OLG Stuttgart

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Zitieren als:
OLG Stuttgart, Beschluss vom 24.02.2010 - 5 Ws 37/10 - asyl.net: M18210
https://www.asyl.net/rsdb/M18210
Leitsatz:

Zur Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Rechtslage beim Tatvorwurf des Erschleichens einer Duldung.

Schlagwörter: Pflichtverteidigung, Erschleichen, Duldung, Tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, Rechtslage, Ausländerstrafrecht
Normen: StPO § 140 Abs. 2, AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 141 Rdnr. 10) und führt in der Sache zu dem damit erstrebten Erfolg. Nach Auffassung des Senats ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorliegend wegen der Schwierigkeit der Rechtslage gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten.

1. Die Rechtslage ist schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird, oder wenn es auf die Auslegung von Begriffen aus dem Nebenstrafrecht ankommt. Um den Schwierigkeitsgrad zu beurteilen, ist eine Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage vorzunehmen, (vgl. KKLaufhütte, StPO, 6. Aufl., § 140 Rdnr. 23).

2. Im vorliegenden Fall ist zwar die Sachlage in Folge des Geständnisses des Angeklagten einfach, die Rechtslage weist jedoch erhebliche Schwierigkeiten auf, da hier der Auslegung von Begriffen aus dem AufenthG als Nebenstrafrecht erhebliche Bedeutung zukommt. Insbesondere macht der Verteidiger in seiner Revisionsbegründungsschrift, auf die er zur Begründung seiner Beschwerde Bezug nimmt, unter Hinweis auf eine Entscheidung des BayObLG vom 1. September 2003 (4 St RR 103/03) geltend, die wiederholten falschen Angaben im gleichen Verwaltungsverfahren stellten nach der ersten (falschen) Erklärung keine zusätzlichen Straftaten dar.

Diese Problematik ist rechtlich schwierig. Denn nach dem vom Verteidiger zitierten redaktionellen Leitsatz im InfAusl (2003, 455) zum Beschluss des BayObLG stellt es keine zusätzlichen strafbaren Taten dar, wenn falsche Angaben im Verfahren über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu deren Erlangung wiederholt werden. Insofern könnten Zweifel an einer Strafbarkeit des Angeklagten bestehen, da dieser - ausweislich des Schriftsatzes des Verteidigers - erstmals am 5. August 2004 auf Grund seiner Falschpersonalien eine Duldungsbescheinigung erhielt, die dann jeweils verlängert wurde. Am 1. Januar 2005 wurde jedoch die Strafbarkeit der Duldungserschleichung durch das Zuwanderungsgesetz zunächst in Folge eines Redaktionsversehens beseitigt (vgl. dazu Hailbronner, AuslR, § 95 AufenthG, Rdnr. 91). Für Handlungen, die vor dem 28. August 2007 begangen wurden, gilt daher nach § 2 Abs. 3 StGB der § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F. und somit Straflosigkeit (Hailbronner, a.a.O.)

Jedoch tragen die Gründe des zitierten Beschlusses die Argumentation der Verteidigung nicht. So billigte das BayObLG gerade die Verurteilung der dortigen Angeklagten wegen zweier sachlich zusammentreffender Vergehen des Erschleichens einer Aufenthaltsgenehmigung. Dem hatte zu Grunde gelegen, dass die Angeklagten erstmals am 10. August 1999 unter bewusst falschen Angaben eine Aufenthaltserlaubnis beantragt und erhalten hatten. Auf Grund eines neuen Entschlusses sprachen sie am 25. Juli 2000 erneut bei der Ausländerbehörde vor und beantragten unter Wiederholung der falschen Angaben die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Das BayObLG sprach die Angeklagten zwar von zwei weiteren sachlich zusammentreffenden Vergehen des Erschleichens einer Aufenthaltsgenehmigung durch die Erklärungen vom 26. September 2000 und vom 7. August 2001 frei. Dem lag aber zu Grunde, dass die an diesen Tagen abgegebenen unrichtigen Angaben nicht zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung i.S.d. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gedient hatten. Einen Antrag auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an die zum 9. August 2000 befristete ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis hatten die Angeklagten nämlich bereits am 25. Juli 2000 gestellt. Über diesen Antrag hatte die Ausländerbehörde am 26. September 2000 und 7. August 2001 noch gar nicht entschieden, weil sie an der Richtigkeit der Angaben der Angeklagten zweifelte. Im Zuge der daraufhin vorgenommenen Ermittlungen wurden die Angeklagten erneut befragt und im Rahmen dieser Befragung bekräftigten sie am 26. September 2000 bzw. 7. August 2001 nach Vorhalt entsprechender Hinweise ihre bei der Antragstellung vom 25. Juli 2000 bereits gemachten Angaben. Da sich diese Erklärungen somit auf den noch nicht beschieden Antrag vom 25. Juli 2000 bezogen, handelte es sich bei den Erklärungen vom 26. September 2000 und vom 7. August 2001 zwar um objektiv unrichtige Angaben i.S.d. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, in subjektiver Hinsicht dienten diese Angaben jedoch nicht dazu, über die mit dem Antrag vom 25. Juli 2000 erstrebte Aufenthaltserlaubnis hinaus weitere Aufenthaltstitel zu erlangen.

Hierin unterscheidet sich der vom BayObLG entschiedene Fall von dem Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegt.

3. Bezüglich der weiteren Argumentation der Verteidigung hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die dort aufgeworfenen Rechtsfragen obergerichtlich geklärt sind.

a. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hatte der Angeklagte am 12. Februar 2002 unter Falschpersonalien Asyl beantragt. Unter Angabe dieser Falschpersonalien beantragte er in der Folgezeit jeweils die Verlängerung seiner auf die Falschpersonalien ausgestellten Duldung beim Landratsamt Ludwigsburg, welche ihm mit diesen falschen Personalien ausgestellt wurden. Zuletzt wurde die Duldung auf Anträge des Angeklagten vom 24. Oktober 2007 und 3. April 2008 verlängert.

Dieses Handeln des Angeklagten erfüllt den Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. AufenthG. Dieser setzt voraus, dass unrichtige Angaben der Beschaffung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung dienen. Der Angeklagte hat sich diese Duldungen beschafft. Beschaffung ist zum einen der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, zum anderen auch ein Antrag auf dessen Verlängerung (Hailbronner, AuslR, § 95 AufenthG Rdnr. 90; OLG Jena, 1 Ss 84/05 - zitiert nach Juris -).

Die Argumentation, der Angeklagte habe „nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt“ geht fehl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG stellt denjenigen unter Strafe, der unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Die Strafvorschrift will das ausländerrechtliche Verwaltungsverfahren im Interesse materiell richtiger Entscheidungen gegenüber Falschangaben absichern und das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die materielle Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung schützen (BGH, NJW 2010, 248; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2009, 387). Um einen möglichst umfassenden Schutz zu gewährleisten, ist durch § 95 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative AufenthG bereits die Unterbreitung unrichtiger oder unvollständiger Angaben unter Strafe gestellt. Es müssen auch nicht gerade die falschen Angaben geeignet sein, die Ausstellung der Urkunde zu bewirken; vielmehr genügt es, wenn sie für das Verfahren allgemein von Bedeutung sind und damit grundsätzlich zur Verschaffung eines unrechtmäßigen Aufenthaltstitels bzw. einer Duldung führen können, wenn die richtige Anwendung des materiellen Aufenthaltsrechts wegen der Falschangaben mithin abstrakt gefährdet ist. Die betroffenen Angaben müssen dabei keine erhöhte Beweiskraft entfalten (BGH, a.a.O.).

b. Die Argumentation der Verteidigung, der Angeklagte habe vor den Tathandlungen gar nicht die Möglichkeit gehabt, seine wahre Identität zu offenbaren, trifft schon deshalb nicht zu, da der Angeklagte im Besitz einer am 7. Februar 2007 ausgestellten Identitätskarte der Republik Kamerun war, die seine wahren Personalien beinhaltete.

c. Der Angeklagte befand sich auch nicht in einem Verbotsirrtum, da er wusste, dass er gegenüber der Ausländerbehörde im Rahmen eines Verfahrens zur Erlangung eines Aufenthaltstitels keine falschen Personalien angeben durfte, jedenfalls musste es sich ihm aufdrängen, dass sein Verhalten rechtswidrig war. Gerade aus dem Vortrag des Verteidigers, sein Mandant sei kein Abonnent des Bundesgesetzblatts, ist zu folgern, dass dieser keine Kenntnis von der zwischenzeitlichen Strafbarkeitslücke des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F. in Bezug auf Duldungen hatte. Dass er bei der Verlängerung der Duldung am 24. Oktober 2007 und 3. April 2008 auch nicht wusste, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung Aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 die hinsichtlich des Erschleichens einer Duldung bestehende Strafbarkeitslücke behoben worden ist, ist folglich unerheblich (vgl. BGH, a. a. O.). [...]