OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.09.2011 - 13 A 1660/11.A - asyl.net: M18969
https://www.asyl.net/rsdb/M18969
Leitsatz:

Wie jede Rückkehrerfamilie, die keine aufnahmebereite Verwandtschaft findet, kann die alleinerziehende Klägerin mit ihrem Kind im Kosovo vorübergehend eine Unterkunft in einer Übergangsräumlichkeit finden. Die allgemeine Wohnraumversorgung von Kosovo-Albanern wird im letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Januar 2011 und in anderen Erkenntnisquellen nicht als besonders problematisch dargestellt. Es bedarf auch keiner abschließenden Festlegung, an welchen Erkrankungen psychischer Art die Klägerin leidet und in welchem Ausmaß diese bestehen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Januar 2011 können Rückkehrer aus Deutschland bei einer psychischen Erkrankung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo Rückkehrerprojekts "URA II" in Anspruch nehmen.

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Abschiebungsverbot, Kosovo, Kosovo-Albaner, alleinerziehend, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, extreme Gefahrenlage, Rückkehrprojekt URA 2, Sozialhilfe, Blutrache
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nicht gegeben.

Für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sind vom Rechtsmittelführer in Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen Urteilsgründen eine konkrete über den Einzelfall hinausgehende, verallgemeinerungsfähige Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung darzulegen. Derartige grundsätzlich bedeutsame und in einem etwaigen Berufungsverfahren klärungsbedürftige Fragen werden im Zulassungsantrag mit dem Vorbringen, es sei zu klären, ob "einer allein stehenden Frau mit Kind die Rückkehr in die Republik Kosovo zumutbar" sei und ob ihr "eine hinreichende medizinische Versorgung in der Republik Kosovo bei fehlendem eigenem Einkommen zugänglich" sei, nicht aufgeworfen.

Die Situation von Rückkehreren in den Kosovo allgemein und damit auch für alleinerziehende Mütter mit einem oder mehreren Kindern ist abhängig von den Umständen, die sich vor Ort im Kosovo ergeben: Dementsprechend ist eine über den Einzelfall hinausgehende und für mehrere vergleichbare Fälle relevante Aussage ohnehin nur bedingt möglich; die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Frage ist deshalb schon aus diesem Grunde nicht anzunehmen. Es ist zudem nicht in hohem Maße wahrscheinlich, dass bei einer Rückkehr der Klägerin in den Kosovo eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht und deshalb ein Abschiebungsverbot anzunehmen ist. Die Klägerin hat nach ihren Angaben bei der informatorischen Anhörung am 8. Oktober 2009 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor ihrer erneuten Ausreise aus dem Kosovo im September 2005 mit ihrem im Juni 2005 geborenen Kind B., das Klägerin in dem beim Senat anhängigen Verfahren 13 A 1659/11.A ist, bei ihrer Familie in E./F. gelebt. Sie hat nicht dargetan, dass dies bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht erneut so erfolgen kann. Es ist nichts dafür vorgetragen worden und ersichtlich, dass das Verhältnis der Klägerin zu ihrer Familie im Kosovo so schwer gestört ist, dass sie keinerlei familiären Rückhalt bei ihrer Rückkehr erwarten kann. Mögliche beengte Wohnverhältnisse vermögen insoweit keine Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Im Übrigen waren diese nach dem Vorbringen der Klägerin bei der Anhörung offenbar im September 2009 auch nicht der Grund für die erneute Ausreise aus dem Kosovo, sondern von ihr befürchtete Vergeltungsmaßnahmen im Rahmen der Blutrache nach dem durch einen Bruder verursachten Tod eines Mitglieds einer anderen Familie. Die Klägerin gehört nicht einer ethnischen Minderheit an, sondern ist Kosovo-Albanerin. Deshalb kann davon ausgegangen werde, dass sie und ihr Kind wie jede Rückkehrerfamilie, wenn sich keine aufnahmebereite Verwandtschaft findet, vorübergehend eine Unterkunft in einer Übergangsräumlichkeit finden und nutzen kann. Die allgemeine Wohnraumversorgung von Kosovo-Albanern wird auch im letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Januar 2011 und in anderen Erkenntnisquellen nicht als besonders problematisch eingeschätzt.

Die weiter von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, ob ihr "eine hinreichende medizinische Versorgung in der Republik Kosovo bei fehlendem eigenen Einkommen zugänglich ist", führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Auch bei diesem Zulassungsbegehren bedarf es einer konkreten Betrachtung der Einzelumstände, so dass auch insoweit weitgehend eine Verallgemeinerung nicht möglich ist. Es bedarf keiner abschließenden Festlegung, an welchen Erkrankungen psychischer Art die Klägerin konkret leidet und in welchem Ausmaß diese bestehen. Allerdings kann nicht völlig außer Betracht bleiben, dass in der vorgelegten letzten ärztlichen Bescheinigung des Dr. med. P., M., vom 3. Mai 2011 außer der Diagnose "Angst und depressive Störung sowie Panikattacken mit Hyperventilation" auch die "Verdachtsdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung" genannt wurde. Eine solche Verdachtsdiagnose ohne weitere ärztliche Abklärung reicht ohnehin nicht aus, um zwingend das entsprechende Krankheitsbild bejahen zu müssen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Januar 2011 können, wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, Rückkehrer aus Deutschland bei einer psychischen Erkrankung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrerprojekts "URA II" in Anspruch nehmen, zu dem auch die professionelle Behandlung psychischer Erkrankungen durch in Deutschland geschulte Psychologen oder die Vermittlung an qualifizierte Psychologen gehört. Die Klägerin hat im Zulassungsantrag nicht substantiiert dazu Stellung genommen, in welchem Umfang finanzielle Aufwendungen für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankungen anstehen bzw. bei einer Rückkehr in den Kosovo anstehen werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin trotz Unterstützung durch den Familienverband oder der möglichen, ihr zumutbaren Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen im Kosovo in hohem Maße einer extremen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt sein wird und deshalb ein Abschiebungsverbot anzunehmen ist. Dies gilt auch angesichts dessen, dass die Klägerin als Grund für ihre erneute Ausreise aus dem Kosovo die Befürchtung, Opfer von Vergeltungsmaßnahmen im Rahmen der Blutrache zu werden, angegeben hat, diese Befürchtung aber offenbar keine verifizierbare Grundlage hat. Dies lässt erwarten, dass sich auch ihre damit in Zusammenhang stehenden Ängste und dementsprechend auch der Behandlungsbedarf im Laufe der Zeit reduzieren. [...]