Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Iran wegen psychischer Erkrankung und Gefahr der Retraumatisierung; Gefahren aufgrund psychischer Erkrankungen stellen keine allgemeine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG dar.
Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Iran wegen psychischer Erkrankung und Gefahr der Retraumatisierung; Gefahren aufgrund psychischer Erkrankungen stellen keine allgemeine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG dar.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. [...]
Beim Kläger wurde nach dem eingeholten Sachverständigengutachten Dr. ... vom 23.08.2008 eine paranoide und dissoziative Störung auf dem Boden einer durch sequenzielle Traumatisierung geprägten Störung der Persönlichkeitsentwicklung diagnostiziert. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser ärztlichen Feststellung zu zweifeln, da sie von kompetenter Seite stammt und auch nachvollziehbar dargelegt ist.
Nach Ansicht des Gutachters ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers durch jede erneute, massive Angst auslösende Erfahrung erheblich verschlechtern wird. Dies betreffe sowohl die Umstände von Verhaftung, Abschiebehaft und Abschiebung als auch die anzunehmenden anschließenden Befragungen (Verhöre) im Iran, auch wenn die vom Kläger befürchtete individuelle Bedrohungssituation nicht gegeben, sondern seinen paranoiden Vorstellungen zugehörig sein sollte. Es sei nicht vorstellbar, dass sich der Kläger von den ihn beherrschenden Ängsten auf Grund etwaiger Handlungsmöglichkeiten im Iran distanzieren könnte. Die Gesundheitsverschlechterung würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem weiteren, eine selbständige Lebensführung unmöglich machenden Verlust psychischer Funktionen im kognitiven, emotionalen und sozialen Bereich zur Folge haben mit einer gegebenenfalls starken Zunahme der bereits bestehenden Defektsymptomatik einschließlich der Fixierung der paranoiden Verarbeitung.
Darüber hinaus bedarf der Kläger auch nach dem eingeholten Sachverständigengutachten dringend einer kombinierten psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Behandlung. Psychotherapie wird im Iran jedoch - sie gilt als "westliche Unkultur" - nicht praktiziert (vgl. Deutsches Orientinstitut, Gutachten vom 03.06.2002 an VG Mainz). Das Ausbleiben einer psychotherapeutischen Behandlung führt jedoch - so das Gutachten von Dr. ... vom 23.08.2008 - zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers. Für den Kläger besteht somit bei einer Rückkehr in den Iran eine ganz konkrete extreme individuelle Gefahrensituation.
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand des Klägers im Falle einer Abschiebung in sein Heimatland alsbald nach seiner Rückkehr wesentlich verschlechtern würde, so steht ihm ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Iran zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG gesperrt. Es kann nicht angenommen werden, dass hinsichtlich des vielfältigen Symptombildes psychischer Erkrankungen ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 18). [...]