LG Augsburg

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Zitieren als:
LG Augsburg, Beschluss vom 28.11.2011 - 052 T 3723/11 - asyl.net: M19344
https://www.asyl.net/rsdb/M19344
Leitsatz:

Eine Anhörung im Abschiebungshaftverfahren im Wege der Videokonferenz ist unzulässig.

Schlagwörter: Haftanordnung, Abschiebung, Anhörung per Videokonferenz, Freiheitsentziehung, audiovisuelle Anhörung
Normen: FamFG § 420, StPO
Auszüge:

[...]

Die nach der Erledigung der Hauptsache durch Abschiebung auf Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die Haftanordnung war schon deshalb rechtswidrig, weil dem Betroffenen nach dem Protokoll vom 16.09.2011 in der Videokonferenz lediglich "der Gegenstand der gerichtlichen Anhörung eröffnet wurde". Dem Protokoll ist nicht zu entnehmen, dass der vollständige Haftantrag dem Betroffenen übersetzt und ausgehändigt und damit der gesamte Antragsinhalt bekanntgegeben worden ist. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Fehlen der ordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen drückt der gleichwohl angeordneten und aufrechterhaltenen Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (BGH vom 21.07.2011, V ZB 141/11).

2. Weiter hat die Kammer bereits in einem früheren Verfahren des Amtsgerichts Nördlingen (XIV 47/10) mit Beschluss vom 13.08.2010 (052 T 2949/10) entschieden, dass der Normzweck des § 420 FamFG eine Anhörung durch Videokonferenz nicht zulässt. Im Rahmen von § 454 StPO lässt die herrschende Meinung für die mündliche Anhörung nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO es zu, dass diese Anhörung im Wege der Videokonferenz stattfindet (Meyer-Goßner, 52. Aufl., Rn 34 zu § 454 StPO). Dies ist möglich, da § 454 Abs. 1 S. 3 StPO nur eine mündliche Anhörung, nicht aber eine persönliche Anhörung wie in § 420 Abs. 1 FamFG vorsieht. Die Anhörung nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO ist auch nicht in allen Fällen zwingend. Ein Verurteilter kann auf mündliche Anhörung verzichten und auch das Gericht kann etwa von einer Anhörung absehen, wenn der Verurteilte seine Zustimmung zur Aussetzung eines Strafrestes verweigert hat. Solche Möglichkeiten ergeben sich nicht für die persönliche Anhörung nach § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG. Sie kann nur unterbleiben, wenn hiervon erhebliche Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen wären oder wenn dieser an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet. In solchen Fällen muss für den Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt werden (§ 419 Abs. 1 S. 2 FamFG). Der Kammer ist sehr wohl bewusst, dass die Bundesregierung bezüglich der persönlichen Anhörung im Asylverfahren der Meinung ist, dass hier eine Anhörung per Videokonferenz durchgeführt werden kann (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6735). Dies kann aber nicht im Rahmen einer persönlichen Anhörung durch das Gericht im Freiheitsentziehungsverfahren gelten. Eine audiovisuelle Anhörung ist im Rahmen eines Freiheitsentziehungsverfahrens nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit eines Betroffenen beurteilen zu können, was § 62 Abs. 2 S. 3 AufenthG dem Gericht ausdrücklich vorschreibt. Dies gilt generell und nicht nur für den Fall der Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 1 S. 1 AufenthG. § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG gebietet sogar die persönliche Anhörung eines Betroffenen, der an einer übertragbaren Krankheit leidet, wenn ausreichende Möglichkeiten zum Schutz der Gesundheit des anhörenden Richters verfügbar sind (Bumiller-Harder, 9. Aufl., Rn 8 zu § 420 FamFG). Letztere Auffassung würde neben der Sache liegen, wenn eine Anhörung per Videokonferenz möglich wäre.

Insgesamt hat eine persönliche Anhörung des Betroffenen nicht stattgefunden. Damit ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. [...]