VG München

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Zitieren als:
VG München, Gerichtsbescheid vom 21.09.2011 - M 11 K 11.30081 - asyl.net: M19055
https://www.asyl.net/rsdb/M19055
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe (Clan der Wadaan).

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Somalia, soziale Gruppe, Clan der Wadaan, interner Schutz, interne Fluchtalternative, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger gegenüber festzustellen, dass bezüglich Somalia die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Soweit der angefochtene Bescheid dieser Verpflichtung entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Eine Verfolgung in diesem Sinne kann auch ausgehen von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen sowie internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).

Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Somalia wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren für sein Leben oder seine Freiheit, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, ohne dass ihm der Staat, Parteien oder sonstige Organisationen Schutz vor dieser Verfolgung bieten könnten. Dem Kläger droht nach den Feststellungen des Gerichts in Somalia allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan (Wadaan) und damit wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe von Seiten der Angehörigen anderer Clans Gefahren für Leib und Leben. Somalia ist seit 1991 ohne international allgemein anerkannte Regierung. Eine zentralstaatliche Ordnung existiert nicht. Weite Teile des Landes befinden sich in einem andauernden Bürgerkrieg und werden durch lokale Kriegsfürsten und ihre Milizen regiert. Dabei kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen rivalisierender Clanmilizen mit zum Teil erheblichen Opferzahlen. Folter und willkürliche Tötungen sowie die systematische Gewaltanwendung gegenüber feindlichen Clans und Subclans kennzeichnen die bürgerkriegsähnlichen Zustände. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht. Kampfhandlungen und Willkürmaßnahmen unterschiedlicher Milizen und Verfolgungsmaßnahmen gegenüber anderen Clans machen es schwierig oder unmöglich, sichere Zufluchtgebiete (etwa im Norden des Landes) tatsächlich zu erreichen. Zudem sind wegen der allgemeinen schwierigen Wirtschafts- und Sicherheitslage die Überlebensmöglichkeiten solcher Personen in Frage gestellt, die nicht vor Ort im Rahmen familiärer Bindungen unterstützt werden können. Lokale Rivalitäten stellen im Übrigen auch in vermeintlich sicheren Zufluchtgebieten für Rückkehrer je nach Clanzugehörigkeit schwer einzuschätzende, möglicherweise aber lebensbedrohende Gefahren dar. An der Bürgerkriegssituation in Somalia hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert (vgl. zu vorstehendem die Berichte des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Somalia vom 7. Februar 2006, 17. März 2007, 5. Mai 2008, 2. April 2009, 11. April 2010 und 24. März 2011). [...]