VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2012 - RO 9 K 12.1670 - asyl.net: M20445
https://www.asyl.net/rsdb/M20445
Leitsatz:

Zur Frage der Rechtmäßigkeit einer aufenthaltsrechtlichen Wohnsitzauflage bei subsidiär Schutzberechtigten (hier verneint für den Fall, dass die wohnsitzbeschränkende Nebenbestimmung allein aus Gründen eines Sozialhilfebezugs des Ausländers erging).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Wohnsitzauflage, Nebenbestimmung, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Sozialhilfebezug, Sozialleistungen, subsidiärer Schutz, subsidiär Schutzberechtigte, freizügigkeitsberechtigt, Freizügigkeit, räumliche Beschränkung, Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten, Qualifikationsrichtlinie,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2, RL 2004/83/EG Art. 32, RL 2004/83/EG Art. 28 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Vorliegend stehen der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Wohnsitzauflage aber bereits gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen entgegen. Die Kläger sind nämlich subsidiär Schutzberechtigte im Sinne der Qualifikationsrichtlinie. Das Bundesamt hat mit seinen Bescheiden vom 11. und 27. April 2012 mit nach § 42 Satz 1 Asylverfahrensgesetz bindender Wirkung jeweils festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syrien vorliegt, da den Klägern im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter drohe. Damit hat das Bundesamt einen "ernsthaften Schaden" im Sinne von Art. 15 Buchst. b) QRL festgestellt, so dass sich die Kläger nach Art. 18 QRL auf den subsidiären Schutzstatus berufen können (im Gegensatz zu Ausländern, bei denen ein lediglich nach nationalem Recht bestehendes, beispielsweise krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde, vgl. dazu BayVGH, Urteil vom 9.

Mai 2011, Az. 19 B 10.2384 <juris>).

Subsidiär Schutzberechtigte im Sinne der Qualifikationsrichtlinie sind jedoch grundsätzlich ebenfalls freizügigkeitsberechtigt. Nach Art. 32 QRL ist die Bewegungsfreiheit von Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen gewährleistet wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufhalten. Unter diesen Einschränkungen räumt Art. 32 QRL damit auch subsidiär Schutzberechtigten nach seiner Überschrift "Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaates" ein. Gemäß Art. 28 Abs. 1 QRL ist Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, die notwendige Sozialhilfe wie für Staatsangehörige des Mitgliedstaates zu gewähren. Zwar mag die Genfer Flüchtlingskonvention auf die Kläger nicht unmittelbar anwendbar sein, da ihnen nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Die zuvor genannten Regelungen der Qualifikationsrichtlinie zugunsten subsidiär Schutzberechtigter entsprechen aber insoweit im Wesentlichen den Bestimmungen der Art. 23 und 26 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), nach denen die Freizügigkeit von Flüchtlingen nicht aus Gründen des Sozialhilfebezuges eingeschränkt werden darf (vgl. BayVGH, Urteil vom 9. Mai 2011, Az. 19 B 10.2384 <juris-Rn. 25>).

Beschränkungen der Freizügigkeit haben damit bei subsidiär Schutzberechtigten wie den Klägern zum einen nach Art. 32 QRL den Grundsatz der Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatsangehörigen mit rechtmäßigem Aufenthalt zu beachten und sind ferner – wenn sie an die Inanspruchnahme von Sozialhilfe anknüpfen – vor allem auch an Art. 28 Abs. 1 QRL zu messen. Nach den maßgeblichen Ermessenserwägungen des Beklagten ist die Wohnsitzauflage aber ausschließlich zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten verfügt worden, sodass sie nicht mit Art. 28 QRL vereinbar ist. Insoweit erfolgt nämlich keine Gleichbehandlung mit deutschen Beziehern von Sozialhilfe, denen auch unter Berücksichtigung des Ziels einer gleichmäßigen Lastenverteilung keine Vorgaben zur Wahl des Wohnortes gemacht werden. Zwar können die Mitgliedstaaten abweichend von Art. 28 Abs. 1 QRL für subsidiär Schutzberechtigte die Sozialhilfe auf Kernleistungen beschränken, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige gewähren (vgl. Art. 28 Abs. 2 QRL). Der Begriff der Kernleistungen ist nach dem Erwägungsgrund (34) zur Qualifikationsrichtlinie dabei so zu verstehen, dass er zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft und bei Elternschaft umfasst, sofern diese Leistungen nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates eigenen Staatsangehörigen gewährt werden. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der "gleichen Behandlung" im Sinne von Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008, Az. 1 C 17.07 <juris>) wird auch die in Art. 28 Abs. 2 QRL verwendete Formulierung "im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige" zumindest in dem Sinne weit zu verstehen sein, dass nicht nur die gleichen Kernleistungen nach Art und Höhe eingeschlossen sind, sondern auch vorausgesetzt wird, dass in vergleichbaren Situationen mit subsidiär Schutzberechtigten diesbezüglich nicht anders umgegangen wird als mit den eigenen Staatsangehörigen. Für deutsche Staatsangehörige gibt es allerdings gerade keine "sozialhilferechtliche Residenzpflicht" (vgl. HTK-AuslR, § 12 AufenthG/zu Abs. 2 Satz 2 – Wohnsitzauflage 06/2012, Nr. 5.2), auch nicht bezogen auf Kernleistungen, so dass eine auf § 12 Abs. 2 AufenthG zu stützende wohnsitz- und damit auch freizügigkeitsbeschränkende Auflage wegen des Sozialhilfebezuges subsidiär Schutzberechtigter wegen Verstoßes gegen Art. 28 QRL rechtswidrig ist.

Die entsprechenden Nebenbestimmungen sind mithin aufzuheben, ohne dass das Gericht daran durch das Fehlen der Zustimmung der Stadt Bielefeld nach Ziffer 12.2.5.2.4 AVwV gehindert wäre, da es sich insoweit lediglich um Verwaltungsvorschriften handelt, die das Gericht nicht binden. [...]