SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 06.01.2011 - S 15 AY 81/10 ER - asyl.net: M18719
https://www.asyl.net/rsdb/M18719
Leitsatz:

Verpflichtung im Eilverfahren auf Gewährung von Passbeschaffungskosten gemäß § 6 AsylbLG, da die Mittel für die Passbeschaffung im Regelsatz nicht enthalten sind. Es erscheint nicht hinnehmbar, wenn die Rechtsordnung den Antragstellern auf der einen Seite etwas zu geben bereit ist (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG), was sie auf der anderen Seite (leistungsrechtlich) durch mangelhafte finanzielle Ausstattung unmöglich machen würde.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Passbeschaffungskosten, Passpflicht, Mitwirkungspflicht, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null
Normen: AsylbLG § 6, SGG § 86b Abs. 2, AufenthG § 3 Abs. 1, AufenthG § 48, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Anspruchsgrundlage ist § 6 AsylbLG. Danach können sonstige Leistungen gewährt werden, wenn sie zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind.

Die verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Notwendigkeit der Passausstellung ergibt sich für die Antragsteller als Ausländer aus ihrer Passpflicht gemäß den §§ 3 Abs. 1, 48 AufenthG, verbunden mit der Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren für die Passerteilung (vgl SG Berlin, Urteil vom 26. November 2008 - S 51 AY 46/06 -, SG Halle, Urteil vom 30. Januar 2008 - S 13 AY 76/06 -, SG Duisburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 - S 16 (31) AY 12/06 -). Ausländer dürfen gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. § 48 Abs. 2 AufenthG macht deutlich, dass der Ausländer der Passpflicht lediglich dann durch Vorlage eines Ausweisersatzes nachkommt, wenn er einen Pass weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann. Im Falle der Antragsteller wird der Pass konkret gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG benötigt, damit die Ausländerbehörde A-Stadt ihnen eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt; dies haben die Antragsteller bereits im Antragsverfahren durch Vorlage der Bescheinigung der Ausländerbehörde A-Stadt vom 04. August 2010 nachgewiesen. Das Argument der Antragsgegnerin, von der Erfüllung der Passpflicht könne im Rahmen des § 5 AufenthG auch abgesehen werden, verkennt, dass ein solches Absehen nach ausländerrechtlicher Praxis eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Passbeschaffung voraussetzt. Dass die Antragsteller ihrer Passpflicht durch Eintragung in den Pass eines Elternteils genügen könnten, ist eine reine Behauptung der Antragsgegnerin und nicht nachgewiesen. Auf eine Verbesserung der rechtlichen oder wirtschaftlichen Situation der Antragsteller kommt es nach § 6 AsylbLG nicht an. Die Antragsgegnerin geht indes auch fehl in der Annahme, die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG verbessere nicht die Lebenssituation der Antragsteller. Die Antragsgegnerin möge sich vor Augen halten, dass die Antragsteller nach Passvorlage und Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG den unsicheren Status der Duldung verlassen und ein legales Aufenthaltsrecht begründen können. Die Antragsteller sind von der Ausländerbehörde A-Stadt zur Passbeschaffung aufgefordert worden. Insoweit kommt sogar hinsichtlich des von der Beklagten auszuübenden Ermessens eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht. Es erscheint schlichtweg nicht hinnehmbar, wenn die Rechtsordnung den Antragstellern auf der einen Seite etwas zu geben bereit ist (Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG), was sie auf der anderen Seite (leistungsrechtlich) durch mangelhafte finanzielle Ausstattung unmöglich machen würde.

Die Mittel für die Passbeschaffung sind im Regelsatz nicht enthalten. Die laufenden Leistungen nach dem AsylbLG reichen nicht aus, um die Passbeschaffungskosten aufbringen zu können.

Da ein Anordnungsanspruch der Antragsteller besteht, sind an den Anordnungsgrund geringere Anforderungen zu stellen. Ein Anordnungsgrund liegt vor. Den Antragstellern ist ein weiteres Abwarten bis zur Entscheidung der Antragsgegnerin über den bereits am 06. September 2010 eingelegten Widerspruch nicht zuzumuten. [...]