AG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
AG Frankfurt a.M., Beschluss vom 04.08.2010 - 457 F 6154/10 SO - asyl.net: M17412
https://www.asyl.net/rsdb/M17412
Leitsatz:

16- und 17-jährige unbegleitete Flüchtlinge sind aufgrund der Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention nun auch nach dem Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz wie Minderjährige zu behandeln. Die bisherige Praxis der Ungleichbehandlung von Kindern unter und über 16 Jahren kann nicht aufrechterhalten werden. Dem Minderjährigen war daher ein Ergänzungspfleger zu bestellen.

Schlagwörter: unbegleitete Minderjährige, Vormundschaft, Ergänzungspflegschaft, Handlungsfähigkeit, UN-Kinderrechtskonvention, Vorbehalt
Normen: BGB § 1909 Abs. 1, AufenthG § 80 Abs. 1, AsylVfG § 12 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Minderjährige ist am 22. April 2010 ohne Sorgeberechtigte in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main bestellt dem Minderjährigen mit Beschluss vom 26.04.2010 das Jugendamt der Stadt Frankfurt zum Vormund.

Daneben war für den Minderjährigen nach § 1909 Abs. 1 BGB Ergänzungspflegschaft mit dem Aufgabenkreis "Vertretung in asyl- und ausländerrechtliche Angelegenheiten" anzuordnen. Der Vormund verfügt für den betroffenen Aufgabenkreis nicht über die erforderliche Sachkunde.

Zwar hat der Minderjährige das 16. Lebensjahr bereits vollendet. Gemäß § 80 Abs. 1 AufenthaltsG und § 12 Abs. 1 AsylVerfG ist er damit selbst handlungsfähig und steht einem Volljährigen gleich. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt, kam die Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Vertretung in ausländer- und asylrechtliche Fragen daher nicht in Betracht.

Die rechtliche Situation hat sich jedoch aktuell geändert.

Die Regelung in § 80 Abs. 1 AufenthaltsG und § 12 Abs. 1 AsylVerfG steht in Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention, die jeden Menschen, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, als Kind ansieht, soweit nicht die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht früher eintritt. Die Konvention ist für die Bundesrepublik Deutschland am 5.04.1992 in Kraft getreten, allerdings mit Vorbehalten, die u.a. das Asyl- und Ausländerrecht betrafen. Nachdem die Bundesregierung Anfang Mai 2010 die Vorbehaltserklärung zurückgenommen hat, ist kurzfristig auch mit entsprechender Anpassung des Aufenthaltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes zu rechnen.

Unter diesen veränderten Umständen kann die bisherige Praxis der Ungleichbehandlung von Kindern unter und über 16 Jahren nicht aufrechterhalten werden. Es war vielmehr für den Minderjährigen ein Ergänzungspfleger für asyl- und ausländerrechtliche Angelegenheiten zu bestellen. [...]