VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 08.03.2013 - 4 K 563/12.KO - asyl.net: M20592
https://www.asyl.net/rsdb/M20592
Leitsatz:

1. Die Verwertung einer nach § 100 JGG entmakelten, aber nicht tilgungsreifen Jugendstrafe in einem Einbürgerungsverfahren ist zulässig, wenn die Einbürgerungsbehörde auf rechtmäßige Wege Kenntnis von der Jugendstrafe erlangt hat.

2. Aus § 41 Abs. 3 BZRG ergibt sich kein Verwertungsverbot (entgegen OVG Saarlouis - Urteil v. 12. Oktober 2012 - 1 A 246/11 -).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Einbürgerungszusicherung, Strafmakel, strafrechtliche Verurteilung, Verurteillung, Jugendstrafe, Verwertungsverbot, Bundeszentralregister, tilgungsreif, entmakelt, Tilgungsfrist, Tilgung, Unbescholtenheit, Unbescholtenheitserfordernis,
Normen: StAG § 10 Abs. 1, BZRG § 41 Abs. 3 S. 1, StAG § 10 Abs. 1 Nr. 5, JGG § 100, BZRG § 41 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Zu den Voraussetzungen einer Einbürgerung gehört allerdings nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG auch, dass der Betroffene weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Dieses so genannte Unbescholtenheitserfordernis erfüllt der Kläger derzeit (noch) nicht.

Er wurde zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts Bingen am Rhein vom 27. März 2007 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt. Zudem hatte ihn das Amtsgericht Bingen am Rhein am 28. November 2002 wegen Bedrohung in Tateinheit mit Führen einer Schusswaffe entgegen § 39 WaffG bei öffentlichen Veranstaltungen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 10 Monaten - ausgesetzt zur Bewährung - verurteilt. Die Tilgungsreife tritt nach Auskunft des Bundesamtes für Justiz und wie der Kreisrechtsausschuss des Beklagten bereits im Widerspruchsbescheid dargelegt hat, für beide Taten gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 a) in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 a), § 47 Abs. 3 Satz 1 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) bei weiterer Straffreiheit am 27. März 2017 ein.

Die beiden genannten Taten bleiben bei der Einbürgerung auch nicht gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG außer Betracht. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei einer Jugendstrafe um eine Freiheitsstrafe im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG handelt. Da Jugendstrafen nach § 18 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) mindestens sechs Monate betragen, sind sie immer beachtlich (vgl. auch BT-Drs. 16/5065, S. 230). Selbst wenn man die Jugendstrafe als Strafe einstuft, kommt eine Außerachtlassung der Straftaten nach § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG im Einzelfall ebenfalls nicht in Betracht, da die Summe der Straftaten (vgl. § 12a Abs. 2 Satz 2 StAG) den Rahmen nach den Sätzen 1 und 2 nicht nur geringfügig überschreitet.

Die Verurteilung des Klägers zu der auf Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe aus dem Jahr 2002 kann seinem Einbürgerungsbegehren auch noch entgegengehalten werden. Nach Auffassung der Kammer besteht insoweit vorliegend kein Verwertungsverbot.

Ein solches ergibt sich nicht bereits daraus, dass der Strafmakel der gegen den Kläger im Jahr 2002 verhängten Jugendstrafe als beseitigt erklärt wurde und eine derartige Verurteilung den Einbürgerungsbehörden gemäß § 41 Abs. 3 Satz 1 BZRG nicht mehr mitgeteilt werden darf.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt die Beseitigung des Strafmakels nach § 100 JGG nicht dazu, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwendet werden dürfte. Diese Entscheidung führt lediglich zu einer Einschränkung des Umfangs der Auskunftserteilung gemäß § 41 Abs. 3 BZRG und zu einer Verkürzung der Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 f) BZRG (BVerwG, Beschl. v. 26. Februar 1997 - 1 B 5/97 -, juris; vgl. ferner Urt. v. 17. März 2004 - 1 C 5/03 -, juris, Rn. 12; ebenso VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12. September 2002 - 13 S 880/00 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 20. September 2006 - 16 K 1862/06 -, juris).

Die Kammer schließt sich dieser überzeugenden Rechtsprechung an. Gleichzeitig vermag sie der von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Saarland (Urteil vom 12. Oktober 2011 - 1 A 246/11 -, juris, rechtskräftig) nicht zu folgen.

Dabei ist zunächst von dem Grundsatz des § 26 Satz 1 VwVfG auszugehen, wonach die Behörde sich der Beweismittel bedient, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich hält. Nach Satz 2 Nr. 1 VwVfG dieser Norm kann die Behörde insbesondere Auskünfte jeder Art einholen. § 24 Abs. 2 VwVfG bestimmt, dass die Behörde alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen hat. Für das gerichtliche Verfahren sieht § 108 VwGO vor, dass das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Einschränkungen dazu, welche Informationen bei der Entscheidung verwertet werden dürfen, enthalten die Vorschriften nicht.

Der Gesetzgeber hat allerdings, was die Verwertung von Verurteilungen wegen einer Straftat betrifft, in § 51 BZRG ausdrücklich ein Beweisverwertungsverbot normiert. Danach dürfen getilgte oder tilgungsreife Eintragungen über eine Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr grundsätzlich nicht mehr entgegen gehalten werden. § 51 BZRG betrifft damit lediglich getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, aber gerade nicht solche Vorgänge, über die aus dem Register nur beschränkt Auskunft erteilt werden darf (vgl. BVerwG, a.a.O.). § 41 Abs. 3 BZRG normiert im Gegensatz zu § 51 BZRG kein Beweisverwertungsverbot. Nach dieser Vorschrift dürfen Verurteilungen zu Jugendstrafen, bei denen der Strafmakel als beseitigt erklärt ist, nicht nach Absatz 1 mitgeteilt werden; über sie wird - von den hier nicht einschlägigen Ausnahmen nach Satz 2 abgesehen - nur noch den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften für ein Strafverfahren gegen den Betroffenen Auskunft erteilt. § 41 Abs. 3 BZRG regelt damit lediglich den zulässigen Inhalt einer Registerauskunft. Zur Verwertbarkeit von Informationen trifft die Norm hingegen keine Aussage (ähnlich im Hinblick auf § 61 Abs. 1 BZRG VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 19. Mai 2009 - 13 S 116/09 -, juris, m.w.N.).

Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die rechtswidrige Erhebung oder Verwendung von Informationen - auch ohne ausdrücklich normiertes Verwertungsverbot - aus rechtsstaatlichen Gründen bzw. unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes unter Abwägung der für und gegen die Verwertung sprechenden Gesichtspunkte zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann (vgl. zum Strafverfahren BVerfG, Beschl. d. Zweiten Senats v. 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a. -, juris, Rn. 120 ff., m.w.N.).

Diese Rechtsprechung findet hier jedoch keine Anwendung. Denn der Beklagte ist auf rechtmäßigem Wege an die Information hinsichtlich der Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe aus dem Jahre 2002 gelangt.

Festzuhalten ist zunächst, dass der Beklagte vorliegend nicht entgegen § 41 Abs. 3 BZRG durch Registerauskunft von der Jugendstrafe des Klägers erfahren hat. Die hier in Bezug auf den Kläger eingeholte Registerauskunft enthielt zu Recht lediglich die Eintragung hinsichtlich der Verurteilung aus dem Jahre 2007.

Der Beklagte hat indessen, wie dessen Vertreter insbesondere in der mündlichen Verhandlung dargelegt haben, über die beigezogene Ausländerakte des Klägers von der Jugendstrafe Kenntnis erlangt, in der sich das Urteil aus dem Jahr 2002 befindet. Dies stellt sich nicht als rechtswidrige Informationserhebung dar, sondern steht mit der Vorschrift des § 32 Abs. 1 StAG im Einklang. Danach haben öffentliche Stellen den Einbürgerungsbehörden auf Ersuchen personenbezogene Daten zu übermitteln, soweit die Kenntnis dieser Daten zur Erfüllung der in § 31 genannten Aufgaben erforderlich sind. Zu den personenbezogenen Daten in diesem Sinne gehören auch Angaben über strafbare Handlungen und Verurteilungen (so auch OVG Saarland, Urt. v. 12. Oktober 2011 - 1 A 246/11 -, Rn. 58 f.). Das Urteil aus dem Jahr 2002 ist auch in zulässiger Weise der Ausländerbehörde zur Kenntnis gegeben worden. Denn nach Nr. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 der Anordnung über Mitteilung in Strafsachen (MiStra) ist in Strafsachen gegen Ausländer der Ausgang des Verfahrens an die örtlich zuständige Ausländerbehörde zu richten.

Die Rechte des Betroffenen werden durch die Unterrichtung der Einbürgerungsbehörden durch die Ausländerbehörden nicht verkürzt, denn das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG wirkt gegenüber der Ausländerbehörde unabhängig davon, auf welche Weise sie die entsprechenden Informationen erhalten hat. Daneben tritt der Löschungsanspruch gemäß § 91 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), wonach Mitteilungen nach § 87 Abs. 1, die für eine anstehende ausländerrechtliche Entscheidung unerheblich sind und voraussichtlich auch für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung nicht erheblich werden können, unverzüglich zu vernichten sind (so zur parallelen Problematik von nicht im Erziehungsregister enthaltenen Eintragungen an die Ausländerbehörde BVerwG, Urt. v. 23. September 2009 - 1 B 16/09 -, juris, m.w.N.). Weshalb es im Hinblick auf die Rechtsstellung des Ausländers, der seine Einbürgerung begehrt, einen Unterschied begründen soll, dass ein derartiger Löschungsanspruch nur gegenüber der Ausländerbehörde, nicht jedoch gegenüber der Einbürgerungsbehörde besteht (so OVG Saarland, Urt. v. 12. Oktober 2011, a.a.O.), ist nicht ersichtlich.

Vorliegend kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Urteil, mit dem gegenüber dem Kläger die Jugendstrafe verhängt wurde, gemäß § 91 Abs. 2 AufenthG zu Unrecht in der Ausländerakte befand. Es lässt sich nicht annehmen, dass die nicht tilgungsreifen Verurteilungen des Klägers einschließlich seiner Verurteilung zur Jugendstrafe auch in Zukunft ohne jegliche Relevanz für künftige ausländerrechtliche Entscheidungen sind. Zwar verfügt der Kläger über eine Niederlassungserlaubnis und hat sich mehr als 5 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, womit er den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 AufenthG genießt. Es kann jedoch nicht schlechterdings ausgeschlossen werden, dass im Rahmen einer etwaigen Ausweisungsentscheidung die Vorstrafen des Klägers und damit auch seine Jugendstrafe im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bzw. des Ermessens Bedeutung erlangen können.

§ 32 Abs. 2 StAG, wonach eine Übermittlung personenbezogener Daten nach Abs. 1 unterbleibt, soweit besondere gesetzliche Verwendungsregelungen bestehen, steht ebenfalls nicht der Annahme entgegen, dass die Einbürgerungsbehörde hier zu Recht von der Jugendstrafe des Klägers erfahren hat. Nach Auffassung der Kammer kann in § 41 Abs. 3 BZRG eine solche besondere gesetzliche Verwendungsregelung nicht erblickt werden (so wohl auch OVG Saarland, Urt. v. 12. Oktober 2011, a.a.O.). Besondere gesetzliche Verwendungsregelungen im Sinne des § 32 Abs. 2 StAG sind alle besonderen Amts- und Berufsgeheimnisse (vgl. Marx, in: GK-StAR, Stand: Juli 2012, § 32 Rn. 47). Die Vorschrift des § 41 Abs. 3 enthält, wie bereits festgestellt, jedoch gerade keine allgemeine Regelung zur Zulässigkeit der Weitergabe bzw. Verwendung von Informationen hinsichtlich einer entmakelten Jugendstrafe, sondern regelt lediglich den Umfang der Mitteilungen aus dem Bundeszentralregister. Der Beklagte hat allerdings, wie bereits festgestellt, keine unzulässigen Informationen durch den Bundeszentralregisterauszug erhalten.

Der Beklagte ist mithin auf rechtmäßigem Wege an das Wissen über die Jugendstrafe gelangt (zu einer ähnlichen Konstellation, in der die Ausländerbehörde von einer Verurteilung, die nicht im Erziehungsregister eingetragen war, auf anderem, rechtmäßigem Wege Kenntnis erlangt hatte vgl. BVerwG, Beschl. v. vom 14. Februar 1984 - 1 B 10/84 -, juris).

Ein ungeschriebenes, übergesetzliches Verwertungsverbot ließe sich daher allein dann annehmen, wenn es aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten wäre, eine entmakelte, nicht tilgungsreife Jugendstrafe in einem Einbürgerungsverfahren außer Betracht zu lassen. Eine solche Schlussfolgerung vermag die Kammer jedoch - auch unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks des § 100 JGG, die stigmatisierende Wirkung der Jugendstrafe zu mindern - nicht zu ziehen. Zwar berührt die Verwertung personenbezogener Informationen, wie hier die Verurteilung zu einer Jugendstrafe das durch Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2012, a.a.O., m.w.N.). Die Kammer hält allerdings einen solchen Eingriff zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen, nämlich zum Schutz der Gesellschaft vor gegen die Strafrechtsordnung verstoßende Personen, für gerechtfertigt. Insbesondere vermag sie nicht zu erkennen, dass die Verwertung der Jugendstrafe zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht führt, zumal dem Interesse des Betroffenen bereits über die Tilgungsregelungen im BZRG und der Vorschrift des § 51 BZRG Rechnung getragen wird.

Die Kammer verkennt nicht, dass zwar die Gefahr besteht, dass die Vorschrift des § 41 Abs. 3 BZRG weitgehend bedeutungslos wird, wenn sich die Einbürgerungsbehörden auf anderem Wege als über die Auskunft aus dem Bundeszentralregister auf rechtmäßigem Wege Informationen über die Vorstrafen über den Einbürgerungsbewerber besorgen. Dies ist jedoch Folge der bestehenden gesetzlichen Regelungen. Die Lösung dieser Problematik obliegt allein dem Gesetzgeber. [...]