.4.2006 an OVG Sachsen-Anhalt) und dem Kläger des vorliegenden Verfahrens im Einzelnen geschildert worden sind.

In beiden Stellungnahmen werden der Auskunft des Auswärtigen Amtes verschiedene Mängel und Fehleinschätzungen vorgeworfen.

Auskünfte des Auswärtigen Amtes haben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urt. v. 22.1.1985 - 9 C 52.83 -, InfAuslR 1985, 147 = DVBl. 1985, 577; Beschl. v. 31.7.1985 - 9 B 71.85 -, InfAuslR 1986, 74 = NJW 1986, 3221) allgemein einen hohen Beweiswert. Auch nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts kommen sie den tatsächlichen Verhältnissen wohl am nächsten, zumal sie vom Bemühen um Objektivität gekennzeichnet seien (Beschl. v. 23.2.1993 - 1 BvR 990/82 -, BVerfGE 63, 197, 213 f.). Lageberichte und Auskünfte des Auswärtigen Amtes stellen daher eine wesentliche tatsächliche Entscheidungsgrundlage im Asylprozess dar. Welche Schlüsse aus den Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes zu ziehen sind, ist dagegen eine Frage der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung, im Rahmen derer die zu dem jeweiligen Herkunftsland vorliegenden, gegebenenfalls auch einander (teilweise) widersprechenden Erkenntnismittel der verschiedenen Institutionen, Organisationen und Personen zu gewichten und rechtlich zu bewerten sind. Allerdings sind die Tatsachengerichte ausnahmsweise zu näherer Prüfung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes verpflichtet, wenn durch ganz bestimmte Anhaltspunkte belegte Zweifel an der Zuverlässigkeit der in der Auskunft verwerteten Informationen erkennbar sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.8.2006 - 1 B 24.06 -; Beschl. v. 31.7.1985, a.a.O.). Die Aussagekraft von Gutachten und Stellungnahmen anderer Stellen kann dadurch geschmälert sein, dass sie bestimmte Interessen vertreten oder in Gegnerschaft zur Regierung des betreffenden Herkunftslandes stehen und deshalb die erforderliche Objektivität und Distanz ganz oder teilweise vermissen lassen (vgl. etwa Schenk, in: Hailbronner, AuslR, vor § 74 AsylVfG Rn. 102 u. 110; Dürig, Beweismaß und Beweislast im Asylrecht, 1990, S. 7). So ist bei den vorliegenden Stellungnahmen des Yezidischen Forums zu bedenken, dass es sich um einen Zusammenschluss von Yeziden aus Oldenburg und Umgebung in Gestalt eines eingetragenen Vereins handelt, dessen Ziel "die Aufrechterhaltung und Weitervermittlung der religiösen und kulturellen Inhalte sowie Werte und Bräuche unter yezidischen Gesellschaftsformen in der Diaspora" ist (vgl. die Internetveröffentlichung unter www.yezidi.org/28.98.html). Von daher ist die Gefahr einer interessenorientierten Betrachtungsweise nicht auszuschließen. Die außerdem zur Beurteilung einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei herangezogenen gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen Baris, der - wie bereits erwähnt - der yezidischen Glaubensgemeinschaft angehört, sind ebenfalls unter diesem Aspekt kritisch zu überprüfen. Zweifel an der Unparteilichkeit des Gutachters lassen sich aber auch aus anderen Umständen herleiten.

Hiervon ausgehend kann nicht festgestellt werden, dass die in den Lageberichten und Auskünften des Auswärtigen Amtes zur Situation der Yeziden in der Türkei mitgeteilten Informationen durch anders lautende Erkenntnisse des Yezidischen Forums, von Baris und des Klägers ernsthaft erschüttert worden sind. Auch wenn die Aussagen des Auswärtigen Amtes in einigen Punkten unklar, widersprüchlich, beschönigend oder übertrieben sein sollten, würde dies den Beweiswert seiner Stellungnahmen insgesamt nicht in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigen.

Aber selbst wenn einige der vom Yezidischen Forum, von dem Sachverständigen Baris und dem Kläger genannten Fälle entgegen den vorstehenden Ausführungen des Senats asylrelvant sein sollten, zumal sich auch nicht immer eindeutig ermitteln lässt, inwieweit Übergriffe gegen Yeziden überwiegend religiös motiviert sind oder ob sie hauptsächlich einen wirtschaftlichen oder kriminellen Hintergrund haben, würden diese schon von ihrer Anzahl her nicht ausreichen, um die erforderliche Verfolgungsdichte für den hier maßgeblichen Zeitraum von 2003 bis Mitte 2007 zu belegen. Für eine Beruhigung der Lage spricht zudem, dass der letzte in diesem Zusammenhang berichtete Vorfall sich im Oktober 2006 ereignet hat. Wären seitdem weitere Übergriffe gegen Yeziden erfolgt, wäre dies wahrscheinlich auch bekannt geworden. Insbesondere die verschiedenen yezidischen Exilorganisationen haben - wie auch im vorliegenden Verfahren deutlich geworden ist - ein erhebliches Interesse an der Veröffentlichung derartiger Vorfälle, zumal im Ausland lebende Yeziden, die vermehrt in ihre Heimat reisen und auch im Übrigen in Kontakt mit den dort lebenden Verwandten stehen, davon bestimmt erfahren hätten. Ebenso wäre den Menschenrechtsorganisationen, die inzwischen in der Türkei weitgehend frei von staatlichen Einschränkungen arbeiten können (vgl. AA, Lagebericht v. 11.1.2007, S. 5), und den nationalen und internationalen Medien dies vermutlich nicht verborgen geblieben. Außerdem steht die Türkei vor allem im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz von religiösen Minderheiten während des laufenden Beitrittsprozesses unter ständiger Beobachtung der Europäischen Union. Aus diesen Gründen hält es der Senat auch für unwahrscheinlich, dass es in den Jahren 2003 bis 2006 eine nennenswerte Anzahl von nicht bekannt gewordenen Verfolgungshandlungen (sog. Dunkelziffer) gegeben haben könnte. Auch wenn es sich bei den Yeziden in der Türkei um eine nach den Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts besonders kleine Gruppe handelt, lässt sich nach alledem nicht feststellen, dass die Verfolgungsschläge so zahlreich sind, dass jeder bisher nicht betroffene Yezide konkret befürchten müsste, in absehbarer Zeit selbst betroffen zu werden.

Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass Yeziden in der Türkei bei ihrer Religionsausübung unzumutbar behindert werden. Dass das religiöse Existenzminimum im privaten Bereich durch radikale Muslime nachhaltig beeinträchtigt sei, behauptet auch der Kläger nicht. Allerdings sieht das Yezidische Forum (Stellungnahme v. 4.7.2006) eine Verfolgung wegen Religionszugehörigkeit im Sinne des Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie darin, dass eine gemeinschaftliche und öffentlich sichtbare Ausübung der yezidischen Religion in der Türkei nicht möglich sei. Zwar dehnt diese Vorschrift - wie bereits dargelegt - den Schutz vor religiöser Verfolgung auf die öffentliche Glaubensbetätigung aus. Um die Glaubensausübung im öffentlichen Bereich geht es aber bei den Yeziden gerade nicht (vgl. Nds.OVG, Urt. v. 19.3.2007, a.a.O.). Denn die religiösen Rituale der Yeziden dürfen nicht vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden.