OVG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.02.2012 - 3 Bs 126/10 - asyl.net: M19545
https://www.asyl.net/rsdb/M19545
Leitsatz:

1. Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kommt nicht in Betracht, wenn die Aufenthaltserlaubnis zwar wegen der Schutzwirkungen einer Ehe gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, nicht aber nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zwecke des Ehegattennachzugs erteilt wurde.

2. Der (nur) gesetzliche Vater eines deutschen Kindes kann sich auf die mögliche (ausländerrechtliche) Schutzwirkung des Art. 6 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRG für die Anbahnung einer tatsächlichen Verbundenheit mit dem Kind nicht mit Erfolg berufen, wenn aus den dargelegten Umständen ein ernsthaftes Bemühen um das tatsächliche Ausfüllen der Vaterrolle nicht hinreichend glaubhaft wird.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausweisung, Vaterschaft, Eltern-Kind-Verhältnis, Umgangsrecht, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Schutz von Ehe und Familie,
Normen: GG Art. 6, EMRK Art. 8 Abs. 1, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26. Mai 2010, soweit sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (8 K 676/10) gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 29. September 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2010, mit denen sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden war, abgelehnt wurde, ist nicht begründet. Die mit dem Beschwerdevorbringen dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ausschließlich zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. [...]

b) Der Antragsteller wendet gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein, es lägen, wie bereits im Widerspruchsverfahren dargelegt und mit ausreichenden Beweismitteln belegt, Gründe für eine besondere Härte im Sinne des § 31 AufenthG vor. Das Verhalten seiner Ehefrau ihm gegenüber sei kriminell. Es verstoße gegen europarechtliche Vorgaben und die EMRK, wenn einem rechtmäßig verheirateten Ausländer Beschränkungen auferlegt würden, die ihre Ursache nicht im Bereich der Ehe hätten. Die Ausweisung aus dem Jahr 2002, die von der Antragsgegnerin wegen der Ehe bisher nicht genutzt worden sei, könne nunmehr acht Jahre später keinen höheren Rang mehr erhalten. Die Wirkung der Ausweisung könne in diesem Zeitraum nicht steigen, sondern in der Bedeutung nur absinken. Im Übrigen sähen Vorgaben des Europarechts eine Berücksichtigung einer besonderen Härte in jedem Fall vor.

Aus diesem Vorbringen ergeben sich im Ergebnis jedoch keine Zweifel an der Auffassung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers lägen nicht vor. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt sowohl in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung als auch in der seit dem 1. Juli 2011 gültigen Fassung eine "Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten" voraus. Eine solche liegt nur vor, wenn sie dem Ehegatten nach den Vorschriften des 6. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2007, BVerwGE 129, 226). Die dem Antragsteller aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis erfüllt diese Voraussetzung nicht (vgl. BVerwG, a. a. O.).

Aus den Ausführungen des Antragstellers lässt sich schließlich nichts dafür entnehmen, dass die Nichtanwendung des § 31 AufenthG wegen einer fehlenden Voraussetzung im vorliegenden Fall gegen – vom Antragsteller nicht näher bezeichnete - Vorgaben des Europarechts verstoßen könnte.

c) Der Antragsteller macht weiter geltend, er gehe selbstverständlich davon aus, Vater des Kindes zu sein. Er sei mit dem Jugendamt in Kontakt getreten und habe auf eine Umgangsregelung gedrängt. In der Zwischenzeit sei auch ein gerichtlicher Antrag auf Umgangsregelung beim Familiengericht eingereicht worden. Das Verhalten seiner Ehefrau sei von Egoismus geprägt. Die Folgen müsse er aufenthaltsrechtlich "ausbaden". Er habe keine Möglichkeiten auf sie einzuwirken. Er sei ihrem Verhalten ausgeliefert. Diese Umstände könnten ihm nicht vorgeworfen werden. Insoweit stelle sich eine Verpflichtung zur Ausreise gegenwärtig als Verstoß gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK dar. Die Argumente hätten jedenfalls einen höheren Rang als die öffentlichen Interessen. Es lägen keine öffentlichen Interessen außerhalb der gesetzlichen Regelung vor. Auf der anderen Seite sei eine unklare familienrechtliche Situation gegeben, deren Klärung nicht durch den aufenthaltsrechtlichen Status beeinflusst werden sollte und dürfe. Aus diesem Grund seien die privaten Belange höherwertig.

Das Vorliegen eines rechtlichen Ausreisehindernisses im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG wird mit diesem Vorbringen nicht dargetan. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009, NVwZ 2009, 387) ausgeführt hat, entfaltet Art. 6 GG ausländerrechtliche Schutzwirkungen zugunsten des Antragstellers nicht schon aufgrund seiner Eigenschaft als bloß gesetzlicher Vater des am 26. Juli 2009 geborenen Kindes seiner Ehefrau (angesichts der bereits Anfang 2008 erfolgten Trennung von seiner Ehefrau und ihrer Erklärung gegenüber der zuständigen Standesbeamtin, der Antragsteller sei nicht Vater des Kindes, spricht wenig dafür, dass er auch der biologische Vater des Kindes sein könnte). Weder der Schutz der Familie nach Art. 6 GG noch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK gewähren einen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, BVerwGE 138, 371). Vielmehr verpflichten diese Normen die Behörden, familiäre Bindungen des Ausländers entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zu berücksichtigen. Hierzu bedarf es grundsätzlich einer einzelfallbezogenen Abwägung der betroffenen familiären Belange mit gegenläufigen öffentlichen Interessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots. Bei der Bewertung entscheidend ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, die bei dem persönlichen Kontakt eines Elternteils mit dem Kind als Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes getragen sein muss (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009, NVwZ 2009, 387). Eine gelebte Vater-Kind-Beziehung des Antragstellers lässt sich jedoch nicht feststellen.

Möglicherweise kann die Schutzwirkung des Art. 6 GG (und des Art. 8 Abs. 1 EMRK) ausnahmsweise auch schon dann zu berücksichtigen sein, wenn eine tatsächliche Verbundenheit im o. a. Sinn ernsthaft erst angebahnt werden soll (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 31.7.2006, 19 E 1356/05). Entscheidend für die Beurteilung einer aus Art. 6 Abs. 1 GG ableitbaren Vorwirkung wäre dabei jedenfalls, ob tatsächlich die Vaterrolle ausgefüllt werden soll oder diese lediglich zu aufenthaltsrechtlichen Zwecken vorgeschoben wird. Mit seinem Beschwerdevorbringen legt der Antragsteller nicht dar, dass er entgegen der (begründeten) Auffassung des Verwaltungsgerichts ernsthaft einen Umgang zu "seinem" Kind anstrebt, das von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes getragen wird.

Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller sei bei seinem Bemühen um eine Umgangsregelung weitgehend untätig geblieben, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass er nunmehr - nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts - mit Schriftsatz vom 30. Juni 2010 im Rahmen des Scheidungsverfahrens einen Antrag auf Umgang mit dem Kind gestellt hat. Eine die Schutzwirkung des Art. 6 GG vermittelnde gelebte Vaterschaft dürfte nicht ernsthaft beabsichtigt sein. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass er seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nachgekommen ist oder zumindest nachzukommen versucht hat. Auch hat er einen tatsächlichen Kontakt mit dem Kind nicht behauptet und auch nicht Art und Umfang seiner (vergeblichen) Bemühungen darum dargelegt. Schließlich zeugt der bloße Antrag, ihm ein vierstündiges Zusammensein an jedem zweiten Wochenende und an jedem zweiten Feiertag zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten zu ermöglichen, weil er aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, häufigere Termine wahrzunehmen, nicht davon, dass er eine gelebte Vaterschaft ernsthaft beabsichtigt. Weitergehende Bemühungen um tatsächliche Kontakte zu dem Kind sind nicht behauptet worden. [...]