VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 25.07.2012 - 7 A 275/10 - asyl.net: M20044
https://www.asyl.net/rsdb/M20044
Leitsatz:

Einer Ruanderin, die im Falle ihrer Rückkehr als Regimegegnerin wahrgenommen werden würde, droht Inhaftierung und körperliche Gewalt seitens der ruandischen Sicherheitskräfte.

Schlagwörter: Ruanda, Regimegegner, Sicherheitskräfte, politische Verfolgung, Inhaftierung, Hutu, Kritik,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, GG Art. 16a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht, dass sie bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch Inhaftierung und körperliche Gewalt seitens der ruandischen Sicherheitskräfte bedroht ist. Es ist davon auszugehen, dass die Sicherheitsbehörden in Ruanda sie im Falle ihrer Rückkehr als Regimegegnerin behandeln würden. Dies ergibt sich aus den Gesamtumständen ihres Vortrags. Danach hat sie sich bereits während ihres Studiums kritisch geäußert und diese Einstellung durch ein Interview anlässlich einer Demonstration gegen die Festnahme von Rose Kabuye vor dem deutschen Konsulat in Kigali bestätigt. Diese Tatsachen dürften auch den ruandischen Sicherheitsbehörden bei einer Rückkehr der Klägerin bekannt werden, soweit sie dies nicht schon sind, denn bei einer Einreise nach Ruanda wird sie von ruandischen Geheimdiensten zu ihren Fluchtgründen befragt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13.04.2007 an das VG Minden). Den Sicherheitsbehörden wird auch regelmäßig willkürliches Vorgehen und das Begehen von Menschenrechtsverstößen vorgeworfen (GIGA an das VG Frankfurt am Main vom 24.09.2009). Das Gericht geht davon aus, das sowohl die Proteste während des Studiums als auch das anlässlich der Demonstration gegebene Interview als Opponieren gegen den Staatsapparat gewertet wird, wie sich unter anderem an der unmittelbar danach erfolgten Festnahme der Klägerin zeigt. Diese bereits aufgrund der in Ruanda ereigneten Geschehnisse erfolgende Bewertung und Einstufung der Klägerin durch die ruandischen Sicherheitsbehörden wird durch das Bekanntwerden des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags voraussichtlich noch bestätigt und verstärkt werden. Insoweit weist bereits das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 16.11.2010 gegenüber der Beklagten daraufhin, dass eine Befragung des Arbeitgebers der Klägerin in Ruanda nicht möglich sei, weil sich auch die Polizei- und Nachrichtendienste für solche Fälle interessieren und informiert würden; sobald Nachfragen gestellt würden. Jede ernstzunehmende Opposition wird jedoch durch die ruandische Regierung auch unter Einsatz asylerheblicher Maßnahmen zu unterbinden versucht (vgl. Urteil des Gerichts vom 24.02.2010 - 7 A 247/08 - unter Hinweis auf OVG Münster, Urteil vom 28.10.2008 - 11 A 1586/06.A -, juris).

Die Beklagte hat selbst in dem Bescheid vom 01.12.2010 ausgeführt, dass der Vortag der Klägerin zu den Protesten über die Sprachreform detailliert und glaubhaft war. Dieser Ansicht schließt sich das Gericht an. Das Gericht hält auch das weitere Vorbringen der Kläger, sich geweigert zu haben, an den Protesten gegen den Erlass des Haftbefehls durch den französischen Ermittlungsrichter Bruguiére teilgenommen zu haben, für glaubhaft. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auch erklärt, warum ihr vorgeworfen worden sei, Angehörige eines Genozidverantwortlichen zu sein. Sie hat insoweit plausibel dargelegt, dass sie sich erst im Verlauf ihres Studiums um die Registrierung ihres leiblichen Vaters bemüht habe. Ihr leiblicher Vater sei daher zum Beginn des Studiums noch nicht bekannt gewesen und der Klägerin habe kein entsprechender Vorwurf gemacht werden können. Der Vortrag der Kläger wird durch die notarielle Erklärung vom 12.08.2009 nicht unglaubwürdig, in der drei Zeugen gegenüber dem Notar die Abstammung von ihrem leiblichen Vater bestätigt hatten, denn diese belegt insoweit lediglich, dass die Bemühungen der Klägerin um die Registrierung ihres Vaters, auch wenn die Klägerin wohl davon ausgegangen ist, nicht hinreichend erfolgreich waren.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass sich das von der Klägerin geschilderte Interview tatsächlich zugetragen hat. Die Klägerin ist in der-mündlichen Verhandlung in der Lage gewesen, die räumlichen Gegebenheiten umfassend und nachvollziehbar darzulegen und die Situation des Interviews bildhaft zu beschreiben. So hat sie den Ablauf der Fragen genau geschildert und detailliert beschrieben, dass nur ein Journalist diese Fragen gestellt habe und sie nur diesem geantwortet habe, während sie von weiteren Journalisten umringt gewesen sei. Diese Schilderung entspricht der eines tatsächlich erlebten Geschehens. Anders als die Beklagte im angefochtenen Bescheid darlegt, ist das Gericht auch davon überzeugt, dass sich die von der Klägerin geschilderte Verhaftung und Inhaftierung nach dem Interview tatsächlich zugetragen hat. Die Klägerin hatte die Misshandlungen bereits in der Anhörung durch die Beklagte dargestellt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich weitere eher nebensächliche Details der Inhaftierung wie die Verpflegung und die räumlichen Gegebenheiten beschrieben. Die Klägerin hat die Verhaftung wie die Inhaftierung in der mündlichen Verhandlung auch in sich stimmig, aber mir vielen Unterbrechungen, Einschüben, zeitlichen Sprüngen und einer emotionalen Betroffenheit geschildert, wie es für ein tatsächlich erlebtes und aus der Erinnerung wiedergegebenes Geschehen, nicht aber für ein erfundenes typisch ist.

Das Gericht ist allerdings nicht von der geschilderten Dauer der Inhaftierung bis zu April 2009 und dementsprechend von den sich anschließenden geschilderten Geschehnisse überzeugt. Zweifel an dem diesbezüglichen Vortrag der Klägerin bestehen, weil es wenig nachvollziehbar erscheint, dass die Klägerin sich bei einer derartig langen Inhaftierung nicht an die Namen und persönlichen Schicksale der Mitgefangenen erinnern kann. Hinzu kommt, dass die Klägerin gemäß der Bescheinigung ihres Arbeitgebers bis August 2009 dort gearbeitet haben soll und daher in dieser Zeit nicht auch inhaftiert gewesen sein kann. Diese Zweifel erstrecken sich jedoch nur auf die Dauer der Inhaftierung nicht darauf, dass die Klägerin tatsächlich wie bereits ausgeführt für einen deutlich kürzeren Zeitraum von ruandischen Sicherheitskräften festgehalten und wie geschildert misshandelt worden ist. Diese Zweifel rechtfertigen es daher noch nicht, den gesamten Vortrag der Klägerin als unglaubhaft einzustufen.

Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass diese auch wegen ihres Vaters Gefährdungen ausgesetzt ist. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des Instituts für Afrikastudien GIGA vom 15.09.2009 an das Verwaltungsgericht Frankfurt werde die geistige, politische und wirtschaftliche Elite des Landes faktisch stark überproportional von Tutsi dominiert. Dementsprechend seien Anverwandte von tatsächlichen und mutmaßlichen Völkermordverantwortlichen einem erhöhten Anfeindungs- und Verleumdungsrisiko ausgesetzt (vgl. Urteil des Gerichts vom 09.08.2011 - 7 A 55/09 -). Dies gilt zu einem gewissen Grad auch für die Klägerin, weil ihr Vater aufgrund der ihm von der FRP vorgeworfenen Beteiligung am Völkermord in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG liegen ebenfalls vor, weil diese Regelung an den gleichen Begriff der politisch Verfolgung wie Art. 16a Abs. 1 GG anknüpft. […]