VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 21.07.2011 - 2 K 92/10.WI.A - asyl.net: M18956
https://www.asyl.net/rsdb/M18956
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG. Jedenfalls in einigen Gebieten des Zentralirak, die sich außerhalb der kurdisch verwalteten Provinzen im Norden des Landes befinden und zu denen auch die Provinz Tamim (Kirkuk) gehört, liegt derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Für den Kläger kommen mehrere gefahrerhöhende Umstände hinzu.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Irak, Zentralirak, Kirkuk, Tamim, Wiederaufnahme des Verfahrens, Änderung der Sach- und Rechtslage, Kurden, Sicherheitslage, Gefährdungsdichte, erhebliche individuelle Gefahr, gefahrerhöhende Umstände, INC,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c, ZP II Art. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG hinsichtlich des Irak zu. Daher ist der Bescheid der Beklagten vom 21.01.2010 teilweise aufzuheben und die Beklagte ist zu einer entsprechenden Feststellung zu verpflichten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Eine Verpflichtung der Beklagten, das rechtskräftig abgeschlossene Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen, ergibt sich dabei aus einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null. [...]

Die Entscheidung über den Anspruch des Klägers führt zu dem Ergebnis, dass ihm subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG zusteht. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn dieser dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ausgesetzt ist. Die Bestimmung stellt eine Umsetzung der Regelung des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie dar und entspricht trotz der teilweise abweichenden Formulierungen den Vorgaben der Richtlinie (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, Juris). Danach gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Nach Ansicht des Gerichts liegt jedenfalls in einigen Gebieten des Zentralirak, die sich außerhalb der kurdisch verwalteten Provinzen im Norden des Landes befinden und zu denen auch die Provinz Tamim (Kirkuk) gehört, derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in diesem Sinne vor.

Trotz einer erheblichen Verbesserung der Sicherheitslage im Irak ist diese, außer in den kurdisch verwalteten Gebieten, immer noch verheerend (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010). In der Reisewarnung Irak des Auswärtigen Amtes vom 26.05.2011 heißt es, auch wenn sich die Sicherheitslage in den vergangenen beiden Jahren kontinuierlich entspannt habe, bleibe der Aufenthalt in Teilen des Landes gefährlich. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko bestehe insbesondere in bestimmten Bezirken der Hauptstadt Bagdad und den nördlich angrenzenden Gebieten der Provinzen Diyala, Ninive, Salah Al-Din und Tamim, wo monatlich noch immer zahlreiche Menschen bei Anschlägen und Feuergefechten ums Leben kämen. In den Städten Kirkuk und Mossul und in deren Umgebung sei die Sicherheitslage besonders volatil. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amtes kam es im Jahresverlauf 2010 immer noch wöchentlich zu ca. 200 Anschlägen, bei denen insgesamt jeweils ca. 150 Todesopfer zu beklagen seien. Den Großteil der Opferlast trage die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung. Offizielle Schätzungen zur Zahl der zivilen Opfer gebe es von amerikanischer Seite aus grundsätzlichen Erwägungen nicht. Die irakische Regierung habe die Zahl von 4.068 Toten im Jahr 2009 und von 15.935 verletzten Personen genannt. Allerdings seien diese Zahlen nicht überprüfbar und es werde befürchtet, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher lägen. Hinsichtlich der Opferzahlen der Provinz Tamim wird auf die Ausführungen weiter oben verwiesen. Nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vom 15.06.2011 nimmt die Gewalt seit Jahresbeginn langsam, aber stetig wieder zu. Die britische Sicherheitsfirma AKE habe im Mai 2011 täglich mehr als 10 Gewalttaten und damit mehr als doppelt so viele wie im Januar registriert. Auch laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 05.07.2011 steigen die Gewalttaten im ganzen Land wieder. Täglich gingen Bomben hoch oder gebe es Feuerüberfälle von Al-Qaida-Kommandos. Es ist nach alledem davon auszugehen, dass mittelfristig eher mit einem Wiederanstieg als mit einem weiteren Abflauen der Gewalt zu rechnen ist.

Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seiner oben zitierten Entscheidung vom 24.06.2008, die durch das Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, Juris, bestätigt wurden und denen das Gericht folgt, ist der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen, wobei insbesondere die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12.08.1949 heranzuziehen sind; diese können als Völkergewohnheitsrecht angesehen werden. Art. 3 der Abkommen beschreibt in übereinstimmendem Wortlaut den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt und definiert ihn als "bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht". Das Zusatzprotokoll II vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 (ZP II) bestimmt in Art. 1 Nr. 1, dass das Protokoll auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung findet (...), die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Nach Nr. 2 der Vorschrift findet das Protokoll keine Anwendung auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Das Bundesverwaltungsgericht folgert hieraus, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts jedenfalls dann vorliegt, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt und jedenfalls dann nicht anzunehmen ist, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II vorliegen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheide die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie jedoch nicht von vornherein aus. Der Konflikt müsse aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele hierfür seien Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des bewaffneten Konflikts sei gewählt worden, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Ob die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreichen müssten, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen beider Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich sei, bedürfe hier keiner abschließenden Entscheidung.

Die Lage im Irak ist dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedliche Organisationen und Gruppen aus verschiedenen Motiven heraus sich mit irakischen Sicherheitskräften, im Irak noch stationierten fremden Streitkräften, aber auch untereinander bewaffnete Auseinandersetzungen liefern, deren Opfer sehr häufig Angehörige der Zivilbevölkerung des Irak sind. Hinzu kommen direkte Übergriffe religiöser und krimineller Organisationen auf die Zivilbevölkerung. Damit stehen sich nicht wie im klassischen Bürgerkrieg zwei oder doch wenige Konfliktparteien gegenüber, die zudem noch jeweils über (Teil-) Gebietsgewalt verfügen. Außerdem handelt es sich bei den Auseinandersetzungen im Irak aber auch nicht nur um innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen. Nach Ansicht des Gerichts erfüllt die gegenwärtige Lage in den betroffenen Provinzen des Irak wieder eindeutig die Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 ZP II, noch greifen die Ausschlussgründe des Art. 1 Nr. 2 ein. Insbesondere dürfte es häufig an der Gebietsgewalt der kämpfenden Gruppen im Sinne des Art. 1 Nr. 1 ZP II fehlen, teilweise auch an einer verantwortlichen Führung.

Angesichts der Tatsache, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen seit mehreren Jahren mit großer Intensität geführt werden, erscheint aber das Schutzbedürfnis der Zivilbevölkerung dem der Zivilbevölkerung in Staaten vergleichbar, in denen Konflikte stattfinden, wie sie in Art. 1 Nr. 1 ZP II beschrieben sind. Vor diesen will die Qualifikationsrichtlinie Schutz gewähren. Hinzu kommt, dass auch bei Guerillakämpfen, gegen die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Schutz nach der Richtlinie möglich sein soll, häufig keine oder nur eine äußerst beschränkte Gebietsgewalt der kämpfenden Gruppen gegeben sein wird. Der Guerillakampf wird in vielen Fällen dezentral geführt werden, was hierarchische Strukturen erschweren dürfte und was häufig zum Fehlen eines Ansprechpartners zur Regelung des Konfliktes führen wird. Nach Abwägung aller dieser Faktoren kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass gegenwärtig jedenfalls in bestimmten Gebieten des Zentralirak, zu denen Tamim gehört, von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt i.S. der Qualifikationsrichtlinie ausgegangen werden kann. Dabei ist es unerheblich, dass dieser Konflikt nur in einem Teil des Staatsgebietes des Irak stattfindet, wie sich aus dem Verweis in § 60 Abs. II AufenthG auf Art. 8 der Richtlinie ergibt.

Der im Herkunftsgebiet des Klägers herrschende bewaffnete Konflikt begründet auch eine erheblich individuelle Gefahr für dessen Leib und Leben als Angehörigen der Zivilbevölkerung i.S. des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG. Die Tatbestandsvoraussetzungen der "erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben" entsprechen denen einer "ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie (BVerwG, Urt. v. 24.06.2008 a.a.O.). Hiermit ist, wie oben ausgeführt, eine Schadensgefahr allgemeinerer Art gemeint, die sich aus einer allgemeinen Lage ergibt. Schließlich ist die infrage stehende Gewalt, der die Bedrohung entspringt, als willkürlich gekennzeichnet, was beinhaltet, dass sie sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (EuGH, a.a.O.). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine zivile Person bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung i.S. der Richtlinie ausgesetzt zu sein, wobei der erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein muss, je mehr der Schutzsuchende belegen kann, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (EuGH a.a.O.).

Das Bundesverwaltungsgericht verlangt in seiner neueren Rechtsprechung (Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, Juris) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet geübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit könnten auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichten nicht aus. Wie zu verfahren ist, wenn belastbare Zahlen bei bewaffneten Konflikten, etwa aus politischen Gründen, nicht zu erhalten sind, bleibt offen. Auch wie die Kriterien für die Annahme einer Gruppenverfolgung im Fall gefahrerhöhender Umstände in der Person des Schutzsuchenden anzuwenden sein sollen, wird nicht ausgeführt. Gefahrerhöhende Umstände in diesem Sinne müssen jedoch begriffsnotwendig individuelle Umstände sein, die sich einer schematischen bzw. rein numerischen Bewertung entziehen. Eine andere Auslegung wäre auch mit der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, auf die das Bundesverwaltungsgericht sich beruft, nicht vereinbar, der zufolge der erforderliche Grad willkürlicher Gewalt in einem Land umso geringer sein müsse, je mehr der Schutzsuchende belegen könne, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei. Danach geht es in Fällen gefahrerhöhender Umstände letztendlich um eine wertende, auf die Zumutbarkeit einer Rückkehr abstellende Betrachtung, bei der selbstverständlich die allgemeine Lage im Herkunftsland mit einzubeziehen ist.

Im Falle des Klägers kommen zu den allgemein gefährlichen Zuständen in seiner Heimatstadt bzw. in seiner Heimatprovinz, in die er zurückkehren müsste, mehrere gefahrerhöhende Umstände hinzu. Das Gericht ist nach den Angaben des Klägers im bisherigen Verfahren sowie in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass dieser vor seiner Ausreise aus dem Irak politisch für den Iraqi National Congress (INC) tätig gewesen ist. Die Angaben des Klägers erscheinen insoweit gleichbleibend, widerspruchsfrei und glaubhaft. Die Glaubwürdigkeit des Klägers wird auch dadurch unterstrichen, dass dieser in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, wieder Kontakt zu Familienangehörigen zu haben, während er, um seine Lage ungünstiger darzustellen, hätte behaupten können, dass er weiterhin nichts von seiner Familie gehört hätte. Da der INC politisch und finanziell von der amerikanischen Regierung unterstützt worden ist und dies im Irak auch bekannt ist, und da auch davon auszugehen ist, dass die politischen Aktivitäten des Klägers vor seiner Ausreise in interessierten Kreisen in Kirkuk bekannt sind, muss dieser damit rechnen, im Falle seiner Rückkehr Angriffen durch arabische Extremisten bzw. Anhänger des alten Baath-Regimes ausgesetzt zu sein. Denn wie oben ausgeführt wurde, kämpfen in der Provinz Tamim insbesondere Araber, von denen viele dem früheren Regime nahe stehen, und Kurden, die unter Saddam Hussein zu leiden hatten, um die Vorherrschaft. Hinzu kommt, dass der Kläger sich seit 10 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Er ist nicht mit der Sicherheitslage des heutigen Irak vertraut und würde aufgrund der langen Zeit im westlichen Ausland aufgrund seiner Verhaltensweisen schnell auffallen. Ferner würden kriminelle Gruppen davon ausgehen, dass der Kläger im Ausland zu Wohlstand gekommen ist, was ihn zu einem bevorzugten Opfer für Überfälle oder Entführungen machen würde. Der Kläger könnte sich auch nicht zu Familienangehörigen in Kirkuk zurückziehen und im Haus bleiben, da er für seinen Lebensunterhalt sorgen müsste. Auch wenn man also die für das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG erforderliche Gefahrendichte allein wegen des Bestehens allgemeiner Gefahren verneinen würde, wäre eine ernsthafte Bedrohung hier nach alledem doch wegen zusätzlich zu den allgemeinen Gefahren gegebener gefahrerhöhender individueller Umstände zu bejahen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 14.07.2009 - 10 C 9.98 -, Juris). Effektiven Schutz hiergegen könnte der Kläger nach den dem Gericht vorliegenden Auskünften nicht erwarten.

Dem Kläger ist ein Ausweichen in den nicht von bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen betroffenen Nordrak oder in andere sicherere Provinzen des Irak nicht möglich. Nach § 60 Abs. II S. 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie ist für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative Voraussetzung, dass von dem Betroffenen vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufzuhalten. Nach der ausführlichen und differenzierten Auskunft des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien zur Lage im Nordirak ist für die Niederlassung in einer der drei kurdisch verwalteten Provinzen ein Bürge erforderlich. Teilweise gelten noch weitere Einschränkungen. Auch das Auswärtige Amt geht in seinem Lagebericht vom 28.11.2010 davon aus, dass eine Bürgschaft durch einen rechtmäßig in Kurdistan-Irak lebenden Residenten verlangt wird. Ferner sei in den kurdischen Provinzen die Nahrungsmittelversorgung problematisch. Der Kläger hat keine Verbindungen in den Nordirak. In seinem Fall kommt noch hinzu, dass die kurdische Regionalregierung kein Interesse daran hat, Kurden aus dem ethnisch umstrittenen Gebieten wie der Provinz Tamim aufzunehmen, um den kurdischen Bevölkerungsteil dort nicht zu vermindern. In andere Provinzen des Irak außerhalb seiner Herkunftsprovinz kann man nach der Auskunftslage nicht ohne weiteres umziehen. Der Kläger hat auch keine Verbindungen dorthin, die ihm helfen könnten, seine Existenz zu sichern. [...]