OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2012 - 13 LC 240/10 - asyl.net: M19467
https://www.asyl.net/rsdb/M19467
Leitsatz:

Von der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG erforderlichen Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit kann nicht schon dann nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG abgesehen werden, wenn nach dem Recht des Staates der bisherigen Staatsangehörigkeit die Volljährigkeit Voraussetzung der Aufgabe der Staatsangehörigkeit ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, Altersgrenze, Verlust der Staatsangehörigkeit, Verlust, Staatsangehörigkeit, minderjährig, türkische Staatsangehörigkeit
Normen: RuStAG § 10 Abs 1 S 1 Nr 4, RuStAG § 12 Abs 1 S 1, RuStAG § 12 Abs 1 S 2 Nr 1, RuStAG § 12 Abs 1 S 2 Nr 3
Auszüge:

[...]

Die zulässige Berufung ist begründet. [...]

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, die Kläger zu 2) und 3) unter Hinnahme ihrer Mehrstaatigkeit einzubürgern. [...]

Die Kläger haben keinen Einbürgerungsanspruch aus § 10 StAG. Nach § 10 Abs. 1 StAG hat ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, unter den dort genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung. Dazu gehört nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG, dass er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Von dieser Voraussetzung wird nach § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Davon ist nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG auszugehen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht. Diese Ausnahme gebietet die Hinnahme der Mehrstaatigkeit, wenn ein Staat nach seiner Rechtsordnung den Austritt oder die Entlassung aus der eigenen Staatsangehörigkeit rechtlich verbietet oder nicht kennt.

Nach § 25 des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes - Gesetz Nr. 5901 vom 29.05.2009 (Resmi Gazete Nr. 27256 vom 12.06.2009, deutsche Übersetzung durch Nomer-Ertan/Kossendey in StAZ 2009, 346) - ist Voraussetzung für die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit u.a., dass die betreffende Person volljährig und urteilsfähig ist. Lediglich im Zusammenhang mit der Entlassung ihrer Eltern oder eines Elternteils können Minderjährige die türkische Staatsangehörigkeit verlieren. § 27 Abs. 2 Satz 2 TStAG bestimmt insoweit:

"…Auf Antrag eines Elternteils, der die türkische Staatsangehörigkeit verloren hat, verlieren auch die Kinder zusammen mit dieser Person die türkische Staatsangehörigkeit mit Zustimmung des anderen Elternteils. Wird die Zustimmung verweigert, entscheidet der Richter. Die Kinder von Eltern, die beide die türkische Staatsangehörigkeit durch Entlassungsurkunde verloren haben, verlieren ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit."

Danach ist die Entlassung der minderjährigen Kläger aus ihrer türkischen Staatsangehörigkeit grundsätzlich möglich.

§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG ist nicht auf Fälle anzuwenden, in denen die Aufgabe oder der Verlust der Staatsangehörigkeit an eine bestimmte Altersgrenze geknüpft und daher für eine bestimmte Altersgruppe nicht möglich ist. Bei nach dem Recht des ausländischen Staates grundsätzlich gegebener Entlassungsmöglichkeit stellt der Gesetzeswortlaut der Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG nicht darauf ab, an welche sachlichen Voraussetzungen das Recht des Herkunftsstaates die Aufgabe oder den Verlust der Staatsangehörigkeit knüpft. Er enthält insbesondere keinen Hinweis darauf, dass das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit für alle Staatsangehörige unabhängig von abstrakten Merkmalen wie Alter oder Geschlecht gleichermaßen möglich sein müsse (vgl. Berlit in GK-StAG, § 12, Rdnr. 37, Loseblatt, Stand November 2005; Hailbronner in Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 12, Rdnr. 13; a.A. ohne nähere Begründung: Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, § 87 AuslG, Rdnr. 26).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtfertigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine andere Betrachtungsweise.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend herausgearbeitet hat, geht § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG letztlich zurück auf § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG, der - anknüpfend an die Einbürgerungsrichtlinien (GMBl. 1978, 16) - zusammen mit den übrigen einbürgerungsrechtlichen Vorschriften des Ausländergesetzes durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354) mit Wirkung vom 01.01.1991 eingeführt wurde und folgenden Wortlaut hatte:

"Von der Voraussetzung des § 85 Nr. 1 und des § 86 Abs. 1 Nr. 1 wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Das ist anzunehmen, wenn

1. das Recht des Heimatstaates das Ausscheiden aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht."

Eine Sonderregelung für Minderjährige ohne Entlassungsmöglichkeit enthielt § 87 Abs. 3 AuslG 1990:

"Erfordert die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit die Volljährigkeit des Ausländers, erhält dieser, wenn er nach dem Recht seines Heimatlandes noch minderjährig ist, eine Einbürgerungszusicherung."

Die Gesetzesmaterialien zu § 87 AuslG a.F. enthalten zur Frage der Hinnahme von Mehrstaatigkeit nur allgemeine Ausführungen. Die einzelnen Ausnahmefälle sind nicht näher erläutert (vgl. BT-Drs. 11/6321 S. 47 f., 84). Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 87 Abs. 3 - im Entwurf: § 86 Abs. 2- (BT-Drs 11/ 6321 S. 84):

"Absatz 2 gibt den minderjährigen Ausländern die Garantie, dass sie eingebürgert werden, sobald sie volljährig geworden und aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen sind.",

deutet darauf hin, dass § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990 die nur zeitweise Unmöglichkeit der Entlassung für Minderjährige als Fall des Nichtvorsehens des Ausscheidens aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht erfasst. Wenn Ausländer, die wegen ihrer Minderjährigkeit nicht aus der Staatsangehörigkeit ihres Heimatstaates entlassen werden können, nur eine Einbürgerungszusicherung erhalten, kann schon aus systematischen Gründen das Volljährigkeitserfordernis nicht als Fall der rechtlichen Unmöglichkeit des Ausscheidens aus der Staatsangehörigkeit im Sinne der Nr. 1 verstanden werden. Denn bei einer derartigen Gleichsetzung wäre die betreffende Personen einzubürgern, ohne dass es des Umwegs über eine Einbürgerungszusicherung bedürfte (vgl. Berlit in GK-StAR, § 12, Rdnr 39, Loseblatt, Stand November 2005). Ein Verständnis der in § 87 Abs. 3 AuslG 1990 getroffenen Regelung dahingehend, dass mit ihr ein eigentlich aus § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990 folgender Einbürgerungsanspruch auf einen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung reduziert werden sollte, ist mit der beabsichtigten "Garantie", die auf einen rechtlichen Vorteil hindeutet, nur schwer zu vereinbaren.

Dagegen finden sich in den Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 87 AuslG durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 05.07.1999 (BGBl. I S. 1618) Ausführungen zu einzelnen der aufgelisteten Ausnahmetatbestände (BR-Drs. 188/99, S. 24 f.). Zu § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AuslG, der bis auf die Ersetzung des Begriffs "Heimatstaates" durch den Begriff des "ausländischen Staates" unverändert geblieben ist, heißt es:

"Satz 2 Nr. 1 betrifft die rechtliche Unmöglichkeit der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. Dazu zählt grundsätzlich auch der Fall, dass der Ausländer aus Altersgründen die ausländische Staatsangehörigkeit (noch) nicht aufgeben kann (vgl. aber Abs. 4)."

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend herausgearbeitet hat, beruht der in Klammern gesetzte Hinweis auf Abs. 4 auf einem Redaktionsversehen und meint tatsächlich Abs. 5.

§ 87 Abs. 5 AuslG in der Fassung von Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.07.1999 (BGBl. I S. 1618) hatte folgenden Wortlaut:

"Erfordert die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit die Volljährigkeit des Ausländers und liegen die Voraussetzungen der Absätze 1 bis 4 im Übrigen nicht vor, so erhält der Ausländer, der nach dem Recht seines Heimatstaates noch minderjährig ist, abweichend von Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 eine Einbürgerungszusicherung."

In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu (BR-Drs. 188/99 Seite 26):

"In Absatz 5 wird eine Sonderregelung für Ausländer getroffen, die nur wegen Minderjährigkeit nicht aus der ausländischen Staatsangehörigkeit entlassen werden können. Wie bei der bisherigen Einbürgerungspraxis zu § 87 Abs. 3 AuslG 1990 soll diese Vorschrift nur angewendet werden, wenn nicht mehr als zwei Jahre bis zum Erreichen der Volljährigkeit fehlen, und ansonsten eine Einbürgerung unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit auf der Grundlage von § 8 StAG vorgenommen werden können. In der Regelung wird klargestellt, dass sie eine Abweichung von Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 (Unmöglichkeit der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit) enthält."

Die in der Gesetzesbegründung vertretene Rechtsauffassung, der Fallgruppe der rechtlichen Unmöglichkeit sei auch der Fall zuzuordnen, dass der Ausländer aus Altersgründen die ausländische Staatsangehörigkeit (noch) nicht aufgeben könne, hat in der Formulierung des Abs. 5 ("abweichend von Abs. 2 Satz 1 Nr.1") durchaus ihren Niederschlag gefunden (a.A. Berlit, a.a.O., § 12, Rdnr 38), so dass die damalige Intention des Gesetzgebers auf eine Einschränkung des § 87 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG hinauslief.

Durch Artikel 5 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) wurden die Einbürgerungsvorschriften des bisherigen Ausländergesetzes systematisch folgerichtig in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert. Hierbei wurde die Regelung des § 87 Abs. 5 AuslG in der Fassung des Staatsangehörigkeitsreformgesetzes mit folgender Begründung (BT-Drs. 15/420, Seite 116) nicht übernommen:

"Die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung an Minderjährige, die nach dem Recht ihres Herkunftsstaats erst nach Erreichen der Volljährigkeit ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben können (§ 87 Abs. 5 AuslG), hat sich in der Praxis nicht bewährt. Da die Einbürgerungszusicherung unter dem Vorbehalt des Gleichbleibens der Sach- und Rechtslage erteilt wird, ist nach Erreichen der Volljährigkeit neu zu prüfen, ob die Einbürgerungsvoraussetzungen weiterhin gegeben sind. Durch den Wegfall dieser Regelung können Einbürgerungsverfahren ohne Nachteile für die Betroffenen vereinfacht und beschleunigt und Verwaltungskosten eingespart werden."

Dieser Begründung kann - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht ohne weiteres entnommen werden, dass mit dem Wegfall der Sonderregelung "Einbürgerungszusicherung" wieder zum Normalfall "Einbürgerung" zurückgekehrt werden sollte. Vielmehr lässt sich unter Berücksichtigung der bisherigen Entstehungsgeschichte der Vorschrift mit gleicher Berechtigung der Schluss ziehen, mit dem Wegfall des Privilegs der Einbürgerungszusicherung solle zum Regelfall des Abwartens der Volljährigkeit des betreffenden Einbürgerungsbewerbers zurückgekehrt werden. Jedenfalls hätte ein abweichender Wille des Gesetzgebers keinen Niederschlag im Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG gefunden.

Für die Interpretation des gesetzgeberischen Willens durch das Verwaltungsgericht spricht allerdings der Inhalt der im Gesetzgebungsverfahren von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Änderungsanträge. Dort heißt es u.a. (BT-Drs. 15/955 Seite 41):

"109. Zu Artikel 5 Nr. 8 (§ 12 Abs. 5 – neu – StAG)

In Artikel 5 Nr. 8 ist dem § 12 folgender Absatz 5 anzufügen:

"(5) Erfordert die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit die Volljährigkeit des Ausländers und liegen die Voraussetzungen der Absätze 1 bis 4 im Übrigen nicht vor, so erhält ein Ausländer, der nach dem Recht seines Heimatstaates noch minderjährig ist, abweichend von Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 eine Einbürgerungszusicherung. Kann der Ausländer die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nach Heimatrecht erst beantragen, wenn er ein Lebensalter erreicht hat, das über dem ausländischen Volljährigkeitsalter liegt, darf die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nur unter der Auflage erfolgen, dass der Eingebürgerte die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit betreibt, sobald er das für die Antragstellung vorgesehene Lebensalter erreicht hat."

Begründung:

Die Streichung des bisherigen § 87 Abs. 5 Ausländergesetz ist nicht gerechtfertigt. Damit soll wiederum für einen größeren Personenkreis Mehrstaatigkeit generell hingenommen werden. Die Argumentation in der Begründung, nach Erreichen der Volljährigkeit müsste neu geprüft werden, ob die Einbürgerungsvoraussetzungen weiterhin gegeben sind, verkennt, dass diese Neuprüfung bei Ablauf jeder Einbürgerungszusicherung erforderlich ist. Mit dieser Argumentation dürfte überhaupt keine Einbürgerungszusicherung mehr ausgestellt werden.

Außerdem werden bisher bereits Einbürgerungszusicherungen für Minderjährige immer dann ausgestellt, wenn bis zum Erreichen des Volljährigkeitsalters zwei Jahre oder weniger Zeit verbleiben. Bei der Einbürgerung von unter 16 Jahre alten Einbürgerungsbewerbern ist der Verwaltungsaufwand verhältnismäßig gering, weil es sich in diesen regelmäßig um eine Miteinbürgerung von Kindern handelt, wobei der Prüfungsaufwand sehr reduziert ist. Die alleinige Einbürgerung von Minderjährigen unter 16 Jahren kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Zu bedenken bleibt dabei auch, dass mit der Streichung des § 87 Abs. 5 AuslG bei der Einbürgerung einer Familie zwar die minderjährigen Kinder häufig ohne Entlassungsnachweis aus der bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert werden, die Eltern der Kinder jedoch entlassen werden und im Gegensatz zu ihren Kindern die rechtliche Trennung von ihrem bisherigen Heimatstaat vollzogen haben."

Mit diesem Änderungsantrag hat sich die Fraktion der CDU/CSU allerdings nicht durchsetzen können, es blieb bei der ersatzlosen Streichung der Regelung des § 87 Abs. 5 AuslG.

Insgesamt lässt die Entstehungsgeschichte keinen eindeutigen gesetzgeberischen Willen erkennen. Es sind sowohl Gesichtpunkte ersichtlich, die für eine Ausdehnung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG auf die (zeitweilige) Unmöglichkeit der Aufgabe der Staatsangehörigen durch einen Minderjährigen sprechen, als auch solche, die einer derartigen Interpretation entgegenstehen. Ist dies aber so, können aus der Entstehungsgeschichte keine Argumente hergeleitet werden, die sich gegen Wortlaut und systematische Einbettung der Vorschrift durchzusetzen vermögen. Wie dargelegt, unterfällt die lediglich zeitweilige Unmöglichkeit der Aufgabe der Staatsbürgerschaft nach diesen Kriterien nicht der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG.

Ein Anspruch auf Einbürgerung der Kläger unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit ergibt sich auch nicht aus der weiteren Ausnahmevorschrift § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 2. Alt StAG. Nach dieser Bestimmung sind besonders schwierige Bedingungen bei der Aufgabe der Staatsangehörigkeit dann anzunehmen, wenn der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht.

Der Herkunftsstaat macht die Entlassung dann von unzumutbaren Bedingungen abhängig, wenn dieser bei einer normativ geleiteten Betrachtung nicht mehr als sachgerecht anzuerkennen sind. Der Begriff der unzumutbaren Bedingungen unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und eröffnet der Einbürgerungsbehörde keinen Beurteilungsspielraum. Es ist keine abstrakte Bewertung der Berechtigung des Herkunftsstaates zur Gestaltung der Entlassungsvoraussetzungen vorzunehmen. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Einbürgerungsbewerber nach seinen konkreten Verhältnissen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Erfüllung der Entlassungsbedingungen nach Maßgabe eines objektivierenden normativen Maßstabs aus nationaler Sicht zuzumuten ist. Die bloß subjektiv definierte Unzumutbarkeit reicht dabei allerdings nicht aus. Auf der anderen Seite schließt allein der Umstand, dass eine Entlassungsbedingung dem Grunde nach in rechtsvergleichender Sicht jedenfalls nicht unüblich ist und den Rahmen des in der Staatenpraxis Üblichen wahrt, deren Unzumutbarkeit im Einzelfall nicht aus (vgl. Berlit, a.a.O., § 12 StAG, Rdnrn. 106 ff). Bei Anwendung dieser Grundsätze können die Kläger nicht geltend machen, die Türkei mache ihre Entlassung aus der Staatsbürgerschaft von einer unzumutbaren Bedingung abhängig.

Grundsätzlich bestehen gegen die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit erst mit Erreichen der Volljährigkeitsgrenze bzw. gemeinsam mit den Eltern keine durchgreifenden Einwände. Die erste Bedingung trägt der Urteilsfähigkeit des um Entlassung aus der Staatsbürgerschaft Nachsuchenden Rechnung, die zweite der staatsangehörigkeitsrechtlich einheitlichen Behandlung einer Familie. Bei minderjährigen Ausländern kann das Entlassungserfordernis des Erreichens der Volljährigkeit jedoch eine unzumutbare Bedingung darstellen, wenn das Kind im Bundesgebiet geboren und bislang aufgewachsen ist, es keinerlei konkrete Verbindung zum Herkunftsstaat aufweist, es noch weit von der Volljährigkeitsgrenze entfernt ist und die im Bundesgebiet lebenden Eltern bereits unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert worden sind oder werden können. In diesen Fällen spricht der Gedanke der staatsangehörigkeitsrechtlichen Familieneinheit für dessen Entlassung aus der Staatsbürgerschaft (vgl. Berlit, a.a.O., Rdnr. 166). Dieser Gesichtspunkt streitet im vorliegenden Fall jedoch nicht für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Die Einbürgerung der Mutter der Kläger, die überdies nicht unter Beibehaltung ihrer türkischen Staatsangehörigkeit erfolgen könnte, scheitert bislang an ihren nicht ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache. Durch Einbürgerung ihrer Kinder wäre für eine staatsangehörigkeitrechtlich einheitliche Behandlung der Familie nichts gewonnen. Hinzu kommt, dass der Kläger zu 2) in wenigen Tagen sein 18. Lebensjahr vollenden wird, sein Alter der Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit mithin nicht mehr entgegensteht. Für ihn ist ein weiteres Zuwarten schon aus diesem Grunde zumutbar.

Schließlich scheidet auch ein Rückgriff auf die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG aus. Selbst wenn man diese Norm als Auffanggeneralklausel ansieht (so Berlit a.a.O., Rdnr. 23 ff.; a.A.: Hailbronner a.a.O., Rdnrn. 8 ff.), kann nach den vorstehenden Äußerungen nicht von besonders schwierigen Bedingungen ausgegangen werden, unter denen die Kläger ihre türkische Staatsangehörigkeit aufgeben könnten. Derartige Bedingungen sind hier auch auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung nicht gegeben. Gesichtspunkte, die - wie hier - der Art nach von einer der Fallgruppen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 StAG erfasst werden, im Ergebnis je für sich aber den Verzicht auf die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG nicht rechtfertigen, können in ihrer Gesamtheit allenfalls in atypischen Sondersituationen ein Absehen von dieser Voraussetzung erlauben (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. Juni 2010 - 5 C 9.10 -, BVerwGE 137, 237). Hierfür ist im vorliegenden Fall aber nichts ersichtlich.

Kommt mithin eine Einbürgerung der Kläger nach § 10 StAG unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht in Betracht, so scheidet auch eine Einbürgerung auf der Grundlage des § 8 StAG aus, da im Hinblick auf die Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei einer Ermessenseinbürgerung vergleichbare Anforderungen bestehen (vgl. zum Ganzen: Marx in GK-StAG, § 8, Rdnrn. 213 ff., Loseblatt, Stand Mai 2006). Darauf ist in dem angefochtenen Bescheid zutreffend hingewiesen worden. Insbesondere erfüllen die Kläger nicht die Voraussetzungen, unter denen Nr. 8.1.2.6.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern - Stand 17. April 2009 - die vorübergehende Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorsehen.

Die Versagung der Einbürgerung stellt auch keinen Verstoß gegen das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (BGBl 2004 II S. 578) dar. Nach dessen Art. 6 Buchst. e ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, in seinem innerstaatlichen Recht Personen, die in seinem Hoheitsgebiet geboren sind und dort rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, den Erwerb seiner Staatsangehörigkeit zu erleichtern. Dieser völkerrechtliche Vertrag richtet sich seinem Wortlaut nach an den nationalen Gesetzgeber, der die Verpflichtung durch innerstaatliche Rechtsakte konkretisieren muss. Die genannte Bestimmung vermittelt dem Einzelnen jedoch keinen Einbürgerungsanspruch (vgl. ausführlich VG Oldenburg, Urt. v. 13. Dezember 2010 - 11 A 249/10 - Juris, Rdnr. 21). Im Übrigen enthält das Übereinkommen keine Verpflichtung des einzelnen Vertragsstaats zur verstärkten Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Denn Art. 15 Buchst. b des Übereinkommens regelt ausdrücklich, dass dieses nicht das Recht eines Vertragsstaats beschränkt, in seinem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, ob der Erwerb oder die Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängt (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 2. August 2011 - Au 1 K 11.736 -, Juris, Rdnr. 16).