VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 31.08.2011 - 6 A 915/08 - asyl.net: M19155
https://www.asyl.net/rsdb/M19155
Leitsatz:

Im Ausland verbrachte Ausbildungszeiten sind bei einer Inlandsausbildung förderungsrechtlich grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn die ausländische Ausbildungsstätte den inländischen Ausbildungsstätten nach Zugangsvoraussetzungen, Art und Inhalt der Ausbildung sowie dem vermittelten Ausbildungsabschluss vergleichbar bzw. gleichwertig ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Ausbildungsförderung, Ausbildung, Erstausbildung, förderungswürdig, Abschluss, Studium
Normen: BAFöG § 7 Abs. 1, BAFöG § 17 Abs. 2, BAFöG § 7 Abs. 2 S. 1, BAFöG § 7 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist bereits im Hauptantrag begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf die Gewährung von Ausbildungsförderung für den BWZ 04/2008 bis 03/2009 aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 und 2 Satz 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung, und zwar in Form eines hälftigen Zuschusses und eines hälftigen Darlehens. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2008 und der Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2008 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), soweit sie dem entgegenstehen.

1. Das Lehramtsstudium der Klägerin an der Universität A-Stadt ist eine förderungsfähige Erstausbildung im Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG. Ihre in der Russischen Föderation durch ein Diplom abgeschlossene Ausbildung als Grundschullehrerin steht dem Anspruch auf Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 1 BAföG nicht entgegen.

Die Klägerin hat ihren Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG damit noch nicht ausgeschöpft. Zwar ist das an der Pädagogischen Hochschule in Z durchgeführte und abgeschlossene Studium als Hochschulausbildung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG eine im Grundsatz förderungsfähige Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG. Das Studium hat der Klägerin jedoch keinen berufsqualifizierenden Abschluss im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG vermittelt, weil der im Ausland erworbene Studienabschluss die Klägerin nicht zu einer Berufsausübung als Lehrerin in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt.

Auch § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden. Danach ist ein Ausbildungsabschluss auch dann berufsqualifizierend, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Regelung allerdings ihrem Normzweck entsprechend eingeschränkt auszulegen und gilt nur für diejenigen Auszubildenden, die sich trotz Ausbildungsmöglichkeit im Inland für eine Ausbildung im Ausland entschieden und diese mit einem im Ausland berufsqualifizierenden Abschluss beendet haben. Diese Auszubildenden sollen förderungsrechtlich nicht besser gestellt werden als diejenigen, die sich für eine (Erst-)Ausbildung im Inland entschieden haben. § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG gilt dagegen nicht für Ausbildungsabschlüsse, die Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes vor ihrer Aussiedlung im Herkunftsland erworben haben. Wegen der fehlenden Möglichkeit, vor der Aussiedlung eine Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, ist die Entscheidung, die vor der Aussiedlung begonnene Ausbildung im Herkunftsland durchzuführen, nämlich als nicht freiwillig anzusehen (vgl. BVerwGE 102, 200 ff., BVerwG, Urt. v. 17.04.1997, Az. 5 C 5.96, DVBl 1997, 1436, und Urt. v. 10.04.2008, Az. 5 C 12/07, DVBl 2008, 1058).

Danach ist § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Ein sachlicher Grund, zwischen der Ausbildungssituation Vertriebener, die bis zum 31. Dezember 1992 in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme gefunden haben, und derjenigen von Spätaussiedlern, die als deutsche Volkszugehörige nach dem Bundesvertriebenengesetz die Aussiedlungsgebiete nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen haben, und deren Abkömmlingen zu differenzieren, besteht nicht (vgl. OVG Münster, Urt. v. 26.10.2007, Az. 2 A 126/07, FamRZ 2008, 1664). Auch für Spätaussiedler und ihre Abkömmlinge ist davon auszugehen, dass sie grundsätzlich keine Möglichkeit haben bzw. hatten, vor der Aussiedlung eine Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen, so dass die Entscheidung, eine Ausbildung im Aussiedlungsgebiet zu beginnen, auch bei ihnen grundsätzlich als nicht freiwillig anzusehen ist. So wird von den Beteiligten auch nicht in Frage gestellt, dass die Klägerin vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre keine Berufsausbildung im Inland aufnehmen konnte.

Muss sich die Klägerin demnach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht entgegenhalten lassen, liegt eine berufsqualifizierende abgeschlossene Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG nicht vor. Dies schließt aus anzunehmen, bei der von der Klägerin im hier streitigen Förderungszeitraum betriebenen Ausbildung habe es sich um eine weitere Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 2 BAföG gehandelt, für welche ausschließlich eine Förderung durch Bankdarlehen vorgesehen ist (§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG).

2. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass das in Russland absolvierte Studium förderungsrechtlich ohne Bedeutung wäre. § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG regelt nur die Gleichstellung in- und ausländischer Abschlüsse. Eine darüber hinausgehende Aussage, etwa dergestalt, dass die Studien- und Ausbildungszeiten im Ausland nicht anzurechnen seien, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen (vgl. BVerwGE 106, 5, 8). Dass ein im Ausland erworbener Ausbildungsabschluss, der nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG als gleichwertiger berufsqualifizierender Abschluss anerkannt ist, mangels freier Wahlmöglichkeit für ein Inlandsstudium der Gewährung von Ausbildungsförderung nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG entgegensteht, bedeutet insbesondere nicht, dass auch der durch die Auslandsausbildung erlangte Ausbildungsstand des Auszubildenden und die dort von ihm erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten förderungsrechtlich als nicht existent zu fingieren wären und der Auszubildende in vollem Umfange wie ein Ausbildungsanfänger zu stellen wäre. Die teleologische Reduktion des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG soll eine vom Gesetzgeber nicht bezweckte Schlechterstellung von Personen mit im Ausland erworbenen berufsqualifizierenden Abschlüssen vermeiden, nicht aber eine sachlich nicht gerechtfertigte Begünstigung dieses Personenkreises im Vergleich zu Ausbildungsanfängern bewirken, die noch keine entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.04.2008, a.a.O.). Das in Russland absolvierte Studium der Klägerin ist förderungsrechtlich daher nicht ohne Bedeutung, sondern in wertender Betrachtung in den systematischen Zusammenhang der Förderungsansprüche und Beschränkungen einzuordnen, denen auch ein deutscher Förderungsbewerber unterliegt.

Danach stellt sich unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das in Deutschland aufgenommene Studium als eine "andere Ausbildung" im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG dar. Zwar ist das Studium der Klägerin in Russland von ihr bereits abgeschlossen worden, so dass ein "Abbruch" im Sinne dieser Vorschrift streng genommen nicht mehr möglich ist. Doch steht die mit der Übersiedlung nach Deutschland verbundene Aufgabe der mit dem Studium an der russischen Pädagogischen Hochschule verbundenen Berufsperspektive in Russland förderungsrechtlich einem Studienabbruch näher als einem - im Zeitpunkt der Übersiedlung noch völlig offenen – Fachrichtungswechsel, wobei für den Studienabbruch aus den dargelegten Gründen ein unabweisbarer Grund vorlag (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.04.2008, a.a.O.). Für die Klägerin bestand nämlich eine Situation, die die Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung bzw. ihrer Ausnutzung durch eine Berufstätigkeit in Russland und ihrem Abbruch oder dem Überwechseln in eine andere Ausbildung nicht zuließ.

3. Damit ist jedoch noch nicht entschieden, ob die Situation der Klägerin als Spätaussiedlerin auch im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 BAföG als unabweisbarer Grund zu werten ist. Anders als im Zusammenhang mit § 7 Abs. 3 BAföG geht es hier nicht um die Frage, ob die Klägerin förderungsrechtlich auf eine Berufstätigkeit in Russland verwiesen werden kann, sondern allein um die Frage, in welcher Form das in Deutschland aufgenommene Studium zu fördern ist. Während bei einem aus "wichtigem Grund" erfolgten Studienabbruch gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Förderung als Bankdarlehen nach § 18c BAföG vorgesehen ist, soweit für die andere Ausbildung nach § 7 Abs. 3 "die Semesterzahl der hierfür maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen, nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen ist", überschritten wird, gilt dies gemäß Abs. 3 Satz 2 dieser Bestimmung dann nicht, wenn der Auszubildende die Ausbildung aus "unabweisbarem Grund" abgebrochen hat. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gründe, die es ausschließen, die Klägerin förderungsrechtlich auf eine Berufstätigkeit in Russland zu verweisen, es deshalb auch geböten, sie von der vorgesehenen förderungsrechtlichen Anrechnung der Fachsemester der vorangegangenen Ausbildung freizustellen. Vielmehr sind im Ausland verbrachte Ausbildungszeiten bei einer Inlandsausbildung förderungsrechtlich grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn die ausländische Ausbildungsstätte den inländischen Ausbildungsstätten nach Zugangsvoraussetzungen, Art und Inhalt der Ausbildung sowie dem vermittelten Ausbildungsabschluss vergleichbar bzw. gleichwertig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.04.2008, a.a.O.; BVerwGE 106, 1, 3 f.; 106, 5, 10). Davon geht auch das vom Beklagten angeführte BMBF-Schreiben vom 13. Juli 2004 (zu Förderungsproblemen u.a. von Aussiedlern) aus, das Gegenstand des Erlasses des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern vom 27. Oktober 2004 ist. Auch danach setzt die Berücksichtigung von Zeiten der Auslandsausbildung bei der Förderung einer Ausbildung im Inland voraus, dass die Ausbildungsstätten gleichwertig sind.

Diese Voraussetzung ist hier jedoch nicht erfüllt. Die Beurteilung der Vergleichbarkeit setzt einen an der Aufzählung der Ausbildungsstätten in § 2 BAföG orientierten wertenden Vergleich des Ausbildungsganges und der durch diesen vermittelten Berufsqualifikation voraus, wie sie von der ausländischen Ausbildungsstätte einerseits und den inländischen Ausbildungsstätten andererseits angeboten und vermittelt werden. Auf die Frage, in welchem Umfang Zeiten einer Auslandsausbildung auf eine inländische Ausbildung angerechnet werden können, kommt es in diesem Zusammenhang nur mittelbar, nämlich im Sinne eines gewichtigen Indizes für die Vergleichbarkeit der Ausbildungsstätten an (vgl. OVG Münster, Urt. v. 26.10.2007, a.a.O., unter Bezugnahme auf BVerwGE 62, 174; 106, 5). Ausgehend davon ist die von der Klägerin an der Pädagogischen Hochschule in Z absolvierte Grundschullehrerausbildung nicht mit einem Lehramtsstudium an einer deutschen Hochschule vergleichbar.

So ist die hier erfolgte Anrechnung bisheriger Studienleistungen schon kein geeignetes Indiz von Gewicht für eine Vergleichbarkeit der Ausbildungsstätten im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Anerkannt wurden die von der Klägerin in Russland "bisher erbrachten Studienleistungen sowie die Abschlussprüfung für das Fach Erziehungswissenschaften (Pädagogik) mit dem Bereich Pädagogische Psychologie". Ungeachtet ihrer im Rahmen des russischen Lehramtsstudiums erworbenen pädagogischen Kenntnisse befand sich die Klägerin in Deutschland jedoch in einer Situation wie ein Auszubildender, der im Ausland nur einen Teil des Lehramtsstudiums absolviert hat und dessen Studium an der ausländischen Ausbildungsstätte aus diesem Grund mit einem Lehramtsstudium an einer hiesigen Hochschule nicht vergleichbar ist. Das erziehungswissenschaftliche Studium ist notwendiger Teil jedes Lehramtsstudiums und vermochte hier die Notwendigkeit eines vollständig neuen Fachstudiums nicht zu ersetzen oder erheblich zu verringern.

Erweist sich damit die Anrechnungsmöglichkeit in vorliegenden Fall nicht als geeignetes Indiz von Gewicht für die Vergleichbarkeit der Ausbildungsgänge an den jeweiligen Ausbildungsstätten, kann auch im Übrigen nicht davon ausgegangen werden, dass das von der Klägerin an einer russischen Hochschule absolvierte Lehramtsstudium einem die Grundschulpädagogik mit verschiedenen Lernbereichen und (zumindest) ein weiteres Fach (hier: Philosophie) umfassenden Studium des Lehramtes für Grund- und Hauptschulen an einer deutschen Hochschule im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG vergleichbar ist. Dass es im Hinblick auf das von der Klägerin in Russland erworbene Diplom "Pädagogik und Methodik für die Grundschulausbildung" an der Vergleichbarkeit fehlt, belegt der Umstand, dass insoweit eine Anerkennung nicht erfolgt ist. Im Übrigen ist das von der Klägerin in Russland durchgeführte Lehramtsstudium auch seiner spezifischen Fächerkombination nach mit einem Studium an einer deutschen Hochschule nicht vergleichbar (vgl. OVG Münster, Urt. v. 26.10.2007, a.a.O.). Selbst wenn sich die Klägerin daher ihre im Fach Erziehungswissenschaften erworbenen Auslandsstudienkenntnisse bei der Aufnahme eines Lehramtsstudiums in der Bundesrepublik Deutschland in bestimmter, anrechenbarer Weise zunutze machen konnte, musste sie dazu noch die (deutsche) Grundschulpädagogik mit den verschiedenen Lernbereichen und "Fächer der Hauptschule", d.h. entweder zwei aus der Grundschulpädagogik weitergeführte bzw. gekoppelte Fächer oder ein neu aufgenommenes Fach, in vollem Umfang studieren.

Im Übrigen würde im Falle der Klägerin eine Anrechnung von zwei Semestern gemäß § 7 Abs. 3, § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG gerade nicht dazu führen, dass eine Besserstellung gegenüber anderen Auszubildenden vermieden wird. Vielmehr hätte die Gefahr bestanden, dass die Klägerin hierdurch schlechter gestellt wird, weil sie wegen ihrer anerkannten Vorkenntnisse im Fach Erziehungswissenschaften (Pädagogik) allenfalls insoweit über einen Wissensvorsprung verfügte und im Übrigen, auch wegen des Gleichlaufs der Fachsemesteranzahl in den anderen Fächern unter Umständen - d.h. wenn dies nicht durch die Arbeitsersparnis im Hinblick auf ihre Vorkenntnisse aufgewogen wird - hätte schneller arbeiten müssen als ohne die Anerkennung. Eine solche Benachteiligung sollen die vorgenannten Vorschriften aber gerade nicht bewirken (vgl. auch VG München, Urt. v. 28.08.2008, Az. M 15 K 06.4136, juris Rn. 31 ff.).

Die Klägerin hat somit dem Grunde nach einen Anspruch auf die Gewährung von Ausbildungsförderung in Form eines hälftigen Zuschusses und eines hälftigen Darlehens für die gesamte Regelstudienzeit, mithin auch für den BWZ 04/2008 bis 03/2009. [...]