Kein Ausschluss der Bleiberechtsregelung wegen lange zurückliegender Falschangaben.
Kein Ausschluss der Bleiberechtsregelung wegen lange zurückliegender Falschangaben.
(Leitsatz der Redaktion)
Die zulässige Klage, die sich nur noch gegen Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides richtet, ist auch begründet, da der Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 23. Februar 2007 insoweit rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für eine Duldung ohne Auflagen gemäß Ziffer 9 des IMK-Beschlusses vom 17. November 2006.
Nach II Ziffer 1 des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder – IMK – vom 17. November 2006 soll ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen, die faktisch wirtschaftlich und sozial im Bundesgebiet integriert sind, auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG ein Bleiberecht gewährt werden können. Die einzelnen Modalitäten sind in II Ziffern 3 bis 8 aufgeführt. Nach Ziffer 9 stimmt die IMK darin überein, dass von der Bleiberechtsregelung eigentlich Begünstigte, die aber die Voraussetzungen von Punkt 3.2.1 (dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis) nicht erfüllen, eine Duldung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bis zum 30. September 2007 erhalten, um ihnen eine Arbeitsplatzsuche zu ermöglichen.
Das Bleiberecht soll, wie bereits ausgeführt, auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 AufenthG gewährt werden. Nach dieser Vorschrift kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Unter denselben Voraussetzungen kann die oberste Landesbehörde gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG die Abschiebung dieser Ausländer aussetzen. Der Beschluss der IMK stellt damit keine Rechtsgrundlage, sondern eine Absprache unter den Bundesländern dar, wie das Bleiberecht bundeseinheitlich geregelt werden kann. Die Bundesländer selbst erlassen nach den §§ 23 Abs. 1, 60a Abs. 1 AufenthG die Anordnung, auf deren Grundlage anschließend die Aufenthaltserlaubnis bzw. die Duldung erteilt wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. September 2000 (BVerwGE 112, 63) zur ähnlich lautenden Regelung des § 32 AuslG a.F. entschieden, dass mit derartigen Anordnungen Erleichterungen für die verwaltungsmäßige Bewältigung aufenthaltsrechtlicher Probleme geschaffen werden sollen, die typischerweise eine größere Zahl als schutzbedürftig angesehener Ausländer in gleicher oder vergleichbarer Weise treffen. Ob die oberste Landesbehörde eine Anordnung nach § 32 AuslG treffe, stehe in ihrem Ermessen, das lediglich durch die im Gesetz genannten Motive ("aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland") dahin begrenzt sei, dass eine Anordnung nicht aus anderen Gründen erlassen werden dürfe. Dementsprechend könne die oberste Landesbehörde den von der Anordnung erfassten Personenkreis bestimmen. Sie könne dabei positive Kriterien (Erteilungsvoraussetzungen) und negative Kriterien (Ausschlussgründe) aufstellen. Ein Anspruch des einzelnen Ausländers, von der Regelung erfasst zu werden, bestehe nicht. Neben der Festlegung der für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zu verlangenden Voraussetzungen enthielten Anordnungen nach § 32 AuslG grundsätzlich die an die Ausländerbehörde gerichtete Weisung, bei Erfüllung der Voraussetzungen dem Ausländer eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Dadurch werde das der Ausländerbehörde gemäß §§ 30, 31 Abs. 1 AuslG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis intern gebunden. Gegenüber dem Ausländer bleibe jedoch die von der Ausländerbehörde zu erlassende Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis eine Ermessensentscheidung. Daraus folge, dass die Anordnung nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen oder anzuwenden sei. Bei Unklarheiten habe die Ausländerbehörde den wirklichen Willen der obersten Landesbehörde zu ermitteln. Weiche die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, so erwachse dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung. Denn es sei gerade der Sinn der Regelung, eine einheitliche Anwendung innerhalb eines Bundeslandes zu erreichen. Die Gerichte hätten deshalb nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei der Anwendung innerhalb des Geltungsbereichs der Anordnung gewahrt worden sei (BVerwGE, a.a.O.).
Diese Maßstäbe können ohne Weiteres auf die nahezu gleichlautenden Regelungen der §§ 23 Abs. 1, 60 a Abs. 1 AufenthG angewendet werden. Eine Einschränkung im Verhältnis zur früheren Rechtslage ergibt sich lediglich daraus, dass keine den § 30 und 31 Abs. 1 AuslG a.F. vergleichbaren Ermessensvorschriften im Aufenthaltsgesetz enthalten sind, vielmehr allein die oberste Behörde Ermessen auszuüben hat. Dies ist in Bayern mit den "Vorläufigen bayerischen Bestimmungen zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses der IMK vom 17.11.2006" geschehen. Bei ihnen handelt es sich also um eine Anordnung i.S. der §§ 23 Abs. 1 und 60 a Abs. 1 AufenthG, die wie eine Verwaltungsvorschrift wirkt und auszulegen ist, verbunden mit der Weisung an die für den Vollzug zuständigen Ausländerbehörde, bei Erfüllung der Voraussetzungen dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung zu erteilen.
Der Beklagte stützt die Ablehnung der Duldung vorliegend darauf, dass der Kläger gemäß Ziffer 6.1 des Bleiberechtsbeschlusses nicht zu dem begünstigten Personenkreis zähle. Ziffer 6.1 des Bleiberechtsbeschlusses und der hierzu ergangenen Vorläufigen bayerischen Bestimmungen regeln übereinstimmend, dass von dieser Regelung diejenigen Personen ausgeschlossen sind, die die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben. Dieser Ausschlusstatbestand gilt nicht nur für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern auch für die Erteilung einer Duldung (vgl. Ziffer 9 des IMK-Beschlusses, Ziffer 9 der Vorläufigen bayerischen Bestimmungen). Ziel dieses Ausschlussgrundes ist es, denjenigen Ausländern den Zugang zu der Bleiberegelung zu verwehren, die in nachhaltiger Weise insbesondere über ihre Identität oder ihre Staatsangehörigkeit getäuscht haben.
Nach Überzeugung des Gerichts trifft dieser Vorwurf auf den Kläger aber nicht zu. Zur Auslegung des Begriffs der vorsätzlichen Täuschung über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände hat das Bayerische Innenministerium in seinen Vorläufigen bayerischen Bestimmungen eine Regelung dahingehend getroffen, dass die Täuschung von einigem Gewicht gewesen sein müsse. Dies sei von der Ausländerbehörde anhand einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Einzelfalles festzustellen. Dabei könne es zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen sein, dass die Täuschung bereits länger zurückliege, der Ausländer später seine zunächst falschen Angaben korrigiert habe oder er sich erfolgreich um eine Integration bemüht habe, so dass der Vorwurf aus heutiger Sicht weniger schwer wiege. Bei einem Arbeitsgespräch zum Bleiberechtsbeschluss vom 11. Januar 2007 hat das Bayerische Staatsministerium des Innern in einem Ergebnisprotokoll u. a. festgehalten, dass die Bleiberechtsregelung weitgehend ins Leere laufen würde, wenn man all jene von der Regelung ausschließen wolle, die während ihres langjährigen Aufenthalts zu irgendeinem Zeitpunkt gegen Mitwirkungspflichten verstoßen oder das Verfahren nicht zügig genug betrieben hätten. Dies sei nicht beabsichtigt gewesen. Vielmehr solle die Bleiberechtsregelung auch jenen faktisch wirtschaftlich und sozial integrierten Ausländern eine aufenthaltsrechtliche Perspektive bieten, die zwar in mehr oder minder vorwerfbarer Weise ihre Rückführung verhindert hätten, aber im Hinblick auf ihre Integrationsbemühungen eine neue Chance verdient hätten. Vor dem Hintergrund, dass es den Ausländerbehörden über Jahre hinweg nicht gelungen sei, den Aufenthalt zu beenden, solle versucht werden, den Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen und dadurch die Sozialausgaben zu senken. Insoweit handele es sich um einen neuen Ansatz, weil nicht nur in gewisser Hinsicht ein Schlussstrich gezogen, sondern es auch den Ausländerbehörden ermöglicht werden solle, Verwaltungskapazitäten für ein effektives Rückführungsmanagement, das zu einem früheren Zeitpunkt beginne, freizusetzen. Die generelle Zielsetzung solle nicht dadurch konterkariert werden, dass die Ausländerbehörde "so lange nach Versäumnissen in der Vergangenheit sucht, bis sie Integrationserfolge in der Gegenwart mehr als aufwiegen". Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ausländerbehörde ein gravierendes Fehlverhalten des betroffenen Ausländers über einen längeren Zeitraum, durch das die Rückführung vereitelt oder über einen längeren Zeitraum massiv behindert wurde, hinnehmen müsse. Im Ergebnis komme es bei dem Ausschlussgrund nach Ziffer 6.1 auf eine Gesamtbetrachtung an, die nicht nur auf das Verschulden abstelle, sondern auch Integrationsanstrengungen und -perspektiven des Betroffenen berücksichtige.
Unter Beachtung dieser Maßstäbe und der gebotenen Gesamtbetrachtung vermochte die Behörde nicht nachzuweisen, dass der Kläger in nachhaltiger Weise vorsätzlich über seine Identität und über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände i.S. dieses Ausschlussgrundes getäuscht hat. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Kläger hat seit 1998 vor der Ausländerbehörde stets gleichlautende Angaben zu seinen Personalien gemacht (vgl. erstmals Bl. 78 f). Die dem Kläger vorgehaltenen Angaben im Asylverfahren stellten sich teilweise als Übersetzungsfehler des Bundesamtes heraus. Zwar hat der Kläger nicht immer ausreichend bei den Bemühungen der Behörden, für ihn Heimreisepapiere zu beschaffen, mitgewirkt, so hat er z. B. am 17. Februar 1999 zwar bei der ZRS vorgesprochen, jedoch keinen neuen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers ausgefüllt und hat auch erst im Jahr 2006 trotz früherer Aufforderungen einen Brief an seine Eltern wegen der Übersendung von Dokumenten abgeschickt. Der Kläger ist jedoch gemäß den Anforderungen des Bleiberechtsbeschlusses faktisch in der Bundesrepublik Deutschland integriert, was sich insbesondere auch dadurch zeigt, dass er Deutschkurse (zuletzt den Oberkurs, Zeugnis vom 22.07.2007) mit sehr gutem Erfolg bestanden hat. Die Behörde stützt ihre Annahme, der Kläger täusche vorsätzlich über seine Identität, im Wesentlichen auf dessen Angaben im Asylverfahren. Diese liegen jedoch bereits bis zu 15 Jahre zurück.
Die Vorläufigen Bayerischen Bestimmungen zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses regeln zu Ziffer 6.1 Folgendes: Die Täuschung muss dafür ursächlich gewesen sein, dass der Aufenthalt nicht beendet werden konnte; sie schadet dann nicht, wenn eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung aus anderen Gründen ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Geht man trotz des oben Angeführten gleichwohl von einer Täuschung des Klägers aus, so konnte die Behörde nicht darlegen, dass diese ursächlich für dessen unterbliebene Rückführung ist.
Weiter führt das Bayerische Staatsministerium des Innern aus, dass nach einer an Sinn und Zweck der Regelung orientierten Auslegung aufenthaltsrechtlich relevant regelmäßig nur jene Umstände seien, die einen Bezug zur Aufenthaltsbeendigung aufweisen. Dies ist jedoch bei den Angaben im Asylverfahren nicht der Fall. Außerdem müsse die Täuschung von einigem Gewicht gewesen sein. Dies sei von der Ausländerbehörde anhand einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Einzelfalles festzustellen. Dabei könne es zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen sein, dass die Täuschung bereits länger zurückliege, der Ausländer später seine zunächst falschen Angaben korrigiert habe oder er sich erfolgreich um eine Integration bemüht habe, so dass der Vorwurf aus heutiger Sicht weniger schwer wiege. Vorliegend hat sich die Ausländerbehörde jedoch lediglich auf die Angaben des Klägers im Asylverfahren konzentriert und ihm vorgeworfen, dass er 1999 (!) einen Brief an eine in ganz China nicht existierende Adresse geschrieben habe.
Dies erfüllt jedoch in der Gesamtbetrachtung nicht den Ausschlussgrund der Ziffer 6.1 des IMK-Beschlusses i.S. der Bayerischen Umsetzungsbestimmungen.