LG Bremen

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Zitieren als:
LG Bremen, Beschluss vom 17.12.2009 - 5 Qs 403/09 - asyl.net: M16557
https://www.asyl.net/rsdb/M16557
Leitsatz:

Gebührenrecht - Wenn das Gericht die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger beschließt, sind grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten erstattungsfähig, die dadurch entstehen, dass der bestellte Verteidiger seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat. Wenn nicht schon in der unbeschränkten Beiordnung des Verteidigers die gerichtliche Wertung der Anerkennung der Notwendigkeit der erhöhten Aufwendungen eines auswärtigen Verteidigers auch mit Wirkung für den Wahlverteidiger liegt, sind diese Aufwendungen hier jedenfalls schon deshalb notwendig und zu erstatten, weil die Einschaltung des auswärtigen Verteidigers insgesamt sachgerecht war. Es kommt nicht darauf an, dass nachzuweisen wäre, dass am Gerichtsort ein Verteidiger vergleichbarer Qualifikation nicht zu beauftragen gewesen wäre.

Schlagwörter: Anwaltsgebühren, Abwesenheitsgeld, Reisekosten, Pflichtverteidigung, Strafprozess
Normen: RVG Nr. 7005, RVG Nr. 7003, RVG Nr. 7004
Auszüge:

[...]

Der Bezirksrevisor hat in seiner Stellungnahme auf die Beschwerde des Angeklagten ins Feld geführt, Abwesenheitsgelder und Fahrtkosten seinen lediglich für die Berufungshauptverhandlung zuzuerkennen, weil der Verteidiger für die Berufungsinstanz ohne Einschränkungen beigeordnet worden sei.

Das trägt nicht, weil die Beiordnung zwar erst zwischen erster und zweiter Instanz erfolgt ist, eine Beschränkung der Beiordnung auf die Berufungsinstanz die Verfügung der Kammervorsitzenden vom 14.08.2008 jedoch ausdrücklich nicht enthält. Die Pflichtverteidigerbestellung wirkt für das gesamte Verfahren bis zu dessen Rechtskraft, wenn sie nicht ausdrücklich auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkt ist (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 140 Rdnr.5 f., KK-Laufhütte StPO 6. Aufl. § 140 Rdnr. 4), mit Ausnahme der Mitwirkung an der Revisionsverhandlung (vgl. § 350 Abs.3 StPO).

Eine Beschränkung der Verteidigergebühren auf die des ortsansässigen Rechtsanwalts ist nicht erfolgt. Sie wäre auch unzulässig, soweit sich der Verteidiger damit nicht ausdrücklich einverstanden erklärt (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 142 Rdnr. 6). Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Frage, ob die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger erforderlich ist, bereits bei der Auswahl des Vertei-digers nach § 142 Abs.1 S. 1 StPO geprüft worden ist. Daher sind dann, wenn das Gericht die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts als Verteidiger beschließt, grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten erstattungsfähig, die dadurch entstehen, dass der bestellte Verteidiger seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat (vgl. BVerfG, B. vom 24.11.2000, NJW 2001, 1269). Schon deshalb wären, soweit der Verteidiger hier lediglich seine Gebühren als Pflichtverteidiger abrechnen würde, ihm die notwendigen Abwesenheitsgelder und Fahrtkosten beider Hauptverhandlungen zu erstatten (§ 45 Abs. 1 RVG). Dass diese (der Höhe nach unstreitigen) Kosten und Auslagen zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit ihrerseits nicht erforderlich waren und deshalb nicht erstattungsfähig sein könnten (§ 46 Abs. 1 RVG), ist nicht ersichtlich.

In der Sache kann nichts anderes gelten, wenn der Verteidiger, wie hier nach Freispruch und Berufungsrücknahme, seine Gebühren und Auslagen als Wahlverteidiger abrechnet. Wenn nicht schon in der unbeschränkten Beiordnung des Verteidigers die gerichtliche Wertung der Anerkennung der Notwendigkeit der erhöhten Aufwendungen eines auswärtigen Verteidigers auch mit Wirkung für den Wahlverteidiger liegt, was hier dahingestellt bleiben kann, sind diese Aufwendungen hier jedenfalls schon deshalb notwendig und zu erstatten, weil die Einschaltung des auswärtigen Verteidigers insgesamt sachgerecht war. Es kommt entgegen der Auffassung des Bezirksrevisors nicht darauf an, dass nachzuweisen wäre, dass am Gerichtsort ein Verteidiger vergleichbarer Qualifikation nicht zu beauftragen gewesen wäre. Ausreichend ist vielmehr, dass die Zuziehung eines nicht am Prozessort wohnenden Verteidigers notwendig war, z.B. wegen der besonderen Kenntnisse auf seinem Fachgebiet (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 464a Rdnr. 12). Diese Voraussetzung ist hier zweifelsfrei erfüllt. Der Verteidiger hat den Angeklagten mehrfach in ausländerrechtlichen Verfahren gegenüber den Bremischen Behörden und Gerichten vertreten und verfügt gerichtsbekannt auf diesem Rechtsgebiet über Spezialkenntnisse. Der Angeklagte ist zudem auf der Grundlage des rechtlich zutreffenden Vorbringens des Verteidigers in dem Verfahren vor dem Amtsgericht freigesprochen worden; auf den Beweisantrag Bl. 62 und das amtsgerichtliche Urteil Bl. 65 ff. wird Bezug genommen. Dass die Sach- und Rechtslage schwierig war, und besondere rechtliche Kenntnisse des Verteidigers erforderte, ergibt sich bereits aus den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils sowie insbesondere aus den wechselnden Rückschriften zwischen StA und Landgericht mit Begründung der Berufung und über die Frage der Rücknahme der Berufung, in denen jeweils unterschiedliche Entscheidungen verschiedener Strafgerichte unterschiedlicher Instanzen für die jeweiligen Rechtsstandpunkte ins Feld geführt wurden (vgl. Bl. 74, 79, 81, 97 d.A.). Bei dieser Prozesslage durfte der Angeklagte sich des Beistands eines in seinen persönlichen ausländerrechtlichen Angelegenheiten und in den parallelen strafrechtlichen Angelegenheiten besonders sachkundigen auswärtigen Verteidigers bedienen. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Entfernung zwischen dem Sitz des Verteidigers und dem Gerichtsort (Hannover/Bremen) mit den zu erwartenden Mehraufwendungen moderat war (vgl. zu diesem Aspekt für die Beiordnung eines auswärtigen Verteidigers Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 142 Rdnr.12) und derlei überschaubare überregionale Verteidigertätigkeit seit langem durchaus der Üblichkeit im Gerichtsalltag entspricht. [...]