VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 19.02.2009 - 8 K 20038/06 Me - asyl.net: M15568
https://www.asyl.net/rsdb/M15568
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung eines chinesischen Staatsangehörigen nach Verfolgung wegen Praktizierens von Falun Gong.

Schlagwörter: China, Falun Gong, Umerziehungslager, Administrativhaft, Exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Strafverfahren
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. [...] Der Kläger hat gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG einen Anspruch auf Feststellung

von Abschiebungsschutz. [...]

Nach den Ausführungen des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt und in den mündlichen Verhandlungen vor Gericht stellt sich der Sachverhalt für das Gericht wie folgt dar:

Der Kläger lebte in einem kleinen Dorf in Südchina und hat Anfang 2005 aus gesundheitlichen Gründen mit Falun Gong-Übungen in einem Park angefangen. Nach einigen Wochen wurde er festgenommen und für fünf Monate in einem Umerziehungslager festgehalten. Dort musste er Sport treiben, am Unterricht teilnehmen und arbeiten. Nachdem er im Juli 2005 wieder freigelassen wurde, war er gesundheitlich in sehr schlechter Verfassung. Er setzte dann die Falun Gong-Übungen zusammen mit zwei Freunden auf dem Flachdach seines Wohnhauses fort, wobei er von anderen beobachtet werden konnte. Am 10.08.2005 kam erneut die Polizei. Durch die Warnung seiner Ehefrau gelang es ihm zu fliehen, bevor die Polizei seiner habhaft werden konnte. Die Polizei wies seine Ehefrau darauf hin, dass er wegen Falun Gong ja bereits umerzogen sei, es dennoch erneut ausüben würde und deshalb jetzt zu verhaften sei. In Deutschland hat der Kläger von Falun Gong zunächst Abstand genommen, hat jedoch inzwischen aus gesundheitlichen Gründen wieder damit begonnen, in einer Gruppe gelegentlich Falun Gong-Übungen auszuführen. [...]

Der Kläger ist vorverfolgt ausgereist. Er war bereits wegen Ausübung der Falun Gong-Übungen für fünf Monate in einem Umerziehungslager.

Der Kläger ist auch aus begründeter Furcht vor einer weiteren Festnahme aus China geflohen. Er hatte wieder mit den Übungen angefangen, was möglicherweise entdeckt worden ist. Jedenfalls ist er von der Polizei wegen seiner Falun Gong-Anhängerschaft aufgesucht worden und sollte festgenommen werden. Der Festnahme ist er nur entkommen, weil er von seiner Ehefrau gewarnt wurde und flüchten konnte.

Eine Rückkehr nach China ist ihm nicht zumutbar, da er in diesem Falle in China vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher wäre. Es ist davon auszugehen, dass die chinesischen Behörden weiterhin nach ihm fahnden. Sollte der Kläger wieder nach China einreisen, erscheint es als überwiegend wahrscheinlich, dass er als Anhänger von Falun Gong verhaftet werden würde. Er hat für diesen Fall mindestens mit einer erneuten Einweisung in ein Umerziehungslager, wahrscheinlich sogar mit einer längeren Haftstrafe oder ähnlichen gravierenden Repressalien zu rechnen.

Nach der derzeitigen Erkenntnislage über die Verfolgung von Falun Gong-Anhängern in China haben diejenigen, die den chinesischen Behörden bekannt geworden sind, mit politischer Verfolgung zu rechnen (vgl. Sächsisches OVG, B. v. 12.06.2008 - A 5 B 146/06; VG Magdeburg, Urt. v. 20.02.2008 - 5 A 64/07; VG Chemnitz, Urt. v. 24.06.2005 - A 3 K 1309/0; VG München, Urt. v. 14.03.2005 - M 15 K 04.51054; VG Oldenburg, Urt. v. 25.11.2002 - 7 A 1903/00; VG Potsdam, Urt. v. 15.03.2002 - 2 K 1018/00.A; VG Meiningen, Urt. v. 14.12.2000 - 5 K 20111/00.Me - und Urt. v. 11.01.2001 - 5 K 20511/00.Me, zitiert nach Juris). Hierfür sprechen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere die Lageberichte und Auskünfte vom Auswärtigen Amt (vgl. insbes. Lagebericht Auswärtiges Amt vom 18.03.2008, S. 20). Seit dem 22.07.1999 ist die Falun Gong-Bewegung des in den USA lebenden Gründers Li Hongzhi in China verboten. Mitglieder der Bewegung sind Repressionsmaßnahmen ausgesetzt. Bisher sollen mehr als tausend Anhänger von Falun Gong festgenommen und ihre Führer landesweit zu Haftstrafen von bis zu zwölf Jahren verurteilt worden sein. Menschenrechtsorganisationen berichten auch von Fällen, in denen Falun Gong-Anhänger während ihrer Haft ums Leben gekommen sind. Insgesamt sollen 700 Anhänger ums Leben gekommen sein. Mehrere hundert Falun Gong-Anhänger sollen nach solchen Berichten nach ihrer Verhaftung ohne Verurteilung oder sachgemäße Untersuchung in psychiatrische Anstalten zwangseingewiesen worden seien. Der Selbstverbrennungsakt von fünf Falun Gong-Anhängern auf dem Tiananmen am 24.01.2001 wurde zum Anlass für eine neue landesweite Anti-Falun-Gong-Kampagne genutzt (vgl. bereits Lagebericht Auswärtiges Amt vom 17.09.2002, vgl. auch Lagebericht Auswärtiges Amt vom 08.11.2005, 30.11.2006 und 18.03.2008).

Die chinesischen Behörden differenzieren in der Regel zwischen führenden Mitgliedern der Falun Gong-Bewegung, die zu hohen Haftstrafen verurteilt werden, und einfachen Anhängern, die meist von Sicherheitsstellen einbestellt werden und sich von der Lehre distanzieren müssen, die jedoch häufig auch einer Administrativhaft unterzogen werden (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 25.11.2002 - 7 A 1903/00 - m.w.N. zur Auskunftslage).

Auf Grund dieser Situation in China kann nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Kläger, der bereits einmal wegen seiner Anhängerschaft zu Falun Gong festgenommen und umerzogen wurde und erneut den chinesischen Behörden aufgefallen war, im Falle einer Rückkehr nach China erneut mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Repressalien durch chinesische Behörden befürchten muss. Da er den chinesischen Behörden bereits bekannt ist, ist vielmehr davon auszugehen, dass er bei seiner Einreise befragt, festgehalten oder verhaftet und misshandelt werden würde, um eine neuerliche Betätigung im Rahmen von Falun Gong zu verhindern.

Weiterhin kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass er wegen der Ausübung von Falun Gong in Deutschland in China verfolgt werden würde. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass die VR China auch nachrichtendienstliche Mittel gegen Auslandschinesen, die Falun Gong praktizieren bzw. Mitglieder der Bewegung sind, anwendet und dass diese Erkenntnisse an die chinesischen Sicherheitsbehörden weitergegeben werden (vgl. Lagebericht vom 08.11.2005, S. 33). Dem Kläger ist auch deshalb eine Rückkehr nach China nicht zumutbar. [...]