VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 20.11.2012 - 2 K 349/12 Me (= ASYLMAGAZIN 4/2013, S. 137 f.) - asyl.net: M20501
https://www.asyl.net/rsdb/M20501
Leitsatz:

1. Einer Wohnsitzauflage zur Aufenthaltserlaubnis eines Sozialhilfe beziehenden Ausländers, für den ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG bestandskräftig festgestellt wurde, stehen die Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG - sogenannte Qualifikationsrichtlinie - entgegen.

2. Aus dieser ergibt sich, dass subsidiär Schutzberechtigte sowohl wie anerkannte Flüchtlinge, als auch wie Inländer zu behandeln sind, soweit es um Regelungen im Bereich der Sozialleistungsgewährung geht. Eine Beschränkung der Freizügigkeit wegen Sozialhilfebezugs ist danach auch bei subsidiär Schutzberechtigten nicht zulässig.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wohnsitzauflage, subsidiärer Schutz, subsidiär Schutzberechtigte, Soziallhilfebezug, Sozialleistungen, Europarechtswidrigkeit, europarechtswidrig, Europarecht, Unionsrecht,
Normen: AufenthG § 12 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 3, AufenthG § 60 Abs. 2, RL 2004/83/EG Art. 28, RL 2004/83/EG Art. 32,
Auszüge:

[...]

2.4 Das von der Kammer gewonnene Ergebnis der rechtlichen Unzulässigkeit der Wohnsitznahmebeschränkung gegenüber subsidiär Schutzberechtigten aus Gründen des Bezuges öffentlicher Leistungen ergibt sich demgegenüber aber aus Folgendem:

Im Hinblick auf den dem anerkannten Flüchtling im Sinne der sog. Qualifikationsrichtlinie zu gewährenden nationalen Aufenthaltsstatus ist höchstrichterlich geklärt, dass eine Beschränkung der Wohnsitznahme nicht aus Gründen der gerechteren Verteilung der sozialen Lasten erfolgen darf: Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu entschieden, dass Wohnsitzauflagen gegenüber anerkannten Flüchtlingen, die Sozialhilfeleistungen beziehen, gegen Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - verstoßen, wenn sie allein aus Gründen der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten verfügt werden (BVerwG, U. v. 15.01.2008, 1 C 17/07; juris). Zwar stünden die Gewährleistungen der GFK im Hinblick auf die dem Flüchtling zu gewährende Freizügigkeit einer solchen Beschränkung der Wohnsitznahme nicht per se entgegen. Solche Beschränkungen seien aus aufenthaltsrechtlichen Gründen ebenso wie bei anderen Ausländern grundsätzlich zulässig. Einer Beschränkung der Freizügigkeit durch eine Wohnsitznahmeverpflichtung aus Gründen des Sozialhilfebezuges und der gewollten gerechteren Verteilung sozialer Lasten bei Flüchtlingen stehe jedoch der den Bereich der Sozialleistungen umfassende Grundsatz der Inländergleichbehandlung entgegen mit der Folge, dass Wohnsitznahmebeschränkungen jedenfalls nicht aus einem solchen Grund verfügt werden dürften. Nachdem die Freizügigkeit von Sozialhilfebeziehenden Inländern nicht aus diesem Grund eingeschränkt werden dürfe, müsse für anerkannte Flüchtlinge gleiches gelten.

2.5 Nach Auffassung der Kammer verbietet die Richtlinie eine Ungleichbehandlung von subsidiär Schutzberechtigte hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus gegenüber anerkannten Flüchtlingen jedenfalls im Bereich der Sozialhilfegewährung und gebietet für diese in gleicher Weise eine Inländergleichbehandlung mit der Folge, dass eine Wohnsitzbeschränkung nicht zulässig ist.

Ein wegen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu gewährendes Aufenthaltsrecht, das auf der Zuerkennung des europarechtlich gewährleisteten subsidiären Schutzes beruht, ist mit der Schutzgewährung der sog. Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG jedenfalls im Hinblick auf den Rechtsstatus im Rahmen der Sozialhilfegewährung vergleichbar, weshalb eine "Abstufung" gegenüber den anerkannten Flüchtlingen hinsichtlich des nationalen Aufenthaltsstatus im Sinne einer Begrenzung der Freizügigkeit wegen Sozialhilfebezugs nicht vorgenommen werden darf. Denn die Bestimmungen der Richtlinie, die an anderen Stellen ausdrücklich Differenzierungen hinsichtlich des jeweiligen Schutzstatus vorsehen, der einerseits anerkannten Flüchtlingen, andererseits subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sein soll (vgl. etwa Art. 24 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie im Hinblick auf den zu gewährenden ausländerrechtlichen nationalen Aufenthaltstitel), sehen hinsichtlich der Rechtsstellung in Bezug auf die Sozialhilfegewährung gerade ausdrücklich keine unterschiedliche, sondern eine Gleichbehandlung vor: beide Schutzberechtigten, die subsidiär Schutzberechtigten gleichermaßen wie die anerkannten Flüchtlinge, sollen wie Inländer behandelt werden, soweit es um den Bezug von notwendigen Sozialhilfeleistungen geht, vgl. Art. 20 Abs. 2, Art. 28 der Richtlinie.

Die Ermessensentscheidung der Behörde, die sich an den ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften orientiert, die hier im Regelfall vorsehen, dass dem Aufenthaltstitel im Falle der Gewährung öffentlicher Leistungen an den Ausländer eine Wohnsitzauflage beizufügen ist, stößt bei subsidiär Schutzberechtigten wie dem Kläger daher auf eine europarechtliche Grenze. Eine solche Beschränkung darf in diesen Fällen nicht an den Sozialhilfebezug geknüpft werden (so auch VG Oldenburg, U.v.28.01.2009, 11 A 1756/07; juris). Dem genügt die vorliegende Entscheidung des Beklagten nicht, da sie ersichtlich keine anderen Gründe als die der gerechteren Verteilung öffentlicher Lasten für die Wohnsitzbeschränkung anführt. Die Wohnsitzauflage war daher aufzuheben. [...]