VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 25.08.2009 - 22 K 4844/08.A - asyl.net: M17374
https://www.asyl.net/rsdb/M17374
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für iranische Frau wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung (sexuelle Übergriffe des Stiefvaters).

Schlagwörter: Asylverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Iran, Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, politische Verfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, soziale Gruppe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4 Bst. c
Auszüge:

[...]

Ist nach alledem von der Wahrheit des von der Klägerin geschilderten Geschehens auszugehen, droht ihr im Falle einer Rückkehr in den Iran mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr sexueller Übergriffe durch ihren Stiefvater. Bei der der Klägerin drohenden Gefahr sexueller Übergriffe handelt es sich um politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG. Sie stellt zwar keine staatliche Verfolgung dar. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, soweit der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen einschließlich internationaler Organisationen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar hat sich die Klägerin nicht mit Anzeigen gegen ihren Stiefvater an die iranischen Strafverfolgungsbehörden gewandt. Dies war der Klägerin jedoch angesichts ihrer besonderen familiären Situation auch nicht zumutbar. Ihr Stiefvater ist Angehöriger des Sepah-Pasdaran-Corps "Revolutionswächter". Das Corps war und ist ein Instrument zur gewaltsamen Durchsetzung der Revolution und Islamisierung der Gesellschaft. Die Pasdaran besitzen weitverzweigte Wirtschaftsunternehmen und verfügen über eigene Gefängnisse und einen eigenen Geheimdienst (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2009, S. 12).

Nach den Angaben der Klägerin war ihr Stiefvater in einer höheren Position und hatte vielfache Kontakte. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die fehlende Bereitschaft ihrer Mutter, sie zu unterstützen, war es der Klägerin nicht zuzumuten, um Schutz nachzusuchen. Gerade vor dem Hintergrund ihrer kurzfristigen Festnahme im Evin-Gefängnis musste sie von der Gefahr ausgehen, dass eine entsprechende Anzeige bei iranischen Strafverfolgungsbehörden an ihren Stiefvater weitergeleitet würde (vgl. hierzu, Treiber in GK-AufenthG, § 60, Rn. 136 ff.).

Die Unzumutbarkeit eines derartigen Schutzgesuchs der Klägerin wird auch durch die Auskunftslage bestätigt. Nach Einschätzung etwa des Auswärtigen Amts können Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird (vgl. Lagebericht vom 23. Februar 2009, a.a.O. F. 30 sowie amnesty international, Stellungnahme vom 9. Februar 2008 an das Oberverwaltungsgericht des Saarlands - MDE 13-07.006 -).

Eine innerstaatliche Fluchtalternative, die eine politische Verfolgung durch Einzelpersonen gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG ausschlösse, besteht für die Klägerin nicht. Insbesondere hat sie angesichts der Stellung ihres Stiefvaters nicht die Möglichkeit, sich durch eine Wohnsitznahme in einem anderen Ortsteil der Millionenstadt Teheran oder anderswo im Iran seinem Zugriff zu entziehen.

Die gegen die Klägerin verübten sexuellen Übergriffe knüpft an das asylerhebliche Merkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an, nämlich eine allein an das Geschlecht anknüpfende Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und Freiheit. Die im Iran erlittene Verfolgung war nach dem glaubhaften Vorbringen der Klägerin auch mit schwerwiegenden körperlichen Beeinträchtigungen verbunden. [...]