OLG Hamm

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Zitieren als:
OLG Hamm, Beschluss vom 05.05.2009 - 5 Ss 140/09 - asyl.net: M15754
https://www.asyl.net/rsdb/M15754
Leitsatz:

Falsche Angaben zur Identität stellen keine mittelbare Falschbeurkundung dar, wenn die Duldung einen Hinweis beinhaltet, dass die Personenangaben auf den Angaben des Ausländers beruhen; die Strafbarkeit gem. § 95 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 49 Abs. 2 AufenthG setzt voraus, dass die Ausländerbehörde ausdrücklich Personenangaben verlangt.

Schlagwörter: Strafrecht, mittelbare Falschbeurkundung, Duldung, Falschangaben, Identität, öffentliche Urkunde, Erschleichen eines Aufenthaltstitels, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Meistbegünstigungsgrundsatz, Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen
Normen: StGB § 271; AuslG § 56; AufenthG § 60a Abs. 4; AuslG § 56a; AuslG § 39 Abs. 1 Nr. 10; AufenthG § 78 Abs. 6 S. 2 Nr. 10; AuslG § 92 Abs. 2; AufenthG § 95 Abs. 2; StGB § 2 Abs. 3; AufenthG § 49 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die jeweils zulässigen Revisionen der Angeklagten haben in der Sache Erfolg und führen auf die erhobene Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und des zugrundeliegenden erstinstanzlichen Urtteils sowie zur Freisprechung der Angeklagten aus rechtlichen Gründen. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen weder den Schuldspruch wegen gemeinschaftlicher mittelbarer Falschbeurkundung noch wegen Verstoßes gegen das Ausländer- bzw. Aufenthaltsgesetz.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 21. April2009 u.a. folgendes ausgeführt:

"Beurkundet im Sinne dieser Vorschrift (gemeint § 271 StGB) sind nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d.h. die volle Beweiskraft für und gegen jedermann erstreckt (BGHSt 42, 131). Entscheidend ist, ob gerade auch die inhaltlich falsch aufgezeichneten Umstände nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des der Beurkundung zugrunde liegenden Gesetzes von der erhöhten Beweiswirkung erfasst sind. Dies setzt voraus, dass die fragliche Tatsache mit der Urkunde gegenüber jedermann bewiesen werden kann.

Für die Taten bis zum 31.12.2004 galt für die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) § 56 AuslG und für die Taten ab dem 01.01.2005 § 60 a AufenthG. Nach § 56 a AuslG bzw. § 60 a Abs. 4 AufenthG ist über die Aussetzung der Abschiebung eine Bescheinigung auszustellen. Ist die Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) mit dem Hinweis versehen, dass die Personenangaben auf den Angaben des Ausländers beruhen, kommt der Duldungsbescheinigung - entgegen den Feststellungen des Landgerichts - nicht die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zu (so auch KG Berlin, Urt. v. 19.06.2008 - (4) 1 Ss 415/07; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.07.2007 - 4 Ss 198/07 -; inzwischen auch Fischer, StGB, 56. Auflg., § 271 Rdnr. 7 [im Gegensatz zur Vorauflage]; so auch für die Aufenthaltsgestattung: OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.07.2008 - 3 Ss 226/07; Brandenb. OLG, Beschluss vom 03.04.2008 - 2 Ss 20/08 -; OLG Naumburg, Beschluss vom 18.10.2006 - 2 Ss 294/06 -).

Durch den Hinweis, dass die Personalangaben auf den Angaben des Ausländers beruhen, gibt die Behörde gerade nicht die Richtigkeitsbestätigung, aufgrund welcher überhaupt ein öffentlicher Glaube entstehen könnte, der ein besonderes Vertrauen für und gegen jedermann schafft. Bei entsprechendem Hinweis erbringt die Urkunde nur Beweis dafür, dass (bei) der auf dem angehefteten Lichtbild dargestellten, unter dem genannten Namen, Alter und Herkunftsort auftretenden Person die Abschiebung ausgesetzt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 18.10.2006 2 Ss 294/06; AG Bremen Urtl. v. 12.04.2007 - 94 Cs 200 Js 35942/06; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 271 Rdnr. 7 Die Personalien werden durch die Behörde gerade nicht verifiziert. [...]

Seit dem 01.01.2002 hat der Gesetzgeber die Hinweispflicht ins AuslG bzw. AufenthG aufgenommen. Die Duldungsbescheinigungen sollten nach § 39 Abs. 1 Nr. 10 AuslG den Hinweis enthalten, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Ausländers beruhen. Nach § 78 Abs. 6 S. 2 Nr. 10 AufenthG soll auch der Ausweisersatz diesen Hinweis enthalten. Insoweit ist den Feststellungen noch zu entnehmen, dass ein solcher Zusatz auf den von den Angeklagten erhaltenen Duldungen auch enthalten war.

Eine besondere Beweiskraft ergibt sich auch nicht per se aus der Tatsache, dass eine grundsätzliche Wahrheitspflicht für den Ausländer hinsichtlich der anzugebenen Tatsachen besteht. Mit einer ergebnisorientierten Argumentation wird der Anwendungsbereich des § 271 StGB auf jede "schriftlich dokumentierte unwahre" Tatsache, die von der Behörde anschließend bescheinigt wird, ausgeweitet. Hierdurch wird gerade das Merkmal des besonderen Vertrauens, das hervorgerufen werden soll, umgangen.

Auch tragen die Feststellungen nicht den Vorwurf des Erschleichens eines Aufenthaltstitels gem. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG n.F.. Es liegt weder ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG noch gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Für die im Urteil festgestellten Taten bis zum 31.12.2004 war grundsätzlich eine Strafbarkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gegeben. Für die Taten zwischen dem 01.01.2005 und 13.11.2006 entfällt eine Strafbarkeit, da durch die Einführung des Zuwanderungsgesetzes am 01.01.2005 nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nur noch falsche Angaben von Aufenthaltstiteln sanktioniert wurden. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG stellt die Duldung jedoch keinen Aufenthaltstitel dar. Wegen des Meistbegünstigungsprinzips des § 2 Abs. 3 StGB, nach dem das mildeste Gesetz anzuwenden ist, sind die Angeklagten straflos, da das Aufenthaltsrecht a.F. aufgrund der Straflosigkeit im Verhältnis zum Ausländerrecht das Mildere darstellt und somit Anwendung findet.

Dem steht auch nicht entgegen, dass falsche Angaben zur Beschaffung (auch) von Duldungen nunmehr von § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG n.F. (wieder) erfasst werden (Gesetzesänderung vom 19.08.2007 BGBl. I, S. 1970). Es bleibt auch dann bei der Regelung des § 2 Abs. 3 StGB, wenn zwischen der Tatzeit und der Entscheidungszeit ein weiteres Zwischenrecht galt. Es gilt dann insgesamt das "günstigste" Recht (vgl. BGHSt 39, 370; Fischer, StGB, 56. Auflg., § 2 Rndr. 4). Bei nachträglichen Verschärfungen ist der Täter daher so zu stellen, als sei das Strafverfahren gegen ihn zur Geltungszeit des günstigsten Rechts geführt worden (vgl. Mitsch, NStZ 2006, 33). Es ist in einem Gesamtvergleich aller geltenden Rechte zwischen Tatzeitpunkt und Entscheidungszeitpunkt ... für den Täter das Recht anzuwenden, das für ihn die günstigste Beurteilung zulässt (vgl. BGH, Beschl. v. 07.06.2005 - 2 StR 122/05 -)."

Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft, die hinsichtlich der im Rahmen der §§ 271, 276 StGB bedeutsamen Frage nach der erhöhten Beweiswirkung von Personalangaben in aufenthaltsrechtlichen Papieren (§ 276 a StGB) der nach Art und Inhalt des aufenthaltsrechtlichen Papiers differenzierenden Sichtweise des Senats in seinem insoweit grundlegenden Beschluss vom 13. Januar 2009 - 5 Ss 447/08 - und der dortigen Argumentation entsprechen, schließt sich der Senat vollumfänglich an. Lediglich ergänzend ist folgendes zu bemerken:

Aus den in der zitierten Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen scheidet auch eine Strafbarkeit der Angeklagten nach §§ 276 Abs. 1 Nr. 2, 276 a StGB, die eine falsche Beurkundung der in den §§ 271 und 348 StGB bezeichneten Art voraussetzt, aus.

Auch eine Strafbarkeit der Angeklagten nach der erst seit dem 01. Januar 2005 geltenden Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften vom 20. Juli 2007 - BGBl. 2007 I, S. 1566 - am 01. November 2007 nun § 49 Abs. 2 AufenthG n.F.) in Bezug auf die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes begangenen Handlungen ist nach den getroffenen Feststellungen zu verneinen. § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG setzt (neben dem hier nicht vorliegenden Fall der Verweigerung jeglicher Angaben) unrichtige oder nicht vollständige Angaben "entgegen § 49 Abs. 1" (a.F.) bzw. § 49 Abs. 2 (n.F.) AufenthG voraus. Nach § 49 Abs. 1 (a.F.) bzw. § 49 Abs. 2 (n.F.) AufenthG ist jeder Ausländer verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden "auf Verlangen" die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen.

Voraussetzung der Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG wegen verweigerter oder unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben ist damit ein eindeutiges und ausdrückliches Verlangen der mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden (zu vgl. GK-AufenthG - Mosbacher, Stand: Juli 2008, § 95 Rdnr. 141). Ein solches Verlangen der zuständigen Ausländerbehörde lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Darin ist lediglich festgestellt, dass die Angeklagten zu den näher festgestellten Zeitpunkten jeweils "unter Aufrechterhaltung ihrer Falschangaben" die Verlängerung ihrer Duldung beim Ausländeramt beantragten. Dass der mit dem Vorgang befasste Beamte dort jeweils ausdrücklich und unmissverständlich (bestätigende) Angaben zu den bereits bekannten (angeblichen) Personalien der Angeklagten verlangte, ist nicht festgestellt und im übrigen fernliegend. [...]