OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.04.2008 - 4 LA 24/08 - asyl.net: M13851
https://www.asyl.net/rsdb/M13851
Leitsatz:

Trotz der Reformmaßnahmen in der Türkei besteht noch keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung.

 

Schlagwörter: Türkei, Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, Darlegungserfordernis, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Menschenrechtslage, politische Entwicklung, Reformen
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Trotz der Reformmaßnahmen in der Türkei besteht noch keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der frist- und formgerecht gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung ist in der Sache nicht begründet, da der von der Beklagten allein geltend gemachte Zulassungstatbestand einer grundsätzlichen Bedeutung des Verwaltungsstreitverfahrens gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG rechtlich nicht trägt.

Soweit die Beklagte als grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragestellung bezeichnet, "ob rückkehrende türkische Staatsangehörige vor Verfolgungsmaßnahmen des türkischen Staates hinreichend sicher sind", entbehrt eine solche Fragestellung bereits jeder nachvollziehbaren Eingrenzung des potenziell von Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Personenkreises und ist in dieser undifferenzierten Erfassung aller in ihr Heimatland zurückkehrenden türkischen Staatsangehörigen im vorliegenden Streitverfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig.

Die Darlegung einer im vorliegenden Asylrechtsstreit klärungsbedürftigen Grundsatzfrage hätte eine Anknüpfung an die spezifischen tatbestandlichen Gegebenheiten des der Anerkennungsentscheidung bzw. der Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses zu Grunde liegenden Verfolgungsschicksals einer Vielzahl von Einzelpersonen oder einer Gruppe sowie die Darstellung einer darauf bezogenen grundlegenden Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Heimatstaat Türkei erfordert. Ersteres leistet die Antragsschrift offenkundig nicht. In diesem Zusammenhang wird im Übrigen auch zu beachten sein, dass es in Fällen, die durch spezifische Eigen- oder Besonderheiten in der Situation des jeweiligen Asylbewerbers gekennzeichnet sind, an der notwendigen Möglichkeit einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung fehlen könnte.

Ergänzend - ohne dass dies die vorliegende Entscheidung rechtlich trägt - weist der Senat darauf hin, dass allgemein der Vorstellung einer hinreichenden Sicherheit vor Verfolgungsmaßnahmen des türkischen Staates auf Grund einer nachhaltigen Veränderung der dortigen Verhältnisse frühestens dann näher zu treten sein wird, wenn - wie das Verwaltungsgericht für den Fall einer rechtskräftigen Anerkennung als Asylberechtigter auf Grund individueller Vorverfolgung unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsfehlerfrei ausgeführt hat - die Wiederholung der die Flucht auslösenden und für diese maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf Grund einer nachträglichen nachhaltigen - insbesondere auch dauerhaften - Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist. Ein im vorstehenden Sinne nachträglich erheblich veränderter Sachverhalt dürfte für den Herkunftsstaat Türkei ungeachtet der dort eingeleiteten, mit beachtlichen Gesetzes- und Verfassungsänderungen einhergehenden Reformmaßnahmen - aus den vom Verwaltungsgericht im Einzelnen detailliert dargestellten Gründen jedenfalls derzeit (noch) nicht anzunehmen sein, wie dies auch der vom Verwaltungsgericht für seine Einschätzung herangezogene Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: September 2007) vom 25. Oktober 2007 überzeugend belegt. Dies gilt in Ansehung des Wiederaufflammens der bewaffneten Auseinandersetzung in den Kurdenprovinzen und im Grenzgebiet zum Irak insbesondere für alle Verfahren, in denen sich - wie im vorliegenden - die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses auf eine individuelle Vorverfolgung im Zusammenhang mit dem Verdacht der Unterstützung der PKK gründet.