VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 12.05.2010 - 13 L 761/10 - asyl.net: M17140
https://www.asyl.net/rsdb/M17140
Leitsatz:

Die Ausländerbehörde und nicht das BAMF ist für die Feststellung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen auch in Dublin-Verfahren zuständig (hier Suzidalität, PTBS).

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Italien, vorläufiger Rechtsschutz, Konzept der normativen Vergewisserung, Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Posttraumatische Belastungsstörung, Suizidgefahr, Duldung
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2, GG Art. 16a Abs. 2, AsylVfG § 26a, AufenthG § 60a Abs. 3
Auszüge:

[...]

Soweit die vorläufige Untersagung der Abschiebung in verfassungskonformer Auslegung von § 34a AsylVfG dann in Betracht kommt, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, BVerfGE 94, 49, Beschluss vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, juris), hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen.

§ 34a AsylVfG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass er entgegen seinem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, sondern derartiger Rechtsschutz in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich bleibt. Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist zwar aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-Verordnung wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-Verordnung und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer danach nur dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei an die Darlegung eines Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen sind (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.).

Dass ein derartiger Sonderfall vorliegt, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Er hat weder zur Durchführung von Asylverfahren in Italien im Allgemeinen noch zu seinem eigenen, dort geführten Asylverfahren nähere Angaben gemacht. Soweit er auf die Rückführung unerlaubt eingereister Personen von Italien nach Libyen verwiesen hat, ist seinem Vorbringen schon nicht zu entnehmen, welcher Personenkreis von derartigen Maßnahmen konkret betroffen ist, insbesondere ob diese Maßnahmen auch solche Ausländer erfassen, die einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Dem Gericht liegen auch keine anderweitigen Erkenntnisse vor, die den Schluss erlauben würden, dass das Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG zugrunde liegende normative Vergewisserungskonzept in Bezug auf Italien allgemein oder jedenfalls in Bezug auf die spezifische Situation des Antragstellers keine Geltung beanspruchen könnte.

Soweit der Antragsteller unter Verweis auf das Attest der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ... vom 8. Mai 2010 geltend macht, dass er an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und einer schwergeradigen Depression leide sowie Suizidalität bestehe, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Dass die entsprechenden Erkrankungen, soweit erforderlich, in Italien nicht behandelt werden könnten oder jedenfalls nicht behandelt würden, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Soweit die angeführten Suizidialität die Durchführung der Abschiebung in Frage stellen könnte, ist dies als eventuelles inlandsbezogenes Abschiebungshindernis von der Ausländerbehörde in eigener Zuständigkeit zu prüfen (- ebenso Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 22. August 2003 - 2 E 2162/03.A -, juris; Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluss vom 1. August 2002 - 5 G 2082/02.A(3) -, juris; a.A. allerdings Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 9. Dezember 2008 - A 4 K 3916/08 -, juris, Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 28. September 2005 - 11 A 3134/04 -, juris -) und stellt deshalb die Rechtmäßigkeit der hier streitigen Entscheidung nicht in Frage. § 34a AsylVfG überantwortet zwar die Entscheidung über die Abschiebung als solche dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, indem dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Da aber für die Vollstreckung dieser Entscheidung weiterhin die Ausländerbehörde zuständig ist, bleibt es auch bei deren Zuständigkeit für die Prüfung eines etwaigen der Vollstreckung entgegenstehenden rechtlichen Hindernisses. Dies ergibt sich mangels speziellerer Regelungen im Asylverfahrensgesetz aus § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), der die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) regelt und diese Entscheidung der Ausländerbehörde überantwortet. § 60a Abs. 3 AufenthG regelt ausdrücklich, dass im Falle einer Duldung die Ausreisepflicht des Ausländers unberührt bleibt. Die Vorschrift geht also davon aus, dass es sich bei der die Ausreisepflicht begründenden Entscheidung - hier also der Abschiebungsanordnung - und der Duldung um eigenständige Regelungen handelt. Dementsprechend führt die durch § 34a AsylVfG begründete Zuständigkeit des Bundesamtes für den Erlass der Abschiebungsanordnung nicht dazu, dass es auch für die Entscheidung über eine Duldung zuständig wäre. [...]