Merkliste
Zitieren als:
, Bescheid vom 08.08.2007 - 5260215-439 - asyl.net: M11538
https://www.asyl.net/rsdb/M11538
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, menschenrechtswidrige Behandlung, Konversion, Apostasie, Christen, Missionierung, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Religionsfreiheit, religiöses Existenzminimum, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wird abgelehnt.

Die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG kann dann nicht erfolgen, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die der Ausländer nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat (sog. subjektive Nachfluchtgründe), es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Ausländer sich aufgrund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte (§ 28 Abs. 1 AsylVfG).

Entsprechend kann gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG die Feststellung, dass die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, in der Regel nicht mehr getroffen werden, wenn sich der Antragsteller im Folgeverfahren auf subjektive Nachfluchtgründe im Sinne des § 28 Abs. 1 AsylVfG beruft, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages selbst geschaffen hat.

Diese Ausschlussgründe sind im vorliegenden Fall gegeben.

Der Antragsteller hat in beiden vorangegangenen Asylverfahren (Aktenzeichen: 5044856-439 und 5208163-439) mit keinem Wort erwähnt, dass er bereits im Iran die Absicht gehegt hätte, zum christlichen Glauben zu konvertieren. Auch im Rahmen der jetzigen informatorischen Anhörung vom 03.08.2007 erklärte er lediglich, er sei bereits im Iran mit dem Islam unzufrieden gewesen, ohne dass er jedoch Anhaltspunkte dafür vortrug, bereits zum damaligen Zeitpunkt konkret geplant zu haben, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden. Insoweit handelt es sich hinsichtlich der von ihm nunmehr vorgetragenen Konversion zum Christentum um einen subjektiven Nachfluchtgrund, der zum Ausschluss der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG führt.

Es liegt jedoch ein Verbot der Abschiebung gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 vor.

Der Religionsbegriff im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der EU-Richtlinie, auf den sich der Antragsteller seit dem 10.10.2006 unmittelbar berufen kann, geht über den bislang auf der nationalen Ebene der Bundesrepublik Deutschland gewährten Schutz des sog. religiösen Existenzminimums (Forum internum) hinaus, in dem er theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft umfasst, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Insbesondere mit der Bestimmung, dass der Religionsbegriff auch die Teilnahme an religiösen Riten nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich umfasst und darüber hinausgehend alle sonstigen religiösen Betätigungen oder Meinungsäußerungen sowie Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft beinhaltet, geht eine Ausweitung des bislang in Deutschland angenommenen Schutzbereiches einher. Unter dem Begriff der Ausübung religiöser Riten im öffentlichen Bereich rechnen insbesondere die ungehinderte Teilnahme an öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen Gottesdiensten in Gotteshäusern auch unter freiem Himmel, wie sie etwa für die christliche Religion allgemein üblich und vorgesehen ist. Die EU-Richtlinie sieht eine Beschränkung des Schutzes auf die Religionsausübung allein im privaten Bereich oder im nachbarschaftlichen Rahmen nicht vor. Daher kann ein Konvertit im Gegensatz zu der vormaligen Rechtslage seit der unmittelbaren Geltung der Qualifikationsrichtlinie nicht mehr darauf verwiesen werden, seinen Glauben bzw. die nach seinen Glauben wesentlichsten Riten allein im Rahmen seiner Privatsphäre zu verrichten.

Bei einer Rückkehr in den Iran hätte der Antragsteller, der glaubhaft vortrug, zum evangelischen Glauben konvertiert zu sein, keine Möglichkeit, seinen Glauben frei ausüben zu können, ohne mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG relevanten Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu werden. Im Falle einer öffentlichen Bekundung seines Abfalls vom Islam und seiner Zuwendung zum Christentum sowie einer Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit, wie etwa der Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten oder der Vornahme von Gebeten unter freiem Himmel allein oder in Gemeinschaft mit anderen würde der Antragsteller sich der beachtlichen Gefahr staatlicher Willkürmaßnahmen aussetzen. Zwar leben die Muslime im Iran mit den Angehörigen der drei weiteren durch die Verfassung anerkannten Religionsgemeinschaften (Christentum, Zoroastrismus und Judentum) im Wesentlichen friedlich nebeneinander, weshalb die Anhänger der traditionellen Kirchen wie die armenischen, assyrischen oder chaldäischen Christen im Iran grundsätzlich keine Verfolgung zu befürchten haben. Demgegenüber können jedoch Mitglieder solcher religiöser Minderheiten, denen zum Christentum konvertierte Muslime angehören, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein. Dies gilt insbesondere für alle missionierenden Christen. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 21.09.2006) kommt es auch vor, dass zum Christentum konvertierte Iraner bis hin zur Ausgrenzung benachteiligt werden. Konvertiten sind im Iran einer erhöhten Gefährdungssituation ausgesetzt, da die Behörden vermuten, zugleich mit der Konversion gehe eine regimekritische Handlung einher. Berichten zufolge wurden Konvertiten, sobald ihr Übertritt den Behörden bekannt wird, zum Informationsministerium zitiert, wo sie wegen ihres Verhaltens scharf verwarnt wurden. Sollten sie weiterhin in der Öffentlichkeit auffallen, beispielsweise durch Besuche von Gottesdiensten, Missionsaktivitäten oder Ähnlichem, könnten sie nach Belieben von den iranischen Behörden mit Hilfe konstruierter Vorwürfe wie Spionage, Aktivitäten in illegalen Gruppierungen oder aus anderen Gründen vor Gericht gestellt werden. Ob ein Konvertit durch den iranischen Staat tatsächlich verfolgt wird oder nicht, hängt somit im Wesentlichen mit seinem Verhalten in der Öffentlichkeit zusammen. Ein Konvertit, der im Ausland zum Christentum übergetreten ist, kann nur so lange wirklich und ungefährdet wieder zurückkehren, wie die iranischen Behörden keinerlei Kenntnis bezüglich seiner Konversion erhalten. So lange Konvertiten ihren Glauben unbemerkt von den iranischen Behörden und unbemerkt von Familienangehörigen, Nachbarn oder Bekannten ausüben, droht ihnen keine Gefahr durch den iranischen Staat. Sollten sie sich allerdings in der Öffentlichkeit auffällig verhalten oder gar missionieren, müssten sie mit einschneidenden Maßnahmen der Regierung rechnen. Sollten Familienangehörige der Apostaten extrem fanatische Moslems sein, kann der Übertritt zum Christentum zur nachhaltigen Denunzierung bei iranischen Sicherheitsdiensten führen. Zugleich kann der Übertritt immer auch als Hochverrat, Staatsverrat und Abfall von der eigenen Sippe und dem eigenen Stamm angesehen werden. Dies kann zu zahlreichen Anzeigen von Familienangehörigen sowie zu schweren körperlichen Misshandlungen und unter Umständen längeren Verhaftungen durch iranische Sicherheitsdienste führen.

Allen zugrundeliegenden Auskünften ist zusammenfassend zu entnehmen, dass Apostaten im Fall ihrer öffentlichen christlichen Glaubensbetätigung im Iran einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt sind. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, dass ein Verfahren wegen Hochverrats eingeleitet wird oder die Angelegenheit entweder über die Vorschriften, die wegen Tätigkeit in verbotenen Gruppen besteht oder über den Verstoß gegen den islamischen Odre Public geregelt wird.

Die von dem Antragsteller zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen müssen darüber hinaus als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden. Zwar ist nicht zu erwarten, dass der iranische Staat jeden vom islamischen Glauben abgefallenen und zum Christentum konvertierten Staatsangehörigen verfolgen wird. Aufgrund der Willkür des iranischen Regimes ist bei einer offenen Darstellung des Glaubensübertrittes sowie im Falle einer nicht verheimlichten Religionsausübung jedenfalls in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle mit der Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass im Iran Folter bei Verhören, in der Untersuchungs- und in regulärer Haft vorkommt. Weiterhin gibt es willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil. Seit der Wahl von Mahmoud Ahmadinejad zum Staatspräsidenten im Jahre 2005 ist die Reformpolitik seines Vorgängers vollständig zum Erliegen gekommen. Bei der Beurteilung des Grades der Wahrscheinlichkeit der den Antragsteller zu erwartenden Verfolgungsmaßnahmen darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Abfall vom Islam zwar nach dem kodifizierten islamischen Strafrecht selbst nicht mit Strafe bedroht ist, es jedoch eine ungeschriebene religiös-gesetzliche Strafbarkeit der Apostasie gibt, die im islamischen Kulturkreis nicht mit einer persönlich-seelischen Gewissensentscheidung, sondern mit dem politischen Hochverrat an der Gemeinschaft der Gläubigen in Verbindung gebracht und deshalb als todeswürdiges Verbrechen eingestuft wird.

Die obigen Ausführungen belegen für den Fall des Antragstellers, dass dieser bei einer Rückkehr in den Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG zu rechnen hätte, weil er glaubhaft vortrug, seit seiner Konversion im November 2006 permanent missionierend für die Freie Persische Evangelische Kirchengemeinde tätig geworden zu sein, in dem er versuchte, andere Moslems, insbesondere iranischer Abstammung sowohl in der Fußgängerzone seiner Heimatstadt als auch an seinem Ausbildungsplatz als Sprach- und Kulturmittler in Wuppertal wie auch bei Besuchen in Cafés, für den christlichen Glauben zu gewinnen, in dem er mit ihnen Gespräche über die Religion führte und sie anschließend bei Gesprächsbereitschaft nach Hause zum Essen einlud bzw. Informationsmaterial über den christlichen Glauben an verschiedenen Orten in der Stadt verteilte. In diesem Zusammenhang trug er auch überzeugend vor, bislang seien zwei seiner Arbeitskollegen als Sprach- und Kulturmittler ebenfalls zum christlichen Glauben konvertiert, während sich Einige noch auf die Taufe vorbereiten müssten, wobei wiederum andere entsetzt über seine Anwerbungsversuche gewesen seien und keinerlei Verständnis hierfür gezeigt hätten. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller während seiner zahlreichen Anwerbungsversuche unter seinen iranischen Landsleuten hierbei in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden geraten ist und sein Name bereits registriert wurde. Da er glaubhaft vortrug, er sehe es als Christ einer Evangelischen Freikirche als seine Aufgabe an, auch im Iran seinen Glauben wie bisher im Bundesgebiet auszuüben, folglich ebenfalls zu missionieren, müsste er somit bei einer Rückkehr in den Iran mit verfolgungsrelevanten Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG rechnen, so dass bei ihm ein entsprechendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der EU-Richtlinie festzustellen war.