VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 20.04.2011 - 5 K 1213/10.TR - asyl.net: M18530
https://www.asyl.net/rsdb/M18530
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für autistisches Kind, da in China keine flächendeckende Betreuung und Therapie gegeben ist.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, China, Autismus, medizinische Versorgung, Wiederaufnahme des Verfahrens,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hätte ein weiteres Asylverfahren durchführen müssen, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in der Person des Klägers festgestellt wird.

Die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 Nr. 1-3 Verwaltungsverfahrensgesetz i.V.m. § 71 Abs. 5 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens der zu § 60 Abs. 7 AufenthG ergangene Feststellungen liegen vor, nachdem sich das durch ärztliche Atteste belegte Krankheitsbild des Klägers - frühkindlicher Autismus (Kannersydrom) - gezeigt hat. Entgegen der im Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2010 vertretenen Auffassung besteht für diese Krankheit, die bei dem Kläger in ganz massiver Form vorliegt, bei einer Rückkehr nach China keine ausreichende Behandlungsmöglichkeit. Soweit die Beklagte auf das Projekt "Sterne und Regen bei Peking" hinweist, muss gesehen werden, dass es sich hierbei um ein privat initiiertes Projekt handelt, in dem lediglich vier Kinder und ihre Mütter betreut werden. Für die aus einer weit entfernt liegenden Provinz stammende Mutter des Klägers ist diese Hilfe weder erreich- noch finanzierbar. Eine flächendeckende Betreuung und Therapie ist gerade für autistische Kinder in China nicht gegeben. Vereinzelt gegründete Wohltätigkeitsvereinigungen wie die China Charity Federation Reindeer Foundation for Autistic Children ändern nichts an der weitgehend fehlenden Betreuungsmöglichkeit auf das gesamte Land gesehen. Soweit die Beklagte des Weiteren auf die Möglichkeit der familiären Hilfe für den Kläger und seine Mutter hinweist, handelt es sich hierbei um nicht belegte Vermutungen. Insofern hat die Mutter des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass zu ihren Eltern keinerlei Kontakt mehr besteht und diese von daher auch nicht in der Lage wären, sie persönlich und finanziell zu unterstützen.

Demgegenüber steht ein durch die ärztlichen Stellungnahmen von Dr. ... vom 18. Mai 2009 und insbesondere vom 19. November 2010 sowie die psychologische Stellungnahme von Dipl.-Psychologin ... vom 18. April 2011 belegtes ganz erhebliches autistisches Krankheitsbild in sehr schwerer Ausprägung. Nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht ein Abschiebungsverbot dann, wenn dem Ausländer in seinem Heimatland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Diese Situation besteht auch dann, wenn sich in Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten eine Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers nach Abschiebung wesentlich verschlimmert, wobei eine medizinische Behandlungsmöglichkeit oder erforderliche Medikation auch dann fehlt, wenn sie zwar grundsätzlich verfügbar, aber aus finanziellen und aus sonstigen Gründen tatsächlich für den Ausländer nicht erreichbar ist.

Unter Berücksichtigung der neueren Stellungnahme des Dr. ... und der psychologischen Begutachtung durch Dipl.-Psychologin ... ist indessen davon auszugehen, dass der Kläger bei Fortfall der für ihn sicher günstigen Betreuung und Behandlung in Deutschland nach einer Abschiebung eine massive emotionale Traumatisierung erfahren wird. Dies und die zu erwartende erhebliche Zunahme des selbstverletzenden und stereotypen Verhaltens verbunden mit der eintretenden Entwicklungsstagnation oder sogar eines Entwicklungsrückschrittes stehen einer wesentlichen lebensbedrohlichen Verschlimmerung einer Krankheit gleich. Wie dargelegt, kann dies durch Behandlung und Betreuung in China nicht aufgefangen werden, so dass zur Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegen. [...]