VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 03.12.2012 - 11 K 1038/12 - asyl.net: M20339
https://www.asyl.net/rsdb/M20339
Leitsatz:

Zur Rücknahme einer Einbürgerung wegen arglistigen Verschweigens eines Gesinnungswandels hin zum Terrorhelfer nach abgegebener Loyalitätserklärung.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, rechtswidrige Einbürgerung, Rechtswidrigkeit, Rücknahme, Rücknahme der Einbürgerung, freiheitliche demokratische Grundordnung, terroristische Vereinigung, Unterstützung, Loyalitätserklärung, Verfassungsfeindliche Bestrebungen,
Normen: StAG § 35, StAG (2004) § 10 Abs. 1 S. 1, StAG § 11 S. 1 Nr. 1 Alt. 3,
Auszüge:

[...]

Damit steht fest, dass das Verhalten des Klägers jedenfalls im Zeitpunkt der Einbürgerung im Widerspruch zu seiner Erklärung vom vom 21.09.2004 gestanden hat. Das Bekenntnis war deshalb im rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt zumindest unwahr geworden.

Der Zweck dieses Bekenntnisses und der Erklärung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StAG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (mit Urteil vom 20.03.2012 - 5 C 1/11 -, <Juris>; vgl. auch Bayer. VGH, Urteil vom 19.01.2012, - 5 B 11.732 -, <Juris>; a.A. Berlit, aaO., Anm. 149) "darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Daher ist es nicht nur sachgerecht, sondern geradezu geboten, die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig zu machen (vgl. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216, 220). Gleiches gilt für die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484)."

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber dem Einbürgerungsbewerber das inhaltlich wahre Bekenntnis und die inhaltlich wahre Erklärung zu verfassungsfeindlichen Aktivitäten nicht zu irgend einem Zeitpunkt abverlangt, sondern dass diese für die Einbürgerung gültig und wahrhaftig im Zeitpunkt der Einbürgerung selbst vorliegen müssen (vgl. Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 24.10.2007, - 11 K 4364/06 -). Dies war jedoch, wie schon ausgeführt, nicht der Fall.

Daher war die Einbürgerung des Klägers rechtswidrig. Danebenlagen auch lagen die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 35 StAG vor.

Der Kläger hat den Beklagten arglistig über den Umstand getäuscht, dass sein Bekenntnis bzw. seine Erklärung im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht mehr richtig waren. Eine arglistige Täuschung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn der Betreffende durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, jedoch in Kauf nahm, oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen bei einem am Erlass des Verwaltungsaktes maßgeblich beteiligten Bediensteten der Behörde einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorrief, diesen durch Täuschung zu einer günstigen Entschließung zu bestimmen. Unrichtige Angaben über objektive Tatsachen sind stets eine Täuschung, unabhängig davon, ob die Behörde hiernach gefragt hat oder nicht. Das Verschweigen von Tatsachen ist eine Täuschung, wenn die Behörde nach Tatsachen gefragt hat oder der Betreffende auch ohne Befragung weiß oder in Kauf nimmt, dass die verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Behörde erheblich sind oder sein können. Eine arglistige Täuschung liegt nach alledem dann vor, wenn der Täuschende erkennt und in Kauf nimmt, dass die Behörde auf Grund seines Verhaltens für sie wesentliche Umstände als gegeben ansieht, die in Wahrheit nicht vorliegen oder – umgekehrt – hinderliche Umstände als nicht gegeben ansieht, obwohl solche in Wahrheit vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.09.1985 - 2 C 30/84 -, DVBl 1986, 148).

Vorliegend hat der Kläger dem Beklagten gegenüber verschwiegen, dass er im Zeitraum vor seiner Einbürgerung mit Unterstützungshandlungen für eine terroristische Vereinigung begonnen hatte. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass dem Kläger auch die einbürgerungsrechtliche Bedeutung solcher Handlungen ohne weiteres bekannt war. Denn er ist in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen und hat hier die Mittlere Reife und eine Ausbildung zum Staatlich geprüften Techniker absolviert. Er hat sich weiter in seinem Einbürgerungsantrag als dem deutschen Kulturkreis viel enger verbunden ausgegeben als dem türkischen Kulturkreis. Er war unter diesen Voraussetzungen ohne Weiteres in der Lage, das von ihm bereits abgegebene Bekenntnis zu verstehen. Aus dem Bekenntnis und darüber hinaus aus der sog. "Unterrichtung über die sicherheitsmäßige Überprüfung", deren Kenntnisnahme der Kläger am 13.12.2004 unterschrieben hatte, musste ihm somit auch klar sein, dass die mit dem Bekenntnis abgegebene Erklärung für die beantragte Einbürgerung von besonderer Bedeutung war. Der Kläger war darüber hinaus auch verpflichtet, dem Beklagten Änderungen in seinen persönlichen Verhältnissen, die während des Einbürgerungsverfahrens eingetreten waren, mitzuteilen. Denn diese Verpflichtung übernimmt der Einbürgerungsbewerber im Rahmen der Antragstellung (vgl. dazu den Formularantrag zur Einbürgerung auf S. 10 unten). Eine derartige Verpflichtung resultierte schließlich auch aus der Einbürgerungszusicherung, die dem Kläger mit Datum vom 04.08.2005 "unter dem Vorbehalt erteilt" worden war, "dass sich die für die Einbürgerung maßgebliche Sach- und Rechtslage, insbesondere die persönlichen Verhältnisse des Einbürgerungsbewerbers bis zur Einbürgerung nicht ändern". Hierunter fallen auch die vorliegend einbürgerungshinderlichen Umstände.

Damit hat der Kläger seine Einbürgerung durch das Verschweigen dieser Umstände auch arglistig erwirkt. Es dürfte für den Kläger auch aus Laiensicht völlig klar gewesen sein, dass seine Einbürgerung ausgeschlossen war, wenn dem Beklagten die Umstände, die zur mangelnden Wahrhaftigkeit seines Bekenntnisses bzw. seiner Erklärung geführt hatten, offenbar würden. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Umstände im Einbürgerungsverfahren - neben der Vermeidung einer strafrechtlich relevanten Selbstbezichtigung, die er aber durch eine Rücknahme des Einbürgerungsantrags hätte vermeiden können - zumindest auch aus diesem Grunde verschwiegen hat.

Der Kläger hat jedoch die Einbürgerungsurkunde am 23.03.2006 entgegengenommen, ohne zu irgend einem Zeitpunkt - weder bei dieser spätesten Gelegenheit, noch vorher - auf die wesentliche Änderung der Sachlage hinzuweisen. Damit liegt im Rechtssinn eine arglistige Täuschung durch Unterlassen vor, die für die Einbürgerung kausal war. [...]