LG Dresden

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Zitieren als:
LG Dresden, Beschluss vom 30.09.2009 - 2 T 695/09 - asyl.net: M16135
https://www.asyl.net/rsdb/M16135
Leitsatz:

In Freiheitsentziehungsverfahren (Abschiebungshaft) ist Akteneinsicht durch das Gericht zu gewähren. Die Sachlage ist mit der in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht vergleichbar.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Akteneinsicht, Freiheitsentziehungsverfahren
Normen: GG Art. 20 Abs. 3, GG Art. 103 Abs. 1, FGG § 34 Abs. 1 Satz 1
Auszüge:

[...]

II. 1.a) Die Versagung der Akteneinsicht in die Gerichtsakten erfolgte zu Unrecht.

aa) Nach § 34 I 1 FGG kann jedem, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, die Einsicht in die Gerichtsakten gestattet werden. In Verbindung mit Art. 103 I GG hat jeder Beteiligte durch den Anspruch auf rechtliches Gehör und das Gebot des fairen Verfahrens (Art. 20 III GG) grundsätzlich ein Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler-Kahl, FGG, 15. Aufl., § 34 RN 1 und RN 13 a).

bb) Das Amtsgericht ist der Rechtsauffassung, in Freiheitsentziehungssachen werde keine Gerichtsakte geführt, weshalb in diese auch keine Akteneinsicht bewilligt werden könne. Geführt werde beim "Ermittlungsrichter" in Freiheitsentziehungssachen lediglich eine "Sammlung", bei der es sich um eine interne Akte handele, die der Akteneinsicht entzogen sei.

Dieser Auffassung vermag das Beschwerdegericht nicht zu folgen. Dabei kann dahinstehen, ob der Wahl der Begrifflichkeiten des Amtsgerichtes zu folgen ist oder nicht. Wie auch immer der in erster Instanz geführte "Vorgang" durch das Gericht selbst bezeichnet wird: In die bei ihm befindlichen Anträge und weiteren Schriftsätze der Beteiligten, gerichtlichen Originalverfügungen und -beschlüsse, die gerichtlichen Aktenvermerke über geführte Telefonate mit Beteiligten oder über Ermittlungen nach § 12 FGG sowie von Dritten bzw. anderen Behörden stammenden, zum Vorgang gehörenden Unterlagen ist dem Betroffenen in einer Freiheitsentziehungssache durch das Gericht (Akten-)Einsicht zu bewilligen.

Die Sachlage ist mit der in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht vergleichbar. Die Voraussetzungen für die Bildung einer Analogie zu § 147 II/1. Alt. StPO liegen nicht vor. Das Amtsgericht berücksichtigt nicht, dass das Freiheitsentziehungsverfahren von seinem Ablauf her völlig anders gestaltet ist als das Strafverfahren. Es erschließt sich nicht, welcher Zeitpunkt nach Auffassung des Amtsgerichtes beispielsweise dem Zeitpunkt des Vermerks des Abschlusses der Ermittlungen i.S.d. § 147 II StPO entsprechen soll und welcher Zeitpunkt im Freiheitsentziehungsverfahren der Erhebung der Anklage und der Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechen soll. Der Betroffene soll während des gesamten Freiheitsentziehungsverfahrens nach Auffassung des Amtsgerichtes Akteneinsicht nur bei der Ausländerbehörde nehmen können; hingegen ist im Strafverfahren die Staatsanwaltschaft gerade nicht unabhängig vom Verfahrensstadium ausschließlich für die Bewilligung von Akteneinsicht zuständig, vgl. § 147 V 1/2. Alt. StPO. [...]

2.) Die Versagung der Akteneinsicht in die "Ausländerakte" erfolgte in dem Umfang, in dem das Amtsgericht Dresden entschieden hat, zu Unrecht.

a) Der Anspruch auf Akteneinsicht erstreckt sich jedenfalls dann auch auf beigezogene Akten, wenn das Gericht diese zur Grundlage seiner Entscheidung macht. Dabei kann auch ein Auswerten von beigezogenen Akten nach § 12 FGG mit Grundlage einer Entscheidung sein, selbst wenn die beigezogenen Akten in der späteren Entscheidung keine Erwähnung finden. Allenfalls dann, wenn den Beteiligten die durch die Aktenbeiziehung gewonnenen Informationen in anderer, gleichwertiger Weise zugänglich gemacht werden, kann unter Umständen die Bewilligung von Akteneinsicht in beigezogene Akten verzichtbar sein.

Dabei obliegt die Entscheidung, welche Ermittlungen nach § 12 FGG angestellt werden und welche Akten beigezogen werden, dem zur Sachentscheidung berufenen Gericht, ohne dass diese Zwischenentscheidungen isoliert anfechtbar wären (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler-Kahl, a.a.O., § 19 RN 9). [...]