VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 15.07.2008 - 10 L 1497/08.GI.A - asyl.net: M13739
https://www.asyl.net/rsdb/M13739
Leitsatz:

Die Annahme eines Ausnahmefalls, in dem die vorläufige Aussetzung der Überstellung im Rahmen der Dublin II-Verordnung möglich ist, setzt die Darlegung von konkreten Gründen voraus; allein die Behauptung, gemeinschaftsrechtliche Mindeststandards seien nicht umgesetzt, genügt nicht (hier: Griechenland); das Petitionsrecht vermittelt keinen Anspruch auf Aufenthalt bis zum Abschluss des Petitionsverfahrens.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, Drittstaatenregelung, atypischer Ausnahmefall, Griechenland (A), Gemeinschaftsrecht, Abschiebungsanordnung, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingungen, Darlegungserfordernis, Petition, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123; AsylVfG § 34 Abs. 2; AsylVfG § 27a; GG Art. 17; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls unbegründet (1.) und deshalb kostenpflichtig (2.) abzulehnen.

a. Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Gericht durch § 34a Abs. 2 AsylVfG daran gehindert, seine Abschiebung nach Griechenland durch Erlass einer einstweiligen Anordnung auszusetzen.

Griechenland ist Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften, sodass der Antragsteller sich nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG von Verfassungs wegen nicht auf die nationale Asylverheißung berufen kann. Nach der normativen Konzeption ist davon auszugehen, dass zur Prüfung des Asylantrags des Antragstellers nicht die Antragsgegnerin zuständig und so sein Asylantrag nach § 27a AsylVfG unzulässig ist, da ihm in Griechenland ein sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch der materiellen Kriterien den Mindestanforderungen genügender Schutz geboten wird.

Ein Griechenland betreffendes Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 1, 2, 3 Satz 1, Abs. 5, 7 Satz 1, 2 AufenthG in der Fassung durch Art. 1 Nr. 48 des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) käme – erst und ausnahmsweise – in Betracht, wenn der Antragsteller Umstände glaubhaft machte, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden konnten und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938, 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 99>). Ausgehend von dem vom Bundesverfassungsgericht angeführten Beispielen und der gegenwärtigen Rechtslage wäre dies etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller in Griechenland ein "ernsthafter Schaden" entsprechend Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder aber eine mindestens gleichwertige Rechtsgutverletzung drohte. An die Darlegung eines solchen Sonderfalls, in dem – entgegen dem Normbefehl von § 34a Abs. 2 AsylVfG – doch vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren wäre, sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 94, 49 100>). Der bloße Hinweis auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 25. April 2008 – 2 L 201/08.GI.A – und dessen Vorlage (Bl. 11 bis 27 d.A.) genügt für eine derartige Darlegung nicht. Der Antragsteller verbleibt mit seiner Bezugnahme auf die Gründe dieses Beschlusses dabei, generell zu bestreiten, dass Griechenland den Anforderungen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 560) und der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) genüge. Mit dieser Argumentation – deren Folge im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung wegen der Zugehörigkeit Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften nicht bloß eine Änderung von § 26a Abs. 2 AsylVfG, sondern auch von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG sein müsste – kann der Antragsteller indes nicht durchdringen. Eine substantiierte Darlegung, warum es ihm persönlich nicht möglich und zumutbar gewesen sei, in Griechenland ein Schutzgesuch anzubringen, enthält das Vorbringen des Antragstellers nicht. Soweit der Antragsteller nunmehr befürchtet, ein Verfahren in Griechenland genüge nicht der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13), kann dieser Befürchtung schon im Kontakt zwischen deutschen und griechischen Behörden begegnet werden, sodass ihr keine Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE, a.a.O.).

b. Auch dadurch, dass der Antragsteller an den Deutschen Bundestag eine Petition richtete, über die bislang nicht entschieden wurde, wird kein Anordnungsanspruch begründet.

Das Petitionsrecht des Art. 17 GG verleiht lediglich ein Recht darauf, dass die angegangene Stelle die Eingabe nicht nur entgegennimmt, sondern auch sachlich prüft und dem Petenten zum Mindesten die Art der Erledigung schriftlich mitteilt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 22. April 1953 – 1 BvR 162/51 –, BVerfGE 2, 225 <LS 1, 230>). In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht kann deshalb allenfalls für den kurzen Zeitraum für das Formulieren und Eingeben einer Petition ein Anspruch auf Duldung angenommen werden (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Loseblatt, Stand: Februar 2008, § 60a Rdnr. 196 f.). Von diesem Recht, das inhaltlich wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung nur darauf zielen kann, dass der Deutsche Bundestag eine Änderung von Art 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylVfG in Erwägung ziehe, nicht aber darauf, dass der Petitionsausschuss dem Plenum empfehle, die Bundesregierung aufzufordern, im Einzelfalls des Antragstellers von der behördlichen Vollziehung einer Abschiebungsanordnung abzusehen, hat der Antragsteller aber, was die Einlegung betrifft, schon Gebrauch gemacht und ist die Mitteilung der Erledigung ohne Weiteres an seine Bevollmächtigten möglich.