AG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
AG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.06.2012 - 470 F 16002/12 AD - asyl.net: M19928
https://www.asyl.net/rsdb/M19928
Leitsatz:

1. Die Kindeswohlprüfung im Rahmen eines Umwandlungsverfahrens nach § 3 I 1 Nr. 1 AdWirkG ist allein darauf bezogen, ob die Veränderung der Adoptionswirkungen im Interesse des Kindes liegen. Eine Kindeswohlprüfung wie bei einer Annahme als Kind nach §§ 1741ff. BGB muss nicht stattfinden.

2. Für die Zustimmung eines leiblichen Elternteils nach § 3 I 1 Nr. 2 AdWirkG genügt es, wenn dieser Elternteil die Zustimmung zur Adoption im ausländischen Verfahren erteilt hat. Ob diese Zustimmungserklärung den qualifizierten Inhalt nach § 3 I 1 Nr. 2 AdWirkG hat, ist durch Auslegung zu ermitteln.

3. Einer persönlichen Anhörung eines leiblichen Elternteils nach § 160 I 1 FamFG bedarf es nicht, wenn dieser Elternteil schon seine Zustimmung zur Adoption erteilt hat.

4. Verfahren nach dem Adoptionswirkungsgesetz sind Familiensachen kraft Sachzusammenhang. Dementsprechend bedarf es einer Kostenentscheidung nach § 81 I 3 FamFG (entgegen OLG Hamm, ZKJ 2012, 233).

Schlagwörter: Kindeswohl, Umwandlungsverfahren, Adoptionswirkungen, Adoption, Auslandsadoption, Adoption im Ausland, Ausland, leibliche Eltern, persönliche Anhörung, Familiensachen,
Normen: AdWirkG § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, BGB § 1741, BGB §§ 1741ff., AdWirkG § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, FamFG § 160 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin beantragt mit notarieller Urkunde vom 03.11.2011 die Anerkennung und Umwandlung der ausländischen Entscheidung nach den Vorschriften des Adoptionswirkungsgesetzes.

1. Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist für die vorliegende Entscheidung gemäß § 5 Abs. 1 AdWirkG, §§ 101, 187 Abs. 1 FamFG international und örtlich zuständig.

2. Die materielle Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung richtet sich ausschließlich nach § 109 FamFG in Verbindung mit dem Adoptionswirkungsgesetz, da die Republik Haiti kein Vertragsstaat des Haager Adoptionsübereinkommens vom 29. Mai 1993 ist.

3. Die ausländische Entscheidung ist anzuerkennen, da unter Einbeziehung der Stellungnahme der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption insbesondere kein Verstoß gegen den deutschen ordre public gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG festzustellen ist. Maßgeblich ist im Verfahren, das zu der haitianischen Entscheidung geführt hat, in ausreichendem Maße das Kindeswohl geprüft und berücksichtigt worden.

4. Die Wirkungen des haitianischen Annahmeverhältnisses stehen den Wirkungen einer Adoption nach deutschen Sachvorschriften nicht gleich. Insbesondere werden nach dem haitianischen Recht die Bindungen zu der Herkunftsfamilie nicht vollständig beendet (vgl. § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AdWirkG). Dementsprechend ist auch über den hilfsweise gestellten Antrag auf Umwandlung der ausländischen Adoption nach § 3 AdWirkG zu entscheiden.

a) Voraussetzung für die Umwandlung nach § 3 AdWirkG ist zunächst, dass die Annahme dem Kindeswohl entspricht (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AdWirkG).

Nach Überzeugung des Gerichts kommt es bei dieser Prüfung jedoch nicht zu einer Wiederholung der schon im Vorfeld des haitianischen Verfahrens durchgeführten Ermittlungen oder zu einer Prüfung des Kindeswohls wie bei einer deutschen Annahme als Kind nach §§ 1741ff. GB. Vielmehr ist bei der Umwandlungsentscheidung ausschließlich zu klären, ob die Änderung der Wirkungen der ausländischen Adoption zu den Wirkungen einer Annahme als Kind nach deutschem Recht dem Kind Vorteile bringt oder ob es für die Entwicklung und die Rechtsstellung des Kindes besser wäre, wenn es zu seiner bisherige Familie weiterhin eine Rechtsbeziehung gemäß den ausländischen Adoptionswirkungen behält.

aa) Diese Auslegung von § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AdWirkG folgt schon aus der Betrachtung der Gesetzgebungsgeschichte. Das deutsche Adoptionswirkungsgesetz trat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Haager Adoptionsübereinkommens in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es ausdrücklich, sowohl für Adoptionen aus Mitgliedsstaaten als auch für Adoptionen aus Nichtmitgliedsstaaten Regelungen zur Anerkennung und Umwandlung wie in Art. 23ff. HAÜ zu schaffen (BT-Drucks. 14/6011, S. 46). Auch für Kinder aus Nichtmitgliedsstaaten sollte in Deutschland eine Möglichkeit geschaffen werden, die Rechtsstellung zu erlangen wie ein Kind welches in Deutschland angenommen worden wäre. Dabei stellt § 3 AdWirkG eine Konkretisierung von Art. 27 HAÜ dar (BT-Drucks. 14/6011, S. 47). In Art. 27 HAÜ wird aber gerade die Prüfung des Kindeswohls im Sinne einer erneuten Elterneignungsprüfung im Zeitpunkt der Umwandlungsentscheidung nicht gefordert. Vielmehr steht das Vorliegen oder das Einholen der erforderlichen Zustimmungen im Vordergrund (Art. 27 Abs. 1 lit. b) HAÜ), was auch in der deutschen Regelung in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2, 3 AdWirkG zum Ausdruck kommt.

bb) Des Weiteren sprechen auch die im Adoptionswirkungsgesetz vorgenommenen Verweisungen zum durchzuführenden Verfahren gegen eine erneute Kindeswohlprüfung wie bei einer deutschen Annahme als Kind. Denn wenn der Gesetzgeber eine erneute Kindeswohlprüfung im obigen Sinne gewollt hätte, dann wäre in § 5 AdWirkG auch auf § 189 FamFG verwiesen worden. Denn maßgebliche Verfahrensnorm zur Ermittlung des Kindeswohls nach § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Einholung einer fachlichen Äußerung durch die Adoptionsvermittlungsstelle oder durch das örtliche Jugendamt. Der Gesetzgeber beließ es bei der Abfassung des Adoptionswirkungsgesetzes jedoch bei der Bestimmung, dass das örtliche Jugendamt und die zentrale Adoptionsstelle des Landesjugendamtes "zu beteiligen" sind (§ 5 Abs. 3 S. 4 AdWirkG). Eine verfahrensrechtliche Beteiligung ist aber etwas grundsätzlich Anderes als eine gutachterliche fachliche Beurteilung.

cc) Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck der Umwandlungsvorschrift in § 3 AdWirkG gegen eine vollständig neue Prüfung des Kindeswohls wie bei § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB. Denn alleiniges Ziel einer Umwandlung ist die Herstellung einer stärkeren Wirkung als nach dem ausländischen Adoptionsrecht. Es spielt für die bloße Anpassung der Wirkung jedoch keine Rolle, ob die Adoptierenden zur Adoption des Kindes geeignet sind, ob die Kinderinteressen bei der Adoption ausreichend berücksichtigt wurden oder ob ein Adoptionsbedürfnis besteht. Diese Prüfung sollte schon im Vorfeld der ausländischen Adoptionsentscheidung stattgefunden haben und wenn dies nicht der Fall gewesen ist, so würde dies schon gegen eine Anerkennung nach § 2 AdWirkG sprechen (ebenso: Maurer in: MüKo, 6. Aufl. 2012, Anhang zu § 1752 BGB, § 3 AdWirkG Rn. 5). Es darf zudem nicht vergessen werden, dass das rechtliche Verhältnis zwischen dem Adoptierenden und dem Adoptivkind schon durch die ausländische Entscheidung hinreichend geklärt ist. Denn auch bei einer anerkannten sog. schwachen Adoption im Sinne von § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AdWirkG hat der Adoptierende schon die maßgeblichen Pflichten zur umfassende Sorge für das Kind und zur Leistung von Unterhalt. Die sich an das Anerkennungsverfahren anschließende Prüfung im Umwandlungsverfahren ändert an den schon aufgrund der ausländischen Entscheidung entstandenen Wirkungen in Bezug auf den Adoptierenden nichts mehr. Dementsprechend wäre auch eine inhaltliche Prüfung der tatsächlichen Beziehung zwischen Adoptierendem und dem Kind nicht weiterführend.

b) Die Vorschrift in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AdWirkG ist hiernach ausschließlich auf die intendierten neuen Wirkungen nach dem deutschen Adoptionsrecht bezogen. Um zu entscheiden, ob eine Umwandlung den Kinderinteressen dient, bedarf es daher eines Vergleichs der Rechtsstellung des Kindes aufgrund der ausländischen Entscheidung mit der Rechtsstellung, welche das Kind durch die Umwandlung erreichen würde.

Nach dem haitianischen Recht bleibt zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern eine maßgebliche Rechtsbeziehung bestehen, während nach dem deutschen Recht das Verwandtschaftsverhältnis zu der bisherigen Familie mit sämtlichen damit verbundenen Rechten und Pflichten erlischt (§ 1755 BGB). Im haitianischen Recht verbleiben dem Kind in Bezug auf das Erbrecht und Unterhaltsrecht sämtliche Rechte gegenüber seinen leiblichen Eltern erhalten (Art. 16 und Art. 21 des haitianischen Dekrets über Adoptionen - in Übersetzung abgedruckt in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht - Länderteil Haiti). Auf der anderen Seite schuldet das Kind seinen leiblichen Eltern unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin Unterhalt (Art. 21 Abs. 2 des o.g. haitianischen Adoptionsdekrets). Hinzu kommt, dass gemäß Art. 17 Abs. 2 des haitianischen Adoptionsdekrets die elterliche Sorge für das Kind bei einem Ableben des Adoptierenden von Gesetzes wegen wieder den leiblichen Eltern zusteht.

Gerade der letzte Punkt entspricht aber im vorliegenden Fall eindeutig nicht dem Kindeswohl. Denn Ziel sollte es sein, dem Kind nach den mehrmaligen Brüchen in seiner Biografie nunmehr Rechtssicherheit zu geben und auch seine tatsächliche Lebenssituation mit der vollständigen Einbindung in einer neuen Familie unter Abbruch der rechtlichen Beziehungen zu seiner vormaligen Familie zu sichern. Es wäre auch nicht dem Kindeswohl zuträglich, wenn die leiblichen Eltern oder deren Familie nunmehr gegenüber dem Kind monetäre (Unterhalts-) Ansprüche geltend machen könnte, was nach dem haitianischen Recht weiterhin möglich zu sein scheint. Aus der Gesamtschau bringt die Umwandlung dem Kind also tatsächliche Vorteile und Sicherheit in seiner neuen Lebenssituation. Sie entspricht daher dem Kindeswohl nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AdWirkG.

5. Weitere Voraussetzung für die Umwandlung ist das Vorliegen der erforderlichen Zustimmungen zu einer Annahme mit einer das Eltern-Kind-Verhältnis beendenden Wirkung (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AdWirkG).

a) Adressaten dieser Regelung sind neben dem Kind vornehmlich die leiblichen Eltern des Kindes (BT-Drucks. 14/6011, S. 47). Im Rahmen des Umwandlungsverfahrens ist daher zu prüfen, ob erstens überhaupt Eltern bekannt sind, ob zweitens eine Zustimmungserklärung nach dem Recht des Herkunftsstaates des Kindes von den Eltern gefordert wird (oder auf eine solche nach bestimmten Voraussetzungen verzichtet werden kann) und ob drittens eine Erklärung mit dem qualifizierten Inhalt des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AdWirkG abgegeben worden ist. Dabei genügt es, wenn die entsprechenden Erklärungen im Zeitpunkt des ausländischen Verfahrens erklärt worden sind (vgl. Nr. 483 des Erläuternden Berichts zum Haager Adoptionsübereinkommen - Anlage 2 zur Denkschrift, BT-Drucks. 14/5437). Eine Wiederholung im Umwandlungsverfahren von schon erfolgten ausreichenden Zustimmungen bedarf es nicht. Dabei können schon erfolgte Erklärungen im ausländischen Adoptionsverfahren ausgelegt werden (Weitzel in: NomosKommentar, 1. Aufl. 2012, § 3 Rn. 6). Der exakte Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AdWirkG muss in der jeweiligen Zustimmungserklärung nicht enthalten sein.

Im vorliegenden haitianischen Verfahren hat die leibliche Mutter des Kindes ausweislich des Protokolls des Friedensgerichts des Bezirks Nord in Port-au-Prince am 24.01.2011 in die Adoption des Kindes durch die Antragstellerin eingewilligt. Diese Aussage hat sie offensichtlich nicht unter Bedingungen getroffen. Es war ihr auch bekannt, dass das Kind aufgrund der Adoption ins Ausland geht und dass die tatsächlichen Beziehungen zum Kind daher aufgehoben bzw. erheblich erschwert werden. Bei einer realistischen Auslegung der Erklärung wollte die leibliche Mutter das Kind daher auf Dauer in die Obhut der Antragstellerin geben. Es kann aus der Gesamtschau der beschriebenen Lebensverhältnisse als ausgeschlossen gelten, dass die leibliche Mutter weiterhin Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind behalten wollte. Die Zustimmungserklärung ist daher ausreichend im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AdWirkG.

b) Da der leibliche Vater unbekannt ist und das Kind, vertreten durch die Antragstellerin, in der notariellen Urkunde vom 03.11.2011 in die Umwandlung eingewilligt hat (vgl. § 3 Abs. 1 S. 3 AdWirkG), ist die formelle Voraussetzung der Erteilung der erforderlichen Zustimmungen in § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AdWirkG erfüllt.

6. Schließlich dürfen der Umwandlung auch keine maßgeblichen Interessen des Ehegatten des Annehmenden oder von Kindern des Annehmenden entgegenstehen (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AdWirkG). Die Antragstellerin ist zwar mittlerweile verheiratet und hat mit ihrem Ehemann ein 10-monatiges leibliches Kind. Es sind jedoch keine maßgeblichen entgegenstehenden Interessen von diesen Personen ersichtlich.

7. Die Antragstellerin wurde als Verfahrensbeteiligte gemäß §§ 7 Abs. 1, 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG persönlich angehört. Eine persönliche Anhörung des Kindes konnte demgegenüber gemäß § 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG i.V.m. § 159 Abs. 2 FamFG ebenso unterbleiben wie eine persönliche Anhörung der leiblichen Mutter nach § 5 Abs. 3 S. 2 AdWirkG i.V.m. § 160 Abs. 1 S. 1 FamFG. Da die leibliche Mutter des Kindes vor dem Friedensgericht in Port-au-Prince schon ihre Zustimmung erteilt hat, ist es weder zur Gewährung rechtlichen Gehörs noch zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts nach § 26 FamFG erforderlich, sich einen persönlichen Eindruck von dieser zu verschaffen oder weitergehend zu befragen. [...]