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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 14.04.2011 - V ZB 76/11 - asyl.net: M18460
https://www.asyl.net/rsdb/M18460
Leitsatz:

Rechtswidrige Verlängerung der Abschiebungshaft, da es an der erforderlichen Prognoseentscheidung fehlt, dass die Abschiebung nach Vietnam innerhalb von drei Monaten möglich ist. Die pauschalen Angaben im Haftantrag, dass Inhaber eines gültigen Ausweispapiers direkt und ohne formales Rückübernahmeverfahren abgeschoben werden können und dies in der Vergangenheit so praktiziert worden sei, genügen nicht.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Vietnam, Drei-Monats-Frist, Passersatz, Verhältnismäßigkeit, Prognose
Normen: FamFG § 64 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4, FamFG § 26
Auszüge:

[...]

1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 84 Abs. 3 FamG statthaft (siehe nur Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10 Rn. 8, juris; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440).

2. Er ist auch begründet. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Rechtsbeschwerde Erfolg haben wird, weil die Verlängerung der Haft auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG beruhen dürfte. Daher ist die weitere Vollstreckung der Haftanordnung auszusetzen (vgl. Senat Beschluss vom 5. Oktober 2010 - V ZB 222/10, InfAuslR 2011, 25)

a). Die Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthhG lässt erkennen, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten Haft nicht überschritten werden soll und eine darüber hinausgehende Haftdauer nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn. 12). Daraus folgt, dass die Verlängerung einer auf drei Monate befristeten Haftanordnung unzulässig ist, wenn die Abschiebung aus Gründen unterblieben ist, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVWZ 2010, 1175, 11765 Rn. 19; Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 238 f. zu § 57 Abs. 2 AuslG). Dies erfordert eine Prognose, dass die Abschiebung innerhalb von drei Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt der (ersten) Haftanordnung (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZU 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn. 18; Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn. 18), überhaupt, also ohne Berücksichtigung der von dem Ausländer zurechenbar veranlassten Verzögerung, hätte durchgeführt werden können (OLG Köln, OLGR Köln 2005, 83, 84 zu § 57 Abs. 2 AuslG).

b) Diese Prognose hat der Haftrichter grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können, zu erstrecken (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175, 1176 Rn. 17). Hierzu sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und zu dem Zeitraum, in welchem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, erforderlich (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVWZ 2010, 1175, 1176 Rn. 17). Hieran fehlt es. Das Beschwerdegericht hat schon nicht festgestellt, dass ein vietnamesischer Staatsangehöriger üblicherweise innerhalb von drei Monaten (§ 62 Abs. 2 Satt 4 AufenthG) abgeschoben werden kann, selbst wenn er Ausweispapiere seines Heimatlandes besitzt. Nur dann aber könnte der Umstand von Bedeutung sein, dass für den Betroffenen Passersatzpapiere beschafft werden mussten. Der Tatrichter darf sich insoweit nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken, die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können. Soweit die Ausländerbehörde keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es gemäß § 26 FamFG dem Gericht nachzufragen (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 381, 363). Die Entscheidung des Beschwerdegerichts wird diesen Grundsätzen nicht gerecht. Feststellungen zu der üblichem Dauer einer Abschiebung eines vietnamesischen Staatsangehörigen fehlen. Substantiierte Angaben hierzu lassen sich auch nicht dem Antrag der Beteiligten zu 2 vom 31. Januar 2011 entnehmen, soweit dort lediglich die pauschalen Angaben enthalten sind, der Inhaber eines gültigen Ausweispapiers könne direkt abgeschoben werden, ohne ein Rückübernahmeverfahren zu durchlaufen, und dies sei von der Beteiligten zu 2 in Vergangenheit auch so praktiziert worden. [...]