AG Tiergarten

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Zitieren als:
AG Tiergarten, Urteil vom 15.04.2011 - (405 Ds) 14 JU Js 2100/09 (215/10) Jug - asyl.net: M18540
https://www.asyl.net/rsdb/M18540
Leitsatz:

Bei Flüchtlingen, die ohne Visum und/oder mit gefälschten Papieren eingereist sind, sind unerlaubte Einreise und Urkundenfälschung straffrei.

Schlagwörter: Ausländerstrafrecht, unerlaubte Einreise, Urkundenfälschung, anerkannter Flüchtling, Strafbarkeit,
Normen: GG Art. 16a Abs. 1, GFK Art. 31
Auszüge:

[...]

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 12. November 2010 ist ... vorgeworfen worden, am 11. Oktober 2009 nach Berlin eingereist zu sein, wobei sie weder über einen Reisepass noch über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt hätte; auch hätte sie sich mit der Totalfälschung einer polnischen ID-Card ausgewiesen; hiernach hätte sie sich eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz und der Urkundenfälschung schuldig gemacht.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Angeklagte anerkannter Flüchtling ist. Ihr Verteidiger hat für sie u.a. Folgendes vorgetragen:

"Die Angeklagte ist unmittelbar aus dem Verfolgerstaat eingereist. Daran ändert nichts die kurzfristige Durchreise durch Iran, Türkei und Griechenland. Die Unmittelbarkeit ist gewahrt, wenn das Betreten eines Drittstaates - wie hier - nur zur Durchreise erfolgt (OLG Celle, Urt. v. 13.01.1987 - 1 Ss 545/86, juris)." ...

"Die Verwendung falscher Identitätsdokumente zur Einreise zum Zwecke des Asylverfahrens ist der unerlaubten Einreise "über die grüne Grenze" gleichzustellen. Die Konvention stellt Flüchtlinge wegen der Flucht- und Einreisemodalitäten straffrei, weil sie regelmäßig aufgrund der Verfolgung nicht auf die Durchführung eines Visumsverfahrens warten können. Flüchtlinge sind zum eigenen Schutz vor Verfolgung auf schnelle, illegale Wege aus dem Verfolgerstaat angewiesen. Es kann für eine Straffreiheit daher nicht auf die Modalitäten der unerlaubten Einreise ankommen, solange die Art der Einreise für einen Flüchtling im Sinne der Konvention typisch ist. Die Verwendung gefälschter Ausweise zum Grenzübertritt ist für Flüchtlinge typisch."

Dem tritt das Gericht bei.

Die Angeklagte war daher aus rechtlichen Gründen freizusprechen. [...]