OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.03.2011 - 11 A 1439/07.A - asyl.net: M18761
https://www.asyl.net/rsdb/M18761
Leitsatz:

1. Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung kommt in Betracht, wenn ein Ausschlusstatbestand im Sinne von § 3 Abs. 2 AsylVfG nachträglich festgestellt wird.

2. Wer eine ausländische Terrororganisation aktiv unterstützt, kann dadurch den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG (Beteiligung an Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen) verwirklichen.

3. Der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG setzt keine Wiederholungsgefahr oder besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus und ist nicht auf staatliche Machtträger beschränkt.

4. Liegen die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen der Verwirklichung eines Ausschlusstatbestands im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG vor, kann grundsätzlich auch die Asylanerkennung (Art. 16a Abs. 1 GG) widerrufen werden.

5. Das Bundesamt ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, zeitgleich mit dem Widerruf der Asylberechtigung bzw. der Flüchtlingsanerkennung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu entscheiden.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ägypten, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Ausschlussgrund, Wiederholungsgefahr, Verhältnismäßigkeit, Verhältnismäßigkeitsprüfung, Asylanerkennung, staatliche Machtträger, Bundeskriminalamt, Volksverhetzung, terroristische Vereinigung, islamistische Organisation, islamistische Szene, Islamisten, al-Jihad al-Islami, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, EU-Terrorliste,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 2, AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 2, GG Art. 16a Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 8,
Auszüge:

[...]

Das angefochtene Urteil ist zu ändern und die Klage abzuweisen. [...]

1. Die Voraussetzungen des § 73 AsylVfG für den Widerruf der Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) in Bezug auf den Staat Ägypten sind erfüllt. Die Voraussetzungen für diese Feststellung sind nicht mehr gegeben, weil ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG gegeben ist. [...]

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht es zur Überzeugung des Senats fest (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass nach den tatsächlichen Umständen des vorliegenden Einzelfalls schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass der Kläger sich in individueller Verantwortung an Handlungen beteiligte, die im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG / Art. 12 Abs. 2 Buchst. c), Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C -57/09 und C-101/09 -, EuGRZ 2010, 722 (728, Rn. 94 und 99)).

Die Auslegung des § 3 Abs. 2 AsylVfG hat sich maßgeblich an den entsprechenden Regelungen in Art. 12 der Richtlinie 2004/83/EG zu orientieren, deren Umsetzung die Bestimmung dient. Anhaltspunkte dafür, was im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. c) der Richtlinie 2004/83/EG Handlungen sind, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, ergeben sich aus dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG. Dort heißt es, dass sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (vgl. BGBl. II 1973, S. 430) dargelegt sind. Nach Art. 1 der Charta setzen sich die Vereinten Nationen u.a. folgende Ziele:

1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;

2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;

3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen.

Hierzu heißt es im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, dass Ziele der Vereinten Nationen in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert sind. Zu diesen Akten gehören die Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, denen zu entnehmen ist, dass dieser von dem Grundsatz ausgeht, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staats den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 C57/09 und C101/09 , EuGRZ 2010, 722 (727, Rn. 82 f.)).

Dies ist dahin zu verstehen, dass auch derjenige den Tatbestand des Art. 12 Abs. 2 Buchst. c) i.V.m. Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG verwirklicht, der sich - unterstützend - in sonstiger Weise an Handlungen des internationalen Terrorismus beteiligt (vgl. zum Unterstützungsbegriff: BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 (124 f.), und vom 26. Oktober 2010 - 1 C 19.09 -, juris, Rn. 19).

Als terroristische Handlungen sind dabei etwa gewaltsame Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Verfolgung politischer Ziele anzusehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 -, BVerwGE 132, 79 (87); Bay. VGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 11 B 06.300/84 , juris, Rn. 48 f., vgl. auch Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus 2001/931/GASP (ABl. L 344 S. 93)).

Wer aktiv eine Organisation unterstützt, deren Zweck auf solche terroristische Handlungen mit internationalem Bezug gerichtet ist, kann sich mithin in sonstiger Weise an Handlungen des internationalen Terrorismus beteiligen und dadurch den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG verwirklichen.

Entsprechende Handlungen müssen nicht definitiv erwiesen sein. Ausreichend ist vielmehr, dass aus schwerwiegenden Gründen eine entsprechende Annahme gerechtfertigt ist, d. h. ausreichend ist insoweit ein gegenüber der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit abgesenktes Beweismaß (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 2008 - 10 C 25.07 -, Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15, S. 7 (Rn. 20), und vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252 (266f., Rn. 35)).

Diese Regelung ist keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Soweit danach eine Flüchtlingsanerkennung (bzw. ein Asylstatus) entfällt, ohne dass Gewissheit über die Ausschlussgründe besteht, verbleibt es bei der Möglichkeit des Abschiebungsschutzes nach der EMRK bzw. § 60 Abs. 2 ff. AufenthG (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 -10 C 48.07 -, BVerwGE 132, 79 (94, Rn. 33), und Bay. VGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 - 11 B 06.300/84 -, juris, Rn. 84, m.w.N.).

Der Kläger hat sich an Handlungen des internationalen Terrorismus im vorstehend erläuterten Sinne in sonstiger Weise beteiligt. Dies ergibt sich daraus, dass er als Mitglied und regionale Führungspersönlichkeit der ägyptischen Organisation "Al-Jihad" diese als terroristisch einzustufende Organisation unterstützt hat, indem er als Imam in Moscheen in Münster und Minden aktiv das Gedankengut der Organisation verbreitet und terroristische Handlungen befürwortet hat.

Die Organisation "Al-Jihad" (Islamischer Heiliger Krieg), auch als "Egyptian Jihad" oder "Al-Jihad Al-Islami" bezeichnet, ist auf Listen ausländischer Terrororganisationen erfasst (vgl. Bundesamt, Islamistischer Extremismus und Terrorismus, Bd. 1 Nördliches Afrika, September 2007, S. 11, m.w.N., sowie die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan (ABl. L 139 S. 9) in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 98 der Kommission vom 3. Februar 2011 zur 144. Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates über die Anwendung bestimmter restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen (ABl. L 30 S. 29)).

Die in den 1980er Jahren in Ägypten gegründete Organisation war verantwortlich für die Ermordung von Präsident Sadat und zweier ägyptischer Minister. Die Anhänger von "Al-Jihad" wurden in Ägypten in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts massiv verfolgt (vgl. amnesty international, Auskunft vom 19. August 1999 an das VG Mainz).

Nach einer Spaltung der Organisation schloss sich ein Teil der "Al-Qaida" im Rahmen der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzritter" an. Ziel der Organisation war die Propagierung und Durchführung des "Jihad", im Sinne eines gewaltsamen Kampfs gegen "Ungläubige" oder "Andersgläubige", die der Aufforderung, zum "wahren Islam" überzutreten, nicht folgten. Dieser Kampf richtete sich namentlich gegen die ägyptische Regierung und deren Repräsentanten und gegen Einrichtungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Israels. Die als terroristisch einzustufende Organisation (vgl. Bundesamt, Islamischer Extremismus und Terrorismus, Band 1, Nördliches Afrika, September 2007, S. 11, und Bundesamt, Terrororganisationen, Mai 2003, S. 29 ff.; Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes NRW, Zwischenbericht 2010, Entwicklungen und Analysen des Extremismus in Nordrhein-Westfalen, Abschnitt 6, Salafismus – von einer religiösen Strömung zur politischen Ideologie, S. 37 (43)), nutzte Deutschland als Rückzugs- und Ruheraum (vgl. Bundesamt, Terrororganisationen, Mai 2003, S. 29 ff., und Bundesamt, Islamistischer Extremismus und Terrorismus, Band 1, September 2007, S. 11 ff.).

Der Kläger hat diese terroristische Organisation maßgeblich dadurch unterstützt, dass er als Mitglied und regionale Führungspersönlichkeit deren Gedankengut im Rahmen seiner Aktivitäten als Imam verbreitet und terroristische Handlungen befürwortet hat.

Der Kläger bestreitet zwar im vorliegenden Verfahren, der Organisation anzugehören. Der Senat ist aber vom Gegenteil überzeugt. Die Mitgliedschaft ergibt sich aus den von ihm selbst als Beleg für seinen Aufruf zum "Gewaltverzicht" eingereichten Presseartikeln (ALHAYAT, Ausgabe vom 6. Juli 2000, Beiakte 6; ALHAYAT, Ausgabe vom 19. Juli 2000, Beiakte 7; AL-QUDS AL-ARABI, Ausgabe vom 6. Juli 2000, Beiakte 9), in denen er als maßgebliches Mitglied bzw. Führungspersönlichkeit von "Al-Jihad" dargestellt wird. Besondere Bedeutung kommt hierbei seinen Erklärungen in einem Interview zu, das er der in London erschienenen Zeitung ASHARQ AL-AWSAT (Ausgabe vom 15. Februar 2000) gegeben hat (vgl. Beiakte 8). Die Mitgliedschaft des Klägers wird ferner durch die Aussage des Zeugen D., seinerzeit Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Minden, beim BKA am 18. August 2004 bestätigt (vgl. Bl. 126, 133 der Beiakte 13).

Der Kläger hat das - vom Konzept eines "Jihad" im vorgenannten Sinne eines gewaltsamen Kampfs geprägte - Gedankengut der terroristischen Organisation "Al-Jihad" verbreitet und terroristische Handlungen befürwortet. [...]

Auf der Grundlage der vorgenannten Tatsachenfeststellungen ist der Senat mithin unter Auswertung der vorliegenden Akten und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten zu der Überzeugung gelangt, dass im Fall des Klägers die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, nicht mehr gerechtfertigt ist.

b) Unbeschadet dessen, dass es aus den vorstehenden Gründen nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob der festgestellte Ausschlusstatbestand "nachträglich" verwirklicht worden ist, fehlt es entgegen der erstinstanzlichen Einschätzung nicht an dieser "Nachträglichkeit" der in Rede stehenden Aktivitäten des Klägers im Hinblick auf das Nichtvorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 -, BVerwGE 124, 276 (279 ff.)).

Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass die in Rede stehenden Aktivitäten des Klägers in Minden und Münster - in einem wesentlichen Umfang - nicht bereits vor der gerichtlichen Verpflichtung zur Anerkennungsentscheidung (Juni 1999) stattgefunden haben. Dagegen spricht zunächst der Umstand, dass der Kläger - anwaltlich vertreten - im gerichtlichen Verfahren vor dem VG Oldenburg stets geltend gemacht hatte, in Hameln zu wohnen. Sein Aufenthalt war aufgrund ausländerrechtlicher Anordnung auf den Bereich des Kreises Hameln-Pyrmont beschränkt. Er hat auch noch nach der Anerkennung gegenüber der Ausländerbehörde seine Hamelner Anschrift angegeben. Soweit er sich an einzelnen Tagen 1998/1999 außerhalb seines Zuweisungsorts aufhielt, hatte er dafür ausweislich der Ausländerakte teils Gestattungen beantragt und erhalten. Angesichts dieser Fakten erscheint es zwar nicht ausgeschlossen, dass der Kläger sich - unter Verstoß gegen ausländerbehördliche Beschränkungen - bereits vor der Anerkennungsentscheidung außerhalb des Zuweisungsorts aufgehalten und Aktivitäten im vorstehend genannten Sinne entfaltet hat. Dies hätte indes eingehender Darlegung seitens des anwaltlich vertretenen Klägers bedurft. An solchen Darlegungen fehlt es völlig. Der Kläger hat vielmehr selbst im vorliegenden gerichtlichen Verfahren vortragen lassen, die in Rede stehenden Predigten seien drei Jahre vor 2003, d.h. etwa im Jahr 2000, gehalten worden (vgl. Bl. 145 der Verfahrensakte). Dem entspricht im Übrigen auch die Datierung der asservierten Kassetten, die weitgehend den Jahren 2000 und 2001 zugeordnet werden konnten (vgl. Bl. 46 ff. der Beiakte 13). Ebensowenig ist dargelegt oder sonst ersichtlich, dass er ähnliche bzw. vergleichbare Aktivitäten an anderen Orten während des ersten Asylverfahrens entfaltet hätte. Mithin hat der Kläger - auch wenn er schon zuvor Mitglied der Organisation "Al-Jihad" war - die aufgezeigte aktive Unterstützung der Organisation durch seine Aktivitäten in den Moscheen in Münster und Minden in maßgeblicher Weise nach der Anerkennung auf der Grundlage des "sicheren" Status eines von der Bundesrepublik anerkannten Flüchtlings entfaltet. Auch daraus ergibt sich mit Blick auf eine geänderte Sach- und Rechtslage ungeachtet der vorstehenden unionsrechtlichen Erwägungen die Rechtmäßigkeit der gebundenen, nach § 73 Abs. 2a, Abs. 7 AsylVfG nicht in ein behördliches Ermessen gestellten Widerrufsentscheidung.

2. Da der vorgenannte Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG erfüllt ist, lässt der Senat offen, ob der Kläger - was im Rahmen des Auslieferungsverfahrens in Rede stand - in Ägypten ein Tötungsdelikt begangen hat, und ob deshalb die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung wegen eines schweren nichtpolitischen Verbrechens erfüllt sind (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG, Art. 12 Abs. 2 Buchst. b) der Richtlinie 2004/83/EG). Der Senat weist ferner darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung der Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf den Staat Ägypten auch deshalb sein könnten, weil nunmehr ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 4 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 8 Satz 1 1. Alternative AufenthG (früher § 51 Abs. 3 AuslG) gegeben ist, wonach die Flüchtlingseigenschaft u.a. dann nicht zuerkannt wird, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Im Rahmen der ersten Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 3 AuslG) ist allerdings eine hinreichend sichere Wiederholungsgefahr erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998 1 C 17.97 , BVerwGE 106, 351 (360 f.)).

Ob auch diese Voraussetzung erfüllt ist, lässt der Senat ungeachtet der vorliegenden, zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Akten und Erkenntnisse ebenfalls offen und sieht von weiterer Aufklärung hierzu ab, weil es darauf aus den vorstehenden Gründen für das Entscheidungsergebnis nicht mehr ankommt. Des Weiteren lässt der Senat offen, ob aktuell eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung des Klägers im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr besteht, weil sich im Herkunftsland Ägypten die allgemeine politische Lage geändert hat (vgl. zu den aktuellen Entwicklungen Auswärtiges Amt, Länderinformation Ägypten, Stand März 2011).

II. Auf der Grundlage des § 73 Abs. 1 AsylVfG ist auch der Asylwiderruf zu Recht erfolgt. Der Kläger hat - aus den vorstehenden Gründen - den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylVfG verwirklicht. Dies führt zugleich zum Ausschluss des Asylrechts. Dass im Fall der Erfüllung des Tatbestands des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG (früher: § 51 Abs. 3 Satz 2 3. Ausschlussgrund AuslG) auch eine Asylberechtigung ausgeschlossen ist, zeigt die gesetzgeberische Wertung in § 30 Abs. 4 AsylVfG, wonach ein Asylantrag u. a. dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen. Die Regelungen in § 3 Abs. 2 AsylVfG sind wie die ihr zugrunde liegenden Bestimmungen in der Richtlinie 2004/83/EG und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. II S. 560 im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention) zwingend. Sie dürfen daher auch nicht durch anderweitige Schutzgewährungen unterlaufen werden, durch die der Betreffende eine dem Flüchtlingsstatus vergleichbare Rechtsposition erhält. Eine insoweit mögliche Kollision zwischen der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und der Asylberechtigung (Art. 16a Abs. 1 GG) wird durch § 30 Abs. 4 AsylVfG vermieden, da danach die Ausschlussklauseln gleichermaßen bei der Flüchtlingsanerkennung wie auch bei der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden sind. § 30 Abs. 4 AsylVfG trägt insoweit auch dem grundsätzlichen Anwendungsvorrang des EG-Rechts gegenüber dem nationalen Recht Rechnung (vgl. dazu BT-Drucks. 16/5065, S. 214).

Dementsprechend ergibt sich auch aus dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen (Verfassungs)Rechts, dass das Asylrecht in Fallgestaltungen ausgeschlossen ist, in denen der genannte Ausschlusstatbestand erfüllt ist (vgl. zum bisherigen Verständnis: BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 -, BVerwGE 132, 79 (96, Rn. 37-39, m.w.N.).

Art. 3 der für die Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Richtlinie 2004/83/EG ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat nach nationalem Recht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht nach nationalem Recht zuerkennen kann, soweit diese andere Form des Schutzes nicht die Gefahr der Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie birgt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C - 57/09 und C - 101/09 -, EuGRZ 2010, 722 (729, Rn. 121)).

Eine solche Verwechslungsgefahr besteht hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung und der Asylanerkennung. Bei der Beurteilung, inwieweit eine Verwechslungsgefahr besteht, ist von der Erwägung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen, dass nationale Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, das von der Richtlinie 2004/83/EG geschaffene System nicht beeinträchtigen, wenn sie eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz nach der Richtlinie erlauben (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C-57/09 und C-101/09 -, EuGRZ 2010, 722 (729, Rn. 120)).

Daran fehlt es hier, weil beide Anerkennungen der Sache nach im Wesentlichen übereinstimmende aufenthaltsrechtliche und sozialrechtliche Positionen vermitteln und sich für ihre unterschiedliche Rechtsgrundlage im Unionsrecht bzw. nationalen Recht auch aus den vorgeschriebenen Inhalten der auszustellenden Ausweisdokumente (Reiseausweise für Flüchtlinge) keinerlei Anhaltspunkte ergeben.

Seit dem 1. Januar 2005 vermitteln diese Anerkennungen übereinstimmend den Aufenthaltstitel der Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 1 und 2 Satz 1 AufenthG). Die danach jeweils zu erteilende Aufenthaltserlaubnis ist für beide Anerkennungen in gleicher Weise ausgestaltet (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Insbesondere vermitteln beide Rechtsstellungen in gleicher Weise die Möglichkeit, "Familienasyl" bzw. "Familienflüchtlingsschutz" zu begründen (§ 26 Abs. 1 bis 3 AsylVfG bzw. § 26 Abs. 4 AsylVfG). Unterschiede bestehen auch nicht in Bezug auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Erlöschen der Anerkennung oder die Beendigung der daraus abgeleiteten Aufenthaltserlaubnis (§ 72 AsylVfG, §§ 51 Abs. 1 und 7, 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Dieser übereinstimmenden Ausgestaltung des jeweiligen Aufenthaltsstatus entspricht es, dass aus dem durch Gesetz und Verordnung geregelten Inhalt von Ausweispapieren eines Ausländers nicht zu erkennen ist, ob er asylberechtigt ist oder "nur" über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verfügt (vgl. § 99 Abs. 1 AufenthG, §§ 1 Abs. 3, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 AufenthaltsV). An die übereinstimmende Ausgestaltung des jeweiligen Aufenthaltsstatus knüpft ferner im Wesentlichen übereinstimmend die Gewährung von sozialrechtlichen Vergünstigungen (Hilfe zum Lebensunterhalt, Kindergeld, Ausbildungsförderung) an (vgl. etwa §§ 19 SGB 12, 7 SGB 2, i. V. m. § 1 AsylbLG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 BKGG, § 8 Abs. 2 Nr. 1 BAFÖG). Unterschiede hinsichtlich der rechtlichen Folgewirkungen bestehen zwar im Bereich bestimmter Berufe des Gesundheitswesens, zu denen auch unanfechtbar anerkannte Asylberechtigte zugelassen werden können (vgl. § 10 Abs. 3 Bundesärzteordnung, § 13 Abs. 3 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde, § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, § 11 Abs. 2 Bundes-Apothekerordnung, § 11 Abs. 3 Bundes-Tierärzteordnung). Dies rechtfertigt es indes zur Überzeugung des Senats nicht, eine Verwechslungsgefahr von Asylstatus und Flüchtlingsstatus im Rechtssinne zu verneinen. Für eine übereinstimmende Anwendung der Ausschlusstatbestände auf Asylrecht bzw. Flüchtlingsschutz spricht im Übrigen auch die Formulierung des Art. 18 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union. Die Grundrechte-Charta (ABl. EU 2010 C 83 S. 389) ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten und als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, InfAuslR 2010, 410).

Nach Art. 18 Grundrechte-Charta wird das Recht auf Asyl "nach Maßgabe" der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet. Auch dies spricht dafür, die Ausschlusstatbestände des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG, die denen des Art. 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, auf das Asylrecht zu beziehen. [...]