VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 28.06.2011 - 5 B 174/11 MD - asyl.net: M18721
https://www.asyl.net/rsdb/M18721
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Malta wegen unzureichender Aufnahme- und Verfahrensbedingungen für Flüchtlinge (Inhaftierung, Asylverfahren, Lebensbedingungen).

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Malta, Aufnahmebedingungen, Inhaftierung, medizinische Versorgung
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

Vorliegend bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass in Malta ein Asylverfahren, das rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt, nicht gewährleistet ist.

Der UNHCR schreibt unter dem 01.11.2010 auf seiner Internetseite (unhcr.com), dass eine Person, die nach Malta ohne gültigen Reisepass oder Visum kommt, in Übereinstimmung mit den maltesischen Zuwanderungsgesetz für einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten festgehalten werden kann. Bender/Bethke schreiben zur Situation von Asylsuchenden auf Malta (Asylmagazin 7-8/2010, S. 235ff.), dass ankommende Flüchtlinge in Malta sofort und ohne Ausnahme inhaftiert würden. Die Haftanstalten stünden unter militärischer bzw. polizeilicher Führung. Das Einwanderungsgesetz sehe keine zeitliche Begrenzung der Haft vor, einziger Entlassungsgrund sei die Anerkennung als Flüchtling oder sonstig Schutzberechtigter. Seit 2005 würden allerdings diejenigen, deren Asylverfahren begonnen, aber noch nicht abgeschlossen seien, in der Regel nach 12 Monaten entlassen. Abgelehnte Asylsuchende müssten laut Gesetz bis zu ihrer Abschiebung in Haft bleiben. Da aus logistischen Gründen fast keine Abschiebungen stattfänden, würden die Inhaftierten in der Regel sogar erst nach 18 Monaten aus der Haft entlassen. Nach der Entlassung aus den Haftanstalten würden die Flüchtlinge in "offene Zentren" verlegt, die unter ziviler Leitung stünden. Die Lebensbedingungen seien sehr schlecht, was Verpflegung und medizinische Versorgung anlangt. Amnesty international berichtet im Jahresreport 2011 zu Malta, dass maltesische Behörden einer Gruppe somalischer Staatsangehöriger, die auf See gerettet wurden, keinen internationalen Schutz gewährten. Migranten und Asylsuchende würden regelmäßig inhaftiert. Rechtsmittel für die Anfechtung abgelehnter Asylanträge blieben weiterhin unzureichend. Ähnliche Erkenntnisse enthält der Bericht bei arte.tv "Malta, Endstation für Flüchtlinge" vom 17.03.2010. Die Verhältnisse seien danach bedrückend. Der UNHCR berichtete auf seine Internetseite am 19.06.2011 über einen Besuch der Sonderbotschafterin Angelina Jolie auf Malta. Diese traf ausweislich des beigefügten Lichtbildes hinter Gittern befindliche Asylbewerber. Frau Jolie äußerte sich sehr besorgt über die "täglichen Bedingungen vor Ort" für die Flüchtlinge.

Im Juli 2010 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Louled Massoud gegen Malta, dass Malta das Recht auf Freiheit verletzt habe, da die Justiz des Landes dem Kläger keinen effektiven und zügigen Rechtsschutz für die Anfechtung der Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung gewährt habe (amnesty.de, Jahresbericht 2011 Malta).

Das Gericht hat keinen Grund, an den im Wesentlichen übereinstimmenden Berichten zu zweifeln. Es geht davon aus, dass der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung nach Malta für mindestens 1 Jahr inhaftiert würde, keinen geregelten Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren erhielte. In jedem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass es hierzu kommt, nach den vorliegenden Auskünften sehr hoch.

Demzufolge folgt das Gericht dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 05.04.2011 (RO 7 E 11.30131), mit welchem vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Abschiebung nach Malta gewährt wurde. Das VG Regensburg kommt zu dem Ergebnis, dass auf Malta für Flüchtlinge die dortigen Haftbedingungen einen Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 3 EMRK darstellten. Das Gericht schließt sich auch der Auffassung an, dass angesichts der politischen Lage in Nordafrika (Libyen, Tunesien) die Gefahr weiterer Flüchtlingsströme nach Europa besteht, so dass mit einer weiteren Verschärfung der Situation auf Malta zu rechnen ist. [...]