OLG Oldenburg

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Zitieren als:
OLG Oldenburg, Urteil vom 20.04.2009 - 13 UF 19/09 - asyl.net: M15658
https://www.asyl.net/rsdb/M15658
Leitsatz:

Das Vaterschaftsanfechtungsrecht der Behörde gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist verfassungsgemäß, auch soweit es auf vor seinem Inkrafttreten erfolgte Vaterschaftsanerkennungen anwendbar ist; in Vaterschaftsanfechtungssachen ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers des durch die Mutter vertretenen Kindes nicht erforderlich.

Schlagwörter: D (A), Vaterschaftsanfechtung, Ergänzungspfleger, Entziehung der Vertretungsmacht, Eltern, Mutter, Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörigkeit, Altfälle, Übergangsregelung, Beweisantrag, Sachaufklärungspflicht, Anfechtungsfrist, sozial-familiäre Beziehung, Verfassungsmäßigkeit, Rückwirkung, Vertrauensschutz
Normen: BGB § 1629 Abs. 2; BGB § 1796; BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5; BGB § 1592 Abs. 1 Nr. 2; BGB § 1600 Abs. 4; BGB § 1600 Abs. 3; StPO § 244; StAG § 4; BGB § 1600b Abs. 1; EGBGB Art. 229 § 16; ZPO § 411a
Auszüge:

[...]

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Verfahrensrechtlich bedurfte es nicht der Bestellung eines Ergänzungspflegers gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB. Der Beklagte zu 1. kann gemäß § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB durch die Kindesmutter vertreten werden. § 1629 Abs. 2 a BGB regelt lediglich, dass die Mutter das Kind im gerichtlichen Verfahren nach § 1598 a Abs. 2 BGB (Klärung der Abstammung unabhängig von der Vaterschaftsanfechtung) nicht vertreten darf. Eine Entziehung der Vertretungsmacht gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 1796 BGB kommt nicht in Betracht. Es fehlt an der gemäß § 1796 Abs. 2 BGB erforderlichen erheblichen Interessenkollision zwischen der vollziehbar ausreisepflichtigen Kindesmutter und dem Kind. Es besteht kein Grund für die Annahme, die Kindesinteressen würden in dem Verfahren nicht hinreichend zur Geltung gebracht. Zwar ist Grund für das Verfahren, dass die Mutter der Vaterschaftsanerkennung aus ausländerrechtlichen Gründen wider besseres Wissen zugestimmt haben soll, während das Kind grundsätzlich ein Interesse an der Feststellung seiner Abstammung hat. Die Interessen von Kind und Mutter stimmen dennoch im Wesentlichen überein, weil mit einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung die begründete Gefahr besteht, dass das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit und ein damit verbundenes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik verlöre. Hierin ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes eine vorrangig nachteilige Auswirkung zu sehen. [...]

Gegen die Annahme eines erheblichen Interessengegensatzes spricht auch, dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ein Vertretungsverbot nicht normiert hat. [...]

2. Die Anfechtung der Vaterschaft richtet sich gemäß Art. 19, 20 EGBGB nach deutschem Recht, weil der Beklagte zu 1. hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und zudem durch die Anerkennung der Vaterschaft gemäß § 4 Abs. 1 StAG deutscher Staatsangehöriger geworden ist.

Die Voraussetzungen des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB liegen vor:

a) Der Beklagte zu 2. hat die Vaterschaft anerkannt, § 1592 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Im Anfechtungsverfahren besteht damit eine Vermutung für die Vaterschaft, § 1600 c Abs. 1 BGB. Der Kläger ist anfechtungsberechtigt gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB. Zuständige Behörde ist der Landkreis gemäß § 1 der nds. VO über die zuständigen Behörden für die Anfechtung der Vaterschaft vom 21.08.2008. Die Vorschrift ist auch anwendbar. Zwar ist sie erst mit Wirkung vom 01.06.2008 durch Gesetz vom 13.03.2008 (BGBl. I, 313) in Kraft getreten. Demgegenüber ist die Vaterschaft bereits am 06.03.2006 anerkannt worden. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB gilt aber auch für Altfälle aus der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes. Dafür spricht zum einen der Wortlaut der Vorschrift, der keine Einschränkungen vorsieht. Zum anderen wäre die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 16 EGBGB sonst überflüssig. Schließlich hat der Gesetzgeber die Erstreckung auf Altfälle ausdrücklich beabsichtigt (BT-Drucks. 16/3291 S. 18 zu Art. 2 Abs. 4 a.E.).

b) Eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne von § 1600 Abs. 4 BGB, die die behördliche Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1600 Abs. 3 BGB ausschließen würde, hat das Familiengericht mit zutreffender Begründung verneint. Eine derartige Beziehung muss gemäß § 1600 Abs. 3 BGB entweder im Zeitpunkt der Anerkennung vorgelegen haben oder im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehen. Sie wird dann vermutet, wenn der Vater mit der Kindesmutter verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat (§ 1600 Abs. 4 S. 2 BGB). Diese Vermutung greift hier nicht ein, weil beide Voraussetzungen nicht gegeben sind.

Die Übernahme tatsächlicher Verantwortung für den Beklagten zu 1. durch den Beklagten zu 2. setzt die Wahrnehmung von typischen Elternrechten und -pflichten wie regelmäßigen Umgang, Betreuung und Erziehung sowie die Leistung von Unterhalt voraus (vgl. BT-Drucks. 16/3291, S. 13). Insoweit hat der Beklagte zu 2. in seiner polizeilichen Vernehmung vom 28.02.2007 ausgesagt, er sei in der Vergangenheit "immer nach Meppen gefahren", um den gemeinsamen Sohn zu sehen. Er sei "zwei- oder dreimal dort gewesen". Er habe keinen weiteren Kontakt zu der Kindesmutter.

Vereinzelte Besuche allein reichen für eine sozial-familiäre Beziehung nicht aus. Den anderslautenden Angaben der Kindesmutter in ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung hat der Senat keinen Glauben geschenkt. [...]

c) Durch die Anerkennung sind die rechtlichen Voraussetzungen für den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils i.S. von § 1600 Abs. 3 BGB geschaffen worden. Das Kind ist gemäß § 4 StAG deutscher Staatsangehöriger geworden. Die Kindesmutter hat deshalb am 31.07.2007 eine befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 1 AuslG erhalten. [...]

d) Die Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 S. 1 BGB ist gewahrt. Gemäß Art. 229 § 16 EGBGB beginnt die Frist gemäß § 1600 b Abs. 1 a BGB nicht vordem 01.06.2008. Davon unberührt bleibt der Gesetzesbegründung zufolge die absolute Fünf-Jahres-Frist des § 1600 b Abs. 1 a S. 3 BGB (BT-Drucks. 16/3291 S. 18), die hier gewahrt ist. Die Behörde muss sich die Kenntnis, die sie vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen erlangt hat, nicht anrechnen lassen, weil sie sonst in Übergangsfällen von ihrem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch machen könnte (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl. 2009, Art. 229 § 16 EGBGB). [...]

3. Die damit entscheidungserhebliche gesetzliche Regelung auch für Altfälle, wie sie in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, Art. 229 § 16 EGBGB zum Ausdruck gekommen ist, sieht der Senat als verfassungsgemäß an. Sie ist insbesondere mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG kommt.damit nicht in Betracht.

Das Rückwirkungsverbot ist in der Verfassung nicht ausdrücklich normiert. Das Verbot einer echten Rückwirkung ist in der Rechtsprechung des BVerfG überwiegend aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip, zu dem der Grundsatz der Rechtssicherheit gehöre, hergeleitet worden (BVerfGE 13, 261 (271); 30, 392 (401 ff.); 45, 142 (167 f.); 72, 200 (242)), während unechte Rückwirkungen grundrechtlichen Grenzen unterliegen sollen (BVerfGE 97, 67 (78 ff.). Eine - nur in Ausnahmefällen zulässige - echte Rückwirkung liegt nach herkömmlicher Sichtweise dann vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Demgegenüber ist eine unechte Rückwirkung dadurch gekennzeichnet, dass Normen auf in der Vergangenheit begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirken. Eine derartige Rückwirkung wird nur dann als unzulässig eingestuft, wenn bei einer Abwägung im Einzelfall das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer Regelung gegenüber dem Allgemeinwohl überwiegt (BVerfGE 72, 200 (242 f.).

Die hier in Rede stehende Übergangsvorschrift ist als unechte Rückwirkung anzusehen. Das Anfechtungsrecht ist der Behörde nur für die Zukunft zuerkannt worden. Allerdings wirkt die erfolgreiche Anfechtung auf den in den Übergangsfällen vor Inkrafttreten der Vorschrift liegenden Zeitpunkt der Geburt zurück (Palandt/Diederichsen aaO. § 1599 Rz. 7). Diese mittelbare Einwirkung auf die Vergangenheit bezieht sich aber auf einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt. Das Anerkenntnis schafft nämlich einen fortdauernden Tatbestand, indem es sowohl die rechtliche Zuordnung des Kindes zu dem anerkennenden Vater als auch den damit verbundenen dauerhaften Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bewirkt.

Die unechte Rückwirkung ist zulässig, weil der Gesetzgeber durch die Übergangsregelung, die die absolute Ausschlussfrist von fünf Jahren unberührt lässt, dem Vertrauen auf den Fortbestand der Regelung gegenüber den widerstreitenden allgemeinen Interessen angemessen Rechnung getragen hat. Bei der Wahrung des Vertrauensschutzes hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Einen Lösungsweg durch Befristungsregelungen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Rücknahme von rechtwidrigen Einbürgerungen aufgezeigt (BVerfGE 116, 24 unter 111 a.E.). Bei der konkreten Regelung ist das Vertrauen der betroffenen Personen in den Bestand der Vaterschaft, die ein bloßes rechtliches Konstrukt ohne soziale Bindung darstellt, nicht hoch anzusetzen. Ein Vertrauen kann allerdings im Hinblick auf die mit der Anerkennung verbundenen weit reichenden Folgen im privaten und öffentlichen Bereich entstehen. Die Abstammung hat Auswirkungen in vielen Rechtsbereichen, wie Erbrecht, Steuerrecht und Sozialrecht. Insbesondere kann auf den Fortbestand der mit der Anerkennung verbundenen Einbürgerung vertraut werden. Hierfür ist aber Voraussetzung, dass durch Zeitablauf tatsächlich ein schutzwürdiges Vertrauen gewachsen ist. Auf der anderen Seite ist das Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung von missbräuchlichen Anerkenntnissen zur Schaffung von Einbürgerungsvoraussetzungen hoch anzusetzen. Diesem Bedürfnis nach Rechtssicherheit einerseits und öffentlichen Interessen andererseits hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung angemessen Rechnung getragen, ohne seinen Gestaltungsspielraum zu überschreiten. [...]