VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.07.2008 - 13 S 1683/07 - asyl.net: M14030
https://www.asyl.net/rsdb/M14030
Leitsatz:

Bei der Bestimmung der Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts iSd § 4 Abs. 3 StAG 1999 ist § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 analog anzuwenden (Fortentwicklung von BVerwG, Urteil vom 29.3.2006 - 5 C 4/05 -, NVwZ 2006, 938).

Für die Prüfung der in § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 vorausgesetzten Kausalität kommt es darauf an, wie sich die aufenthaltsrechtliche Situation des Ausländers bei einer rechtzeitigen Antragstellung unter im Übrigen gleichen Umständen - insbesondere hinsichtlich des Verfahrensablaufs - dargestellt hätte. Ohne Bedeutung für die Kausalität ist dabei die Dauer des durch eine Fiktionswirkung "abgedeckten" Verwaltungsverfahrens.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Aufenthaltsdauer, Eltern, Unterbrechung, Aufenthaltsbefugnis, Verlängerungsantrag, verspäteter Antrag, Ursächlichkeit
Normen: StAG § 4 Abs. 3; AuslG § 89 Abs. 3
Auszüge:

Bei der Bestimmung der Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts iSd § 4 Abs. 3 StAG 1999 ist § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 analog anzuwenden (Fortentwicklung von BVerwG, Urteil vom 29.3.2006 - 5 C 4/05 -, NVwZ 2006, 938).

Für die Prüfung der in § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 vorausgesetzten Kausalität kommt es darauf an, wie sich die aufenthaltsrechtliche Situation des Ausländers bei einer rechtzeitigen Antragstellung unter im Übrigen gleichen Umständen - insbesondere hinsichtlich des Verfahrensablaufs - dargestellt hätte. Ohne Bedeutung für die Kausalität ist dabei die Dauer des durch eine Fiktionswirkung "abgedeckten" Verwaltungsverfahrens.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers am 23.4.2003 hat nach § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 in der Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 15.7.1999 (BGBl I S. 1618) - im Folgenden: StAG 1999 - ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besaß.

Diese Voraussetzungen liegen zwar nicht hinsichtlich des Vaters des in Deutschland geborenen Klägers vor (der bei Geburt des Klägers nur im Besitz einer befristeten Aufenthaltsbefugnis war), jedoch hinsichtlich seiner Mutter.

Zu dem Zeitpunkt der Geburt des Klägers hatte seine Mutter seit acht Jahren ihren rechtmäßigen Aufenthalt im Inland, da sie - mit Ausnahme einer Unterbrechung vom 24.3.1996 bis zum 9.7.1996 - in den acht Jahren vor der Geburt des Klägers im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis oder -erlaubnis war und auf Grund einer analogen Anwendung des § 89 Abs. 3 Alt. 2 des Ausländergesetzes vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354, 1356) - im Folgenden: AuslG 1990 - diese Unterbrechung bei der Bestimmung der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts außer Betracht bleibt.

1. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach § 4 Abs. 3 StAG 1999 wird durch den Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung bzw. eines Aufenthaltstitels vermittelt. Darüber hinaus ist auch der nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 fiktiv erlaubte Aufenthalt rechtmäßig (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 - 1 C 31/03 -, BVerwGE 122, 199). Die Mutter des Klägers war aber vom 24.3.1996 bis zum 9.7.1996 weder im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung noch griff zu ihren Gunsten die allein in Betracht kommende Erlaubnisfiktion nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 ein. Denn diese setzt voraus, dass der Verlängerungsantrag zu einem Zeitpunkt gestellt wird, zu dem sich der Ausländer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.1997 - 1 C 7.96 -, NVwZ 1998, 185). Daran fehlt es hier.

2. Jedoch ist § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 hier analog anwendbar, da § 4 StAG 1999 eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch die entsprechende Anwendung des für eine vergleichbare Interessenlage konzipierten § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 geschlossen werden muss (zu den Voraussetzungen einer Analogie siehe BVerfG, Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 1905/02 -, BVerfGE 115, 51; BVerwG, Urteil vom 14.3.1974 - II C 93,72 -, BVerwGE 45, 85).

a) Das StAG in der zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers geltenden Fassung enthielt keine Regelung darüber, wie bei der Bestimmung der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts kurzfristige Zeiten eines unrechtmäßigen Aufenthalts zu berücksichtigen sind. Dem lag aber keine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu Grunde. Denn bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zum StAG 1999 ordnete § 89 Abs. 3 AuslG 1990 für die Fälle der erleichterten Einbürgerung nach §§ 85ff AuslG 1990 an, dass bestimmte Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts außer Betracht bleiben. Daher wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung der konzeptionell vergleichbaren Vorschrift des § 4 Abs. 3 StAG 1999, die ebenfalls an eine bestimmte Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts anknüpft, mit dieser Problematik auseinander gesetzt und eine Abweichung näher begründet hätte. Da aber diese Problematik kurzfristiger und inhaltlich unbedeutender Rechtmäßigkeitsunterbrechungen bei der Formulierung des § 4 Abs. 3 StAG noch nicht einmal erörtert worden war (vgl. etwa die Begründung in BT-Drs 14/533, S. 14, die hierzu keine Ausführungen enthält; ebenso die Beschlussempfehlung und der Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 14/867, S. 20), ist davon auszugehen, dass hier ein Versehen des Gesetzgebers vorliegt. Zudem kommt der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts sowohl in § 4 Abs. 3 StAG 1999 als auch in §§ 85ff AuslG 1990 eine vergleichbare Bedeutung zu, da nach beiden Gesetzen hieran eine Integrationsvermutung anknüpft (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.3.2006 - 5 C 4/05 -, NVwZ 2006, 938). Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber von der für ihn vorbildhaften Regelung der §§ 85ff AuslG 1990 in einem wesentlichen Punkt stillschweigend abweichen wollte (ebenso BVerwG, a.a.O., hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsunterbrechung wegen Passlosigkeit; a.A. noch Urteil des Senats vom 5.11.2003 - 13 S 2709/02 -, VBlBW 2004, 112 m.w.N.). Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht auch, dass der Gesetzgeber bereits kurz nach Inkrafttreten des StAG 1999 zum 1.1.2000 versucht hat, diese Lücke zu korrigieren. Denn durch Artikel 5 Nr. 7 des für nichtig erklärten Zuwanderungsgesetzes vom 20.6.2002 (BGBl I S. 1946) sollte eine § 89 Abs. 3 Alt. 1 und 2 AuslG 1990 entsprechende Regelung in das StAG aufgenommen werden (inzwischen ist dieses Vorhaben durch § 12b StAG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950) - im Folgenden: StAG 2004 - verwirklicht worden).

b) Eine analoge Anwendung des § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 führt im Rahmen des StAG 1999 zu einer interessengerechten Regelung. In § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 kommt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass bei der Bestimmung der Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts als Voraussetzung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit solche Rechtmäßigkeitsunterbrechungen unbeachtlich sind, die auf einem verspäteten Antrag für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels beruhen. Diese Wertung kann auf eine andere staatsangehörigkeitsrechtliche Norm wie § 4 Abs. 3 StAG 1999 übertragen werden, die ebenfalls an die Tatbestandsvoraussetzung einer bestimmten Dauer rechtmäßigen Aufenthalts anknüpft. Denn in beiden Fällen wird aus der Aufenthaltsdauer abgeleitet, dass die erforderliche Integration gelungen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; Urteil vom 29.3.2006, a.a.O.). Diese Integrationsvermutung wird aber nicht dadurch entkräftet, dass der betroffene Ausländer es in der Vergangenheit versäumt hat, rechtzeitig die Verlängerung seines Aufenthaltstitels zu beantragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 25.7.2007 - 5 BV 07.276 -, juris; Berlit, in: GK-StAR, Stand November 2005, § 12b StAG Rn. 3).

Der analogen Anwendung des § 89 Abs. 3 AuslG 1990 steht auch nicht entgegen, dass er auf Einbürgerungstatbestände bezogen ist, während § 4 Abs. 3 StAG 1999 einen Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt betrifft und damit besondere Anforderungen an die klare Erkennbarkeit der Erwerbsvoraussetzungen stellt. Denn diesen Einwand, der auch gegen die Geltung des § 12b Abs. 3 StAG 2004 für den Erwerb nach § 4 Abs. 3 StAG erhoben worden ist (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 15/955, S. 39), hat der Gesetzgeber selbst nicht als stichhaltig angesehen (vgl. Bay. VGH, a.a.O.; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Ausländerrecht, 4. Auflage 2005, § 12b StAG Rn. 1, 8). Unerheblich ist auch, dass § 89 Abs. 3 AuslG 1990 formell eine ausländerrechtliche Norm darstellt. Denn materiell handelt es sich um eine staatsangehörigkeitsrechtliche Bestimmung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.3.2006, a.a.O.).

3. Die analoge Anwendung des § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 führt hier dazu, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Mutter des Klägers zwischen dem 24.3.1996 und dem 9.7.1996 außer Betracht bleibt. Die Unterbrechung beruht darauf, dass die Mutter nicht rechtzeitig die erforderliche Verlängerung ihrer Aufenthaltsbefugnis beantragt hat. Denn durch einen rechtzeitigen Verlängerungsantrag wäre die Fiktionswirkung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 ausgelöst worden. Diese Fiktionswirkung wäre mit der Entscheidung über die Verlängerung ab dem 10.7.1996 beendet, aber nicht rückwirkend aufgehoben worden (vgl. allgemein zum Ende der Erlaubnisfiktion: Jakober, AktAR, Erg-Lfg. 5/2001, § 69 AuslG Rn. 72 f).

Der Einwand der Beklagten, die Unterbrechung habe nicht auf der verspäteten Antragstellung beruht, weil die Mutter des Klägers zunächst noch nicht im Besitz eines gültigen Passes gewesen sei und daher auch bei einer rechtzeitigen Stellung des Verlängerungsantrags dieser mangels Erfüllung der Verlängerungsvoraussetzungen abgelehnt worden wäre, greift nicht durch. Für die Prüfung der Kausalität der verspäteten Antragstellung kommt es darauf an, wie sich die aufenthaltsrechtliche Situation des Ausländers bei einer rechtzeitigen Antragstellung unter im Übrigen gleichen Umständen dargestellt hätte. Daher muss bei der Vergleichsbetrachtung davon ausgegangen werden, dass die Behörde das Verfahren bei rechtzeitiger Antragstellung in derselben Weise durchgeführt hätte, wie sie es tatsächlich - bei verspätetem Antrag - durchgeführt hat. Da die Behörde hier den verspäteten Antrag der Mutter des Klägers nicht sofort abgelehnt, sondern mit dessen Bescheidung so lange zugewartet hat, bis die Mutter wieder im Besitz eines gültigen Passes war, ist diese Vorgehensweise auch der Kausalitätsprüfung im Rahmen des § 89 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990 zugrunde zulegen. Bei einer rechtzeitigen Antragstellung hätte diese Vorgehensweise der Behörde dazu geführt, dass zugunsten der Mutter während der gesamten Dauer des Verwaltungsverfahrens die Fiktionswirkung des § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 bestanden hätte. Denn die Fiktionswirkung entsteht bereits durch die Stellung des Verlängerungsantrags, ohne dass es darüber hinaus auch darauf ankommt, ob die Erteilungsvoraussetzungen vorliegen; die Fiktionswirkung soll gerade die Dauer des Verwaltungsverfahrens überbrücken, in dem die Erteilungsvoraussetzungen geprüft werden.