OLG Nürnberg

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Zitieren als:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.10.2009 - 1 St OLG Ss 191/09 - asyl.net: M16469
https://www.asyl.net/rsdb/M16469
Leitsatz:

Aufhebung einer Verurteilung wegen unerlaubter Einreise nach Zurückschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Zurückschiebung und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Nach Art. 31 Abs. 1 GFK wird keine Strafe gegen Flüchtlinge verhängt, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind und die ohne Erlaubnis einreisen, wenn sie sich unverzüglich den Behörden melden. Unmittelbare Einreise aus einem Verfolgerland liegt auch bei Einreise direkt aus einem sicheren, freien Drittland vor, wenn dieses nur auf der Durchreise berührt wurde und keine schuldhafte Verzögerung des Aufenthalts in diesem sicheren Drittland vorliegt.

Schlagwörter: unerlaubte Einreise, unerlaubter Aufenthalt, persönlicher Strafaufhebungsgrund, Revision, Sachrüge, Zurückschiebung
Normen: GG Art. 16a Abs. 1, GFK Art. 31
Auszüge:

[...]

Das Amtsgericht Fürth hat den Angeklagten am 10.6.2009 wegen unerlaubter Einreise nach Zurückschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Zurückschiebung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10,- Euro verurteilt. [...]

Nach Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention wird keine Strafe gegen Flüchtlinge verhängt, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit i.S.v. Art. 1 bedroht werden und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen, wenn sie sich unverzüglich bei den Behörden melden. Im angefochtenen Urteil wird unmittelbare Einreise aus einem Verfolgungsgebiet deswegen abgelehnt, weil bei der Einreise auf dem Landweg "denknotwendig sichere Staaten durchfahren" wurden. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Unmittelbare Einreise aus einem Verfolgerland liegt auch bei Einreise direkt aus einem sicheren, freien Drittland vor, wenn dieses nur auf den Durchreise berührt wurde und kein verschuldeter verzögerter Aufenthalt in diesem sicheren Drittland vorgenommen wurde (vgl. BayObLG NJW 1980, 2030; OLG Celle MDR 1987, 607; BayObLG MDR 1985, 786). Im angefochtenen Urteil werden zu einer eventuellen Unterbrechung der Reise in einem sicheren Drittstaat keine Feststellungen getroffen. Die festgestellten Reisedaten (Beginn der Reise am 28.8.2008, Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 2.9.2009) sprechen stark gegen das Vorliegen eines solchen schuldhaften, relevanten verzögerten Aufenthalts außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Das Urteil war daher in Schuld- und Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, ergänzende Feststellungen zu einer Verzögerung, vor allem aber auch zu der weiteren konsequenterweise ausdrücklich offen gelassenen Frage der Flüchtlingseigenschaft des Angeklagten sind jedoch noch zu treffen, bevor Entscheidungsreife in der Sache vorliegt. [...]