VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 12.11.2010 - 5 B 206/10 MD - asyl.net: M17817
https://www.asyl.net/rsdb/M17817
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Vorführung bei einer Delegation aus Sierra Leone. Es ist bereits unklar, ob es sich bei den Vertretern des "Sierra Leone Immigration Office" um "ermächtigte Bedienstete" im Sinne des § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG handelt (mit Verweis auf VG Bremen, Beschluss vom 08.01.2010 - 4 V 1306/09 [ASYLMAGAZIN 1-2/2010, S. 20 f.]). Der im Verfahren erfolgte ergänzende pauschale Hinweis der Bundespolizei, die Einladung sei auf diplomatischem Wege im Rahmen des sog. "Return-Projekts" überregional organisiert worden, ist nicht ausreichend.

Schlagwörter: zwangsweise Vorführung bei Auslandsvertretung, vorläufiger Rechtsschutz, Sierra Leone, Delegation
Normen: VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, AufenthG § 80 Abs. 4 S. 1
Auszüge:

[...]

Der zulässige Antrag ist begründet. Die gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Prüfung ergibt, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen und nur summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides jedenfalls nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann; der Ausgang ist offen, die somit vorzunehmende gerichtliche Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus.

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung ist § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG. Danach kann das persönliche Erscheinen des Ausländers bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder "ermächtigten Bediensteten des Staates", dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, angeordnet werden, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem AufenthG und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist.

Im vorliegenden Fall ist bereits unklar, ob, es sich bei den Personen, denen der Antragsteller vorgeführt werden soll, um "ermächtigte Bedienstete" im Sinne der Vorschrift handelt. Dies ist ausweislich des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union erforderlich, wenn von einer Vertretung i.S.d. § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gesprochen werden soll (VG Bremen, Beschl. v. 08.01.2010, 4 V 1306/09 und v. 23.07.2007, - 4 V 1917/07; mit Verweis auf: BT-DruckS 16/5065 S. 194).

Der angefochtene Bescheid verhält sich zu dieser Problematik überhaupt nicht. Es wird allgemein von Vertretern des "Sierra Leone Immigration Office" gesprochen. Bedenken ergeben sich in diesem Zusammenhang insbesondere deswegen, weil die Vorsprache in München und nicht etwa in Berlin in der dortigen Botschaft stattfinden soll. Darauf hatte auch das VG Bremen (a.a.O.) hingewiesen. Dort war sogar eine Vorführung nach Berlin angeordnet, aber nicht in Räumen der Botschaft, sondern in solchen des Berliner Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, also einer deutschen Behörde.

Das Verwaltungsgericht Bremen hat in seinem Beschluss vom 08.01.2010 (4 V 1306/09; juris) ausgeführt:

"Dennoch begründen diese Ungereimtheiten grundsätzliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Ausstellung von Passersatzpapieren für Sierra Leone. Hinsichtlich der Vorsprache vor Delegationen afrikanischer Länder, insbesondere Guinea, sind darüber hinaus in der Vergangenheit Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise in der Öffentlichkeit laut geworden. So bestand hinsichtlich Guinea der Verdacht, dass die Anerkennung von Ausländern als eigene Staatsangehörige und die darauf folgende Ausstellung von Passersatzpapieren auf Bestechung beruhen könnten. Auch hinsichtlich der Vorgehensweise der Delegationen (Feststellung der Staatsangehörigkeit alleine aufgrund von Sprache und Kopfform) wurden Zweifel laut (zu allem: VG Lüneburg, Beschl. v. 22.10.2008, - 1 B 55/05). Hinsichtlich Sierra Leone wurde der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten etwa in dem Bericht "Anhörungen mutmaßlicher sierra-leonischer Staatsangehöriger vor Delegationen aus Sierra Leone in Hamburg" des Flüchtlingsrates geäußert (www.fluechtlingsrat-nrw.de). Auch kann die Antwort des bremischen Senats der Freien Hansestadt Bremen auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 10.11.2009 zu der Inanspruchnahme von Ausweispapier-Delegationen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise nicht beseitigen. So seien in dem Jahr 2005 hinsichtlich Guinea und Sierra Leone zwei Sammelvorführungen durch die Ausländerbehörde Hamburg durchgeführt worden. Für die Kosten der Organisation der Vorführung seien pro Person 130,- € bis 150,- € an die Ausländerbehörde Hamburg gezahlt worden. Es seien 5 Passersatzpapiere von der Auslandsvertretung ausgestellt worden, die Kosten hierfür hätten 250,- € pro Person betragen. Zwar sind die danach geleisteten Zahlungen im Vergleich zu der an Guinea erfolgten Zahlung von 2.000,- € für die Ausstellung eines Passersatzpapieres erheblich geringer, aber dennoch ebenfalls in ihrer Höhe beachtenswert, so dass jedenfalls die Zusammenhänge dieser Zahlungen nicht recht plausibel sind. Ist demnach das gesamte Verfahren zur Passersatzpapierbeschaffung aus Sierra Leone undurchsichtig und zweifelhaft, so bedarf eine Anordnung zur Vorsprache vor Vertretern Sierra Leones jedenfalls einer inhaltlicher Konkretisierung dahingehend, welchen Personen der Ausländer vorgeführt werden soll, durch wen diese zur Feststellung der Staatsangehörigkeit autorisiert sind und ob sie erforderlichenfalls mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes in die Bundesrepublik Deutschland eingereist."

Dem schließt sich das Gericht an, zumal diese Vorführproblematik den Ausländerbehörden hinlänglich bekannt sein dürfte und daher im Bescheid hätte näher konkretisiert werden müssen.

Auch die nach Aufforderung durch das Gericht von der Behörde weiter vorgenommene Konkretisierung vermag diese Zweifel nicht auszuräumen. Denn die Behörde geht lediglich generell von der Rechtmäßigkeit der regelmäßig durchgeführten Vorsprachetermine aus und hinterfragt dieses Verfahren nicht weiter. Dies gilt ebenso, soweit die Bundespolizei diese Vorführungen aufgrund eines sog. "Return-Projekts" überregional organisiert und nur pauschal darauf hinweist, die Einladung sei auf diplomatischem Wege erfolgt.

Sind nähere Aufklärungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weder möglich noch geboten, geht der Umstand der (derzeitigen) "Unerweislichkeit" zu Lasten der Behörde, zumal die Interessen des Antragstellers an der Rechtmäßigkeit der Vorführung den Interessen der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung deshalb überwiegen, weil dadurch keine irreparablen Schäden eintreten. [...]