OLG Hamm

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Zitieren als:
OLG Hamm, Beschluss vom 01.06.2010 - 3 RVs 310/09 - asyl.net: M17314
https://www.asyl.net/rsdb/M17314
Leitsatz:

Werden gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer Unterstützungshandlungen erbracht, durch die objektiv die Verletzung der Ausreisepflicht gefördert und erleichtert wird, so können humanitäre Gründe nur in Ausnahmefällen zur Straflosigkeit solcher Unterstützungshandlungen führen, etwa wenn die Hilfeleistungen der Behebung einer akuten Notsituation dienen und ihr Umfang nicht über das Maß der im Einzelfall gebotenen - in der Regel kurzfristigen - Nothilfemaßnahmen hinausgeht.

(Amtlicher Leitsatz)

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Anmerkung der Redaktion: Das Verfahren soll gegen eine Bußgeldzahlung eingestellt worden sein.

Schlagwörter: Strafrecht, Kirchenasyl, Beihilfe, unerlaubter Aufenthalt, evangelischer Pfarrer, Strafbefehl, Revision, Vorsatz, Untertauchen, Kausalität, Dauerdelikt, Gewissensfreiheit, Rechtfertigung, akute Notsituation,
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 2, StGB § 27
Auszüge:

[...]

Das angefochtene Urteil kann aber keinen Bestand haben.

Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe, indem er Frau H. Unterkunft gewährt und sie gelegentlich durch die Zuwendung kleinerer Geldbeträge unterstützt habe, den Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 27 StGB nicht verwirklicht, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Beihilfe i.S.d. § 27 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Gehilfe dem Haupttäter vorsätzlich zur Begehung einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat Hilfe leistet.

a) H. verfügte spätestens ab dem 06.02.2004, nämlich mit der an diesem Tage eintretenden Bestandskraft des ihren Folgeasylantrag ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.2003, gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG nicht mehr über eine Aufenthaltsgestattung für einen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und war vollziehbar ausreisepflichtig, nachdem die Frist für die Aussetzung der Abschiebung am 25.02.2004 abgelaufen war. Durch ihren weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erfüllte sie den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

Sie handelte auch vorsätzlich. Denn nach den Urteilsfeststellungen ist Frau H., nachdem die Aussetzungsfrist für ihre Abschiebung abgelaufen war, untergetaucht, um der Abschiebung zu entgehen. Sie wusste daher, dass sie zur Ausreise verpflichtet war und ihr in der Bundesrepublik kein Aufenthaltsrecht mehr zustand. Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung ist grundsätzlich in den Fällen nicht gegeben, in denen der Ausländer untergetaucht ist und die Ausländerbehörde wegen des ihr unbekannten Aufenthalts des Ausländers eine Duldung gar nicht erteilen kann (vgl. BGH BeckRS 2004, 11740). Deshalb bedarf es bei der hier vorliegenden Sachverhaltsgestaltung nicht der ansonsten in der Regel gebotenen Prüfung, ob im Tatzeitraum die Voraussetzungen für die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung materiell gegeben waren (vgl. BVerfG NStZ 2003, 488), was zur Folge hätte, dass eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entfiele.

b) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte der Haupttäterin H. in der Zeit vom 20.06.2006 bis zum 23.08.2006 Unterkunft gewährt und ihr darüber hinaus kleinere Geldbeträge für ihren Unterhalt zugewendet. Die Ansicht der Strafkammer, diese Unterstützungshandlungen könnten schon deshalb nicht als Beihilfehandlungen i.S.d. § 27 StGB gewertet werden, da die Haupttäterin H. ohnehin und unabhängig von den Unterstützungsleistungen durch den Angeklagten fest zum Verbleib in der Bundesrepublik entschlossen gewesen sei, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist grundsätzlich jede Handlung als Hilfeleistung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge kausal wird, ist nicht erforderlich. Anders liegt es nur, wenn der Beihilfehandlung jede Eignung zur Förderung der Haupttat fehlt oder sie erkennbar nutzlos für das Gelingen der Tat ist (vgl. BGH, Beschluss vom 02.09.2009 - 5 StR 266/09 -, BeckRS 2009 26714 m.w.N.).

Der Umstand, dass die Haupttäterin H. nach den Urteilsfeststellungen unabhängig von den Hilfeleistungen des Angeklagten zu einer Fortsetzung des unerlaubten Aufenthaltes entschlossen gewesen war, steht daher einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zu diesem unerlaubten Aufenthalt nicht entgegen. Denn nach allgemeinen Regeln muss die Hilfeleistung nicht conditio sine qua non für die Begehung bzw. Fortsetzung der Haupttat sein (BGH, a.a.O., OLG Köln, NStZ-RR 2003, 184; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 184; König, NJW 2002, 1623; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 27 Rdnr. 8). Diese allgemeinen Regeln gelten auch bei einem Dauerdelikt wie dem unerlaubten Aufenthalt gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Beihilfe zu einem Dauerdelikt kann auch noch nach dessen Beginn während seiner Begehung so lange geleistet werden, wie der Haupttäter den rechtswidrigen Dauerzustand nicht beendet. Ausreichend ist insoweit, dass durch die Unterstützungshandlungen des Gehilfen der Entschluss zur Fortsetzung des Dauerdeliktes, auch wenn er vorher bereits gefasst gewesen sein mag, bestärkt und konkretisiert wird (vgl. BGH, Urteil vom 31.07.2003 – 5 StR 251/03 - = NStZ 2004, 44).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die von dem Angeklagten geleisteten Unterstützungshandlungen objektiv als Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt der Haupttäterin H. zu werten. Denn er hat dieser Unterkunft gewährt und zur Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes durch die gelegentliche Zuwendung kleinerer Geldbeträge beigetragen. Es liegt auf der Hand, dass er hierdurch die Verletzung der Ausreisepflicht durch die Haupttäterin und deren illegalen Aufenthalt objektiv gefördert und erleichtert hat (vgl. BGH, a.a.O.; König, NJW 2002, 1623).

bb) Das Handeln des Angeklagten ist auch nicht aufgrund seiner Gewissensfreiheit als gerechtfertigt anzusehen. Denn aus der Gewissensfreiheit lässt sich kein Recht zur eigenmächtigen Korrektur staatlicher Entscheidungen herleiten (Muckel, NJW 2000, 689). Zudem kollidiert die Gewissensfreiheit hier mit der Ausgestaltung der staatlichen Asylgewährung nach Art. 16a GG.

cc) Es ist jedoch anerkannt, dass nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis objektiv tatfördernd auswirkt, als (strafbare) Beihilfe gewertet werden kann. Vielmehr bedarf es insbesondere in Fällen, die sog. "neutrale" Handlungen betreffen, einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall (BGH NJW 2003, 2996).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt es sich hierbei im Wesentliche um ein Problem des subjektiven Tatbestandes (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 27 Rdnr. 18 m.w.N.). Der Bundesgerichtshof hat in den Fällen berufstypischer neutraler Handlungen folgende Grundsätze aufgestellt: Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag in jedem Fall als strafbare Beihilfehandlung zu werten. Denn unter diesen Voraussetzungen verliert sein Tun stets den "Alltagscharakter"; es ist als "Solidarisierung" mit dem Täter zu deuten. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung "die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein" ließ (BGHSt 46, 107, 112; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20).

In den Fällen, in denen nicht eine "berufstypische", sondern vielmehr eine neutrale Alltagshandlung ohne berufstypischen Bezug vorliegt, bedarf die Beurteilung, ob eine strafbare Beihilfe vorliegt, einer besonders eingehenden Prüfung. Die entwickelten Grundsätze zu den berufstypischen neutralen Handlungen sind jedoch auch hier grundsätzlich anwendbar.

Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Haupttäterin bereits allein durch ihre weitere Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (weiterhin) erfüllte, was dem Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen auch bekannt war. Die Unterstützungshandlungen, wie die Gewährung von Unterkunft und die Zuwendung von kleineren Geldbeträgen, wurden daher nicht unabhängig von der aufenthaltsrechtlichen Situation der H. gewährt, sondern in Kenntnis ihrer Ausreiseverpflichtung und dienten unmittelbar der Förderung, der Aufrechterhaltung und Fortsetzung dieses illegalen Aufenthaltes. Für den Angeklagten konnte daher nicht zweifelhaft sein, dass seine Unterstützungsleistungen zur weiteren Verwirklichung des Dauerdelikts des unerlaubten Aufenthalts durch die Haupttäterin H. in Anspruch genommen wurden. Eine legale Möglichkeit, die Hilfeleistungen des Angeklagten zu nutzen, bestand für die Haupttäterin praktisch nicht.

dd) Der Bundesgerichtshof hat bei der Unterkunftsgewährung an einen Ausländer, der sich unerlaubt in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, allerdings die Möglichkeit einer straflosen Unterstützungshandlung für den Fall in Erwägung gezogen hat, dass sich der Unterstützende darauf beschränkt, dem Ausländer eine Unterbringung in menschenunwürdigen Verhältnissen ersparen, und zwar unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Ausländer in jedem Fall entschlossen gewesen wäre, seiner Ausreisepflicht zuwiderzuhandeln (vgl. BGH NJW 1990, 2207). Ob eine Beherbergung oder auch eine sonstige Unterstützung eines ausreisepflichtigen Ausländers nur aus humanitären Gründen bereits objektiv keine Beihilfehandlungen i.S.d. § 27 StGB darstellen (vgl. insoweit König NJW 2002, 1623, wonach der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes der Gedanke zugrunde liegt, dass im weitesten Sinne sozial adäquate Verhaltensweisen aus dem Bereich der strafbaren Beihilfe herausgenommen werden sollen) , oder ob es bei einer solchen Fallgestaltung an dem erforderlichen Gehilfenvorsatz mangelt oder ob Unterstützungshandlungen mit ausschließlich dieser Motivation als gerechtfertigt oder entschuldigt anzusehen sind, lässt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht eindeutig entnehmen. Diese Frage bedarf im vorliegenden Verfahren aber auch keiner abschließenden Entscheidung. Nach der Auffassung des Senats können nämlich humanitäre Gründe nur in Ausnahmefällen zur Straflosigkeit von Unterstützungshandlungen führen, etwa wenn die Hilfeleistungen der Behebung einer akuten Notsituation dienen und ihr Umfang nicht über das Maß der im Einzelfall gebotenen - in der Regel kurzfristigen - Nothilfemaßnahmen hinausgeht. Denn humanitären Gründen, die einer Abschiebung entgegen stehen können, wird durch gesetzlich geregelte Abschiebungshindernisse grundsätzlich abschließend und aus ausreichend Rechnung getragen. Diese durch den Gesetzgeber getroffene Bewertung ist zu respektieren und zu beachten und darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass an deren Stelle die eigene Vorstellung gesetzt und verwirklicht wird.

Das objektive Vorliegen einer Notsituation in dem oben erörterten Sinn lässt sich hier den Urteilsfeststellungen aber nicht entnehmen. Ein zwei Monate andauernde Gewährung von Unterkunft, die allein darauf beruhte, dass die sich unerlaubt in der Bundesrepublik aufhaltende Ausländerin nicht eher bereit war, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen und die somit längerfristig darauf angelegt war, die bestehende Ausreisepflicht zu konterkarieren, kann jedenfalls nicht mehr als Unterstützungshandlung, die aus ausschließlich humanitären Gründen in einer akuten Notsituation geboten war, angesehen werden.

Abgesehen davon ist es im vorliegenden Verfahren angesichts der Mitwirkung des Angeklagten in dem "Netzwerk Kirchenasyl" auch naheliegend, dass er sich bewusst war, dass er durch seine Unterstützungshandlungen an der Straftat der Haupttäterin mitwirkte und sich dadurch strafbar machte. Angesichts dessen ist es eher fernliegend, dass er diese Gesichtspunkte nicht bedacht hat, sondern ausschließlich den Willen hatte, der Haupttäterin eine menschenunwürdige Unterbringung zu ersparen, zumal sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass in Bezug auf Frau H. diese Gefahr bestand, aus dem Urteil nicht entnehmen lassen. [...]